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Die Fülle dessen, was in diesem Raume sonst noch zu sehen ist, vermag man während der kurzen Zeit einer Füh rung kaum eingehend zu würdigen. In den vielen Glas kästen sah ich eine große Anzahl der früher so beliebten Stammbücher mit Eintragungen von Graf und Gräfin Zinzendorf, Gotthold August Francke, Sohn von August Hermann Francke in Halle, von Bischof Albertini und vie len andern bedeutenden Persönlichkeiten — teils mit Federzeichnungen, Silhouetten und Aquarellen verziert. Dann bewunderte ich interessante „mährische Ostereier" (Bildnisse), Handschriften bedeutender Männer, eine man nigfaltige Auswahl der feinsten weiblichen Handarbeiten in den verschiedensten Manieren und Stoffen, die gewiß auch heute noch die Freude und Bewunderung jeder Frau Hervorrufen werden, zu deren Würdigung es mir aber an der notigen Sachkenntnis fehlt. Ins Auge fiel mir dann noch die reichhaltige Samm lung der feinsten Haararbeiten. Das Haar ist da zu Bro schen, Uhrketten, Ringen, aber auch zu Blumensträußen und sonstigen Schmuckgegenständen verarbeitet worden. So hielt man in früheren Zeiten die Erinnerung an liebe Menschen wach, indem man Gegenstände aus ihren Haaren trug. Es sind sehr feine und zierliche Gegenstände unter diesen Haararbeiten I Mit diesen damals sehr gesuchten Haararbeiten und Stickereien haben sich, wie mir erzählt wurde, in den alten Zeiten Herrnhuts manche Bewohnerinnen des Ortes ihren Lebensunterhalt verdient, während Sie Männer, die in Böhmen und Mähren, woher sie zum großen Teil einge wandert waren, meist Landwirtschaft betrieben hatten, jetzt teilweise für Tuchwebereien in Bernstadt arbeiteten. Nur wenige von ihnen hatten in ihrer alten Heimat schon ein Handwerk ausgeübt, wie die Brüder Reißer, die hier ihre Messerschmiede neu eröffneten. Ihr Firmenschild und Er zeugnisse ihrer Werkstatt wurden mir gleichfalls gezeigt. Auch die Herstellung von gemustertem farbigem Papier wurde im Schwesternhaus betrieben, wovon zwei große Tafeln mit Proben den Beweis erbringen. Endlich steht in diesem Raume noch ein besonders schöner großer Kachelofen auf Holzfüßen, der erst vor kurzem in Eibau erworben worden ist. Der nächste Raum ist vorwiegend mit Bildnissen aus gefüllt. Hier sehen wir wiederum Zinzendorf und seinen Sohn, Spangenberg und andere aus der Geschichte der Brüder bekannte Männer, wie den schlichten Zimmermann Christian David, den Erbauer Herrnhuts, sowie eine große Zahl von Frauenbilönissen, mit der in der Brüdergemeine auch heute noch üblichen Kirchentracht der Schwesternhaube, von der auch im Museum Stücke zu sehen sind. Diese Hau ben haben verschiedenartige Bänder: bei den ledigen Schwestern in rosa, bei den verheirateten in blau und bei den verwitweten in weiß. In diesem Raume findet sich auch das Bildnis des Mannes, der in wirtschaftlicher Be ziehung für die Weiterentwicklung Herrnhuts und anderer Brüdergemeine» von größter Bedeutung war: Abraham Dürningers. Da sich im Laufe der Jahrzehnte Herrnhut immer mehr vergrößerte, wurden die Erwerbsmöglichkeiten immer schwieriger, denn nicht nur die Nachkommen der alten böh misch-mährischen Brüder zogen hierher, nm hier frei nach ihrem Glauben leben zu können, sondern auch aus der ganzen Umgegend, ja aus allen Teilen Deutschlands ström ten erweckte Leute hier zusammen. Da fand sich nun in Abraham Dürninger der Mann, der neue Erwerbsquellen schuf. Er war ein aus Straß burg gebürtiger Kaufmann, der früher in Spanien, Hol land und anderwärts tätig gewesen war. Er hatte sich der Brüdergemeine in der Wetterau angeschlossen. Er begann eine großzügige Leinwandindustrie. Den im Schwesternhaus wohnenden ledigen Schwestern gab Dürninger Beschäftigung im