Volltext Seite (XML)
Nr. 12 Gberlausitzer Heimatzeitung 183 Ein Vogelparadies in der Oberlausitz Die Ornis des alten Bantzrner Taucherfriedhofes Bon Walter Schulze, Bautzen Während die allgemeine Klage über den Rückgang der Vvgelmelt durch den ungünstigen Einfluß der Kultur lei der nur zu berechtigt ist, kann man hinsichtlich der Fried höfe eher das Gegenteil behaupten. Die heutigen Städte stehen im Gegensatz zu denen des Mittelalters in einem bei weitem günstigeren Verhältnis zur Vogelwelt. Die Häuser standen früher dicht zusammengedrängt,s Garten anlagen fehlten fast gänzlich, und die Friedhöfe lagen weit draußen vor den Toren der Städte, sodaß sich das Vogel leben in den Städten selbstverständlich keinesfalls günstig entwickeln konnte. Erst später als Pflanzenreiche Garten anlagen geschaffen wurden und die Friedhöfe nach und nach immer mehr von den Häusern der Städte eingeschlos sen wurden, und so gewissermaßen kleine, grüne Oasen in dem Hüusermeer bildeten, konnten sich den ehedem in den Städten lebenden wenigen Vogelarten noch andere hinzu gesellen. Seit dieser Zeit bilden die Friedhöfe den Mittel punkt unserer Kleinvogelwelt in den Städten, von wo aus die weitere Ausbreitung aus die vogelürmeren Gärten und Parks erfolgt. So haben wir zweifellos den Vogelreichtum der Friedhöfe und somit unserer Städte zum großen Teile den Einflüssen der Kultur zu verdanken. Nur wenigen ist es bekannt, was für eine große An zahl Vogelarten unsere Friedhöfe beherbergen. Die meisten glauben im allgemeinen, mit den Finken, Meisen, Amseln und Singdrosseln ist die Vogelwelt eines Friedhofes so ziemlich erschöpft. Die Klage, die man so oft vom vogel unkundigen Städter als Entschuldigung für seine Un wissenheit hört, daß er so wenig hinaus in die Natur komme und daher keine Gelegenheit habe, Pflanzen und Tiere kennen zu lernen, ist durchaus nicht immer berech tigt. Denn wer ein offenes Auge und Ohr hat, braucht gar nicht sehr weit zu gehen, sondern kann in den Friedhöfen, die geradezu ein Dorado für unsere Kleinvogelwelt sind, eine recht ansehnliche Zahl Vögel kennen lernen. Kein anderer Ort ist besser geeignet, eine Vogelfrei stätte zn sein, als gerade der Friedhof. Alle Voraussetzun gen, die ein mannigfaltiges und artenreiches Vogelleben bedingen, finden wir auf diesem kleinen Fleck Erde auf das schönste vereinigt. In allererster Linie ist es die üppige und vielgestaltige Pflanzenwelt, die die Ansiedlung und Entwicklung einer reichen Vogelfauna ermöglicht und außerordentlich günstig beeinflußt. Die zahlreichen Hecken und Sträucher, die Lebens- und Buchsbaumpflanzungen sowie die dichten Efeuwände bieten auf so kleinem Raume den verschiedensten Arten die prächtigsten Brutplätze. Auch bleiben alte Bäume auf den Friedhöfen meistens stehen und werden von unseren Höhlenbrütern außerordentlich gern bezogen. Außerdem kommt noch hinzu, daß vielfach von feiten der Stadt- und Friedhofsverwaltungen in lobenswerter Weise künstliche Bruthöhlen in großer An zahl angebracht werden, so daß Nistgelegenheiten jeglicher Art im Überfluß vorhanden sind. Weiterhin ist es die Ruhe, die dort Herrscht, die die Vögel anlockt, und nicht zuletzt das Fehlen des der gedeihlichen Entwicklung unserer Klein vogelwelt so schädlichen Raubzeuges, überall sind die Vögel großen Gefahren ausgesetzt, ihre Nester werden zerstört und geplündert, und die