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bedeutendsten germanischen Stämmen (Goten, Gepiden, Burgundern, Semnonen, Wandalen), bis auf Volksreste bereits verlassen war. In den nächsten Jahren hören wir tatsächlich von Slawen an der unteren Donau. Hier machen sie sich von 627, wahrscheinlich aber schon von 617 an, durch Raub züge auf oströmisches Gebiet bemerkbar. Gegen Ende des 6. Jahrhunderts lassen sie sich auf der Balkanhalbinsel dauernd nieder. In Ostdeutschland und an der Elbe weiß der um 660 schreibende Byzantiner Prokop noch nichts von Slawen. Die Ansicht, die noch heute oft ausgesprochen wird, daß das ostdeutsche Ödland gleich nach dem Ver lassen der Hauptmasse der germanischen Stämme, ihnen auf dem Fuße folgend, besetzt worden sei, ist auf Grund der mitgeteilten historischen Nachrichten sicher unbeweisbar und auch an und für sich nicht zwingend. Die Vermutung, die Prähistoriker an das Auftauchen einer neuen, und zwar primitiven Kunstform geknüpft haben, indem sie diese den Slawen zugeschrieben haben, kann nicht dazu führen, den historischen Ergebnissen entgegen die Zeit der slawischen Einwanderung vorznrücken. Die Bodenfunde geben uns zu einer Datierung, die Slawen in Ostdeutschland oder in den Sudetenländern schon im 4. Jahrhundert zeigen würde, keine Handhaben, und die Aufeinanderfolge der betreffen den verschiedenen Kulturgeschichten erklärt sich ebensogut durch die dünne und dementsprechend fundarme Besied lung der Zwischenzeit bis zum 6. Jahrhundert. Es muß vielmehr entschieden an dem Grundsatz fest gehalten werden, daß eine slawische Ausdehnung nach Westen erst möglich war, nachdem die entgegenstehenden Hindernisse gefallen waren. Es wäre für Kenner der Völkerwanderungszeit unverständlich, warum sich die Tat sache von etwaigen slawischen Untertanen in den Germa nenreichen des 6. Jahrhunderts nicht irgendwie bemerk bar machen sollte. Die Langobarden haben z. B. zu ihrem Zuge nach Italien alle erfaßbaren Völkersplitter ihres Reiches mitgenommen,' aber unter diesen waren keine Slawen. In Siebenbürgen sind die Gepiden bis 667 Herren des Landes gewesen. In der Slowakei haben Sweben, die Reste der Ouaden, bis 668 gewohnt. Sie sind erst in diesem Jahre von den Langobarden, die damals über die West hälfte von Ungarn, die heutige Slowakei und vielleicht auch die Sudetenländer geherrscht haben, nach Italien ge zogen. Aus Schlesien sind die Silingischen Wandalen, ver eint mit den Hasdingen und den mährischen Quaden, erst zu Beginn des 6. Jahrhunderts nach Spanien, die Wan dalen dann nach Nordafrika gewandert, wobei ein großer Volksrest der Silingen am Zobtenberge bei Schweidnitz, ihrem Stammesheiligtume, zurückgeblieben ist. Die Reste der schon früher nach Südöeutschland übersiedelten Sem nonen, die sogenannten Nordschwaben, wurden aber erst 568 von Brandenburg auf das linke Elbeufer herüber genommen und in einem frei gewordenen Landstrich an der Bode angesiedelt. Entscheidend aber fällt ins Gewicht, daß in der Mitte des 6. Jahrhunderts noch in Westgali- zien Germanen, und zwar sogenannte Ostwarnen, nach zuweisen sind. Der Weg nach Westen war also zu dieser Zeit noch gar nicht frei. An der Weichselmündung aber rückten die baltischen Preußen vor, wobei sie sich mit den zurückgebliebenen Gepiden vermischten. In Böhmen haben nach Ausweis von Bodenfunden noch im 6. Jahrhundert, noch nach der Abwanderung der Markomannen nach Bayern, Germanen gewohnt. Wenn wir die slawische Völkerwanderung nach Westen verstehen wollen, müssen wir den gesamten Raum Ost- germaniens von der Ostsee bis zur Adria überblicken. Das große Ereignis, das andere Verhältnisse in diesem weiten Lande schafft, ist der A v a r e n e i n f a l l gewesen. Seit 568 taucht dieses aus den Steppen Hochasiens stammende Volk im Gesichtskreise der