Flachsspinnen, auch web ten sie auf Bandwebstühlen — einer davon wurde mir im letzten Raume gezeigt — das berühmte Herrnhuter Leinen band, das außerordentlich geschätzt und weit und breit be gehrt wurde. Den im Brüderhaus wohnenden ledigen Brüdern gab Dürninger teils in der Leinen-Industrie lohnende Arbeit, teils beschäftigte er sie in einer Buntfärberei und Drucke rei baumwollener Stoffe. Dürningers weiße Leinen sowie buntkarierte Baum wollstoffe zur Kleidung der Negerbevölkerung (ein Muster- büchel ist am Webstuhl befestigt und wurde mir gezeigt) fanden ihrer guten Qualität wegen großen Absatz nach Spanien, Nordamerika, Mexiko, Westindien und besonders auch nach den spanischen Staaten Südamerikas. Für den letzten großen Raum des Museums hatte ich leider nach der interessanten Führung nur noch wenig Zeit. Ich sah aber doch, daß sich auch in diesem letzten Teile des Museums noch recht interessante Dinge fanden. Ganz besonders fällt eine vollständig eingerichtete oberlausitzer Spinnstube in die Augen, die einen anschaulichen Eindruck gibt, wie es dort ausgesehen haben mag. Dann wurde ich noch auf eine Zusammenstellung aller zur Behandlung des Flachses erforderlichen Werkzeuge, einen alten Webstuhl sowie ein Musterbuch der Dürningerschen Textil-Erzeug- nisse hingewiesen. Auffallend ist ferner eine Chaise aus der Biedermeierzeit, eine Sänfte aus dem 18. Jahrhundert, ein Puppenwagen, ein Kinderwagen und anderes mehr. Auch Erinnerungen an den siebenjährigen Krieg und die Zeit der Freiheitskriege sah ich noch in Eile, wie ferner Schlachtenbilder, Pläne, Waffen und Kanonenkugeln von 1813. Auf einem großen Tisch mit acht Schaukästen wird ein Schreiben Friedrichs des Großen an General Seyölitz auf bewahrt, sowie dessen Band zum schwarzen Aölerorden, eine Münzensammlung aus der Zeit der alten deutschen Kleinstaaterei. Eigenhändige Briefe von Ernst Moritz Arndt, Schleiermacher, der ein Sohn Ser Brüdergemeine war, hängen unter Glas und Rahmen an der Wand. Von andern Wissensgebieten zeugen die Voltaischen Säulen von 1808 und ausgegrabene Urnen der Gegend. Aber das ist gerade aus dieser letzten Abteilung nur ein ganz flüchtiger Überblick, da mir zu eingehendem Studium die Zeit und hier wohl auch der Platz zur Aufzählung fehlt. Ich kann nur jedem Freunde unsrer Heimat und ihrer Vergangenheit raten, sich durch einen Besuch des Herrn huter Ortsmuseums zu überzeugen, wieviel Lohnendes hier geboten wird. Er wird noch mancherlei finden, was ich hier nicht mit aufgeführt habe oder bei der Kürze der Zeit, die mir zu Gebote stand, übersah. Erinnerung an den Brand von Bernstadt Daß man vor 100 Zähren das große Brandunglück, das die Stadl Bernstadt heimsuchte, auch im Erzgebirge nicht ver gaß, beweist eine Bekanntmachung des Chemnitzer Amtshaupt manns im Chemnitzer Anzeiger No. 26 vom 28. Juni 1828: Bekanntmachung. Die Stadt Bernstadt in der K. S. Oberlausitz, welche bereits im Jahre 1826 von einem sehr bedeutenden Brand unglücke heimgesucht wurde, wodurch 58 bürgerliche Wohnun gen in den Flammen aufgingen, ist nach No. 145 der Leip- ziger Zeitung und nach sichern Prioatnachrichten am 16. d. M., mit Ausnahme der neuerbauten Häuser, fast gänzlich durch das Feuer zerstört worden. Es hat nehmlich am gedachten Tage ein abends gegen 7 Uhr im genannten Orte, wahrscheinlich durch boshaftes Anlegen ausgebrochenes Feuer über 130 Ge bäude daselbst, worunter auch die Kirche, in welcher nur die Orgel erhalten worden ist, das Rathaus, das Pastorat, das Diakonat, die Bürgerschule und das Amtshaus samt der daran gebauten Mühle mit begriffen sind, verzehrt und überdies auch noch etliche und dreißig Häuser in dem benachbarten, angren zenden Dorfe Kunnersdorf eingeäschert, wobei über 1000