Byzantiner auf, nm 560-666 steht es an der mittleren Elbe mit dem fränkischen Könige im Kampfe. Damals müssen die Germanenreste in Westgali zien und Schlesien besiegt worden sein. Dunkle Erinne rungen an eine Hunnenschlacht in Schlesien an den Weich selquellen, die sich mit anderen Nachrichten vermischt haben, leben in der Sage fort. Wenn wir hören, daß 668 die Nord schwaben auf das linke Elbeufer herübergenommen wer den, so dürfen wir darin wohl eine Ausführung fränkisch- avarischer Abmachungen sehen, die die Franken zur Räu mung des ostelbischen Landes verpflichteten. Im Jahre 667 haben die Langobarden im Verein mit den Avaren dem siebenbttrgischen Gepidenreiche den Untergang bereitet, es aber vorgezogen, sich im nächsten Jahre der unangenehmen Nachbarschaft zn entziehen. Sie hatten den mongolischen Horden das Gepibenland einräumen müßen und auch sel ber die Gunst ihrer Bundesgenossen mit einem Teile ihrer Herden teuer genug bezahlt. Ihres Sieges, der ein Un glück für Ostgermanien bedeutet, sind sie so nicht froh ge worden. Als unglückbringenöes Volk hat sie die deutsche Sage gekennzeichnet. Die kräftigsten germanischen Völker des Ostens, die Gepiden und Heruler, haben sie vernichtet, an dem Untergang des östgotischen Reiches in Italien haben sie durch Stellung von Söldnern im Heere des Narses mitgewirkt, und schließlich haben sie durch ihren Abzug nach dem Süden Ostgermanien seinem Schicksal überlassen. Dieses in seiner Bedeutung noch nicht genug gewürdigte Ereignis ist es gewesen, bas den Slawen den Weg nach dem Westen geebnet und damit den gewaltigen politischen Umsturz, der bis heute in scharfer Weise nach wirkt, geschaffen hat. Die Avaren waren Nomaden und deshalb auf Acker bau treibende untertänige Völker angewiesen. Wir haben genaue Nachrichten aus dem Osten und Westen, sowohl byzantinischer wie fränkischer Quellen, die uns von der grausamen Herrschaft der Avaren über die Slawen erzählen. Diese wurden von ihnen als Acker knechte und Schlachtenfutter verwendet, im Winter er schienen die avartschen Herren in den slawischen Dörfern und betrachteten die Häuser und die Frauen ihrer Unter tanen als ihr Eigentum. Zuerst bekamen die in Wolhynien wohnenden Slawen, die Dudleber, die drückende avarische Herrschaft zu spüren. In verräterischer Weise waren ihre Fürsten getötet worden, worauf der Sieg über das führer lose Volk den Avaren nicht schwer gefallen war. Wir fin den in Hinkunft die slawischen Stämme durcheinander gewürfelt (z. V. Kroaten an der Saale, in Böhmen, an den Weichselquellen, in Kroatien, Kärnten: Dudleber in Südböhmen, Steiermark, Wolhynien,- Serben in Serbien und die gleichbenannten Sorben in der Lausitz). Man kann sich schwer des Eindruckes erwehren, daß gewaltsame Ein griffe in das slawische Stammesgefüge von den Avaren vorgenommen worden sind. Seit dem Ende des 6. Jahrhunderts stehen im Puster tale in Osttirol die Slowenen mit den Baiern, an der Grenze Friauls mit den Langobarden im Kampfe. In die ser Zeit, zwischen 568 und 596, ist also die Besetzung der östlichen Alpenländer erfolgt. Zum Jahre 628 wird das Slawenreich des Franken Samo genannt, der von den Slawen während des Kampfes gegen die avarische Hoheit zum Großfürsten ausgerufen worden war. In Mittel europa war damals eine ähnliche germanische Staaten gründung mit einem slawischen Volke erfolgt wie 250 Jahre später durch die schwedischen Waräger in Rußland. Samos Reich, das zwischen Thüringen und Kärnten zu suchen ist, ist freilich noch nicht mit Sicherheit bestimmt worden. Im Jahre 630 werden das erste Mal die Sorben genannt, die infolge der glücklichen Kämpfe Samos mit dem fränkischen Reiche von diesem abgefallen waren. Da seit 595 die Land schaften zwischen Saale nnd Mulde im Besitze der Fran ken waren, die in dem genannten Jahre die hier wohnen-