der Erdbrüter oft genug von herumstöbernden Hunden zerwühlt. Dies alles fällt auf dem Friedhöfe weg. Die Vögel können ungestört und un belästigt ihren Vrutgeschäften nachgehen und in Ruhe ihre Jungen großziehen. Wir können daher unsere Friedhöfe auch als vom Menschen unbeabsichtigt geschaffene Vogel freistätten bezeichnen. Eine solche Vogelfreistätte ist auch der schöne, alte Bautzener Tcmcherfriedhof. Ich habe, um es gleich vorweg zu nehmen, in langjähriger Beobachtung nicht weniger als 49 verschiedene Arten feststellen können, die den Taucher sriedhof besuchen und bewohnen, ohne dabei Wintergäste oder gelegentliche Durchzügler mitzuzählen. Für 81 Arten ist mir der einwandfreie Brutnachweis in Gestalt des auf gefundenen Nestes oder beobachteter Jungvögel gelungen. Für die restlichen 18 Arten konnte ich einen sicheren Brut nachweis bisher noch nicht erbringen. Es ist jedoch für den größten Teil derselben insoweit mit ziemlicher Sicherheit auf ein Brüten zu schließen, als die meisten von ihnen während der Brutzeit wiederholt auf dem Taucherfriedhof beobachtet werden konnten. — Lassen wir zunächst einmal die ansehnliche Reihe der einwandfrei als Brutvögel sestgestellten Arten an uns vorüberztehen! Als grüßten vorkommenden Vertreter der Vogelwelt finden wir die Ringeltaube (Loiumba pslumprw pa- lumpu» Hart) Sie brütet schon seit Jahren regelmäßig in mehreren Paaren auf dem Taucherfriedhof, ist aber auch sonst im Stadtgebiet ein recht häufiger Brutvogel. Selbst auf den mit größeren Bäumen bestandenen Straßen der Vorstadt ist sie brütend zu finden. Die Ringeltaube ist im allgemeinen nur unter dem Namen „Wildtaube" bekannt und zeichnet sich vor unseren beiden anderen Wildtauben arten, der Turtel- und der Hohltaube durch ihre stattliche Größe aus. Sie ist größer als eine Haustaube und besitzt im Alter einen weißen Halsring, daher der Name Ringel taube. Sie ist diejenige unter unseren wilden Tauben arten, die sich am engsten dem Menschen angeschlossen und dabei ihre sonstige Menschenscheu nahezu überwunden hat. Es scheint fast, als ob wir bei ihr denselben Vorgang vor uns haben, wie wir ihn bei unserer Amsel in den letzten Jahrzehnten erlebten, die ja bekanntlich vom scheuen Waldvogel zum vertrauten Park- und Gartenvogel gewor den ist. Ihr Nest errichtet die Ringeltaube gern auf den Seitenästen höherer Bäume dicht am Stamm. Es ist ein kunstloser flacher Reisigbau, oft so lose und liederlich ge baut, daß man die zwei weißen Eier durchschimmern sieht. Die Ringeltaube brütet zwei bis drei Mal im Jahre und hat Ende April bezw. Anfang Mai schon die ersten Jun gen. Gegen irgendwelche Störungen während des Brut geschäftes ist sie, wie überhaupt alle Taubenarten sehr empfindlich und verläßt oft schon bei der geringsten Be lästigung ihr Nest. Bon unseren Drosseln beherbergt der Taucherfriedhof zwei Arten. Zunächst die bekannteste, die Amsel i'lurcku8 morula, morulu Hart.), auch Schwarzdrossel genannt. Die Amsel ist eine bekannte Erscheinung und kommt in zahl reichen Brutpaaren vor. Sie begnügt sich mit allen nur erdenklichen Brutplätzen und errichtet ihr Heim ebenso gern im niedrigen Buchsbaum wie in der hohen Fichte. Ganz besonders bevorzugt sie jedoch die in großer Anzahl vorhandenen Efeuwände. Ich schätze die auf dem Taucher vorhandenen Amseln auf etwa 38—40 Brutpaare und glaube damit keinesfalls zu hoch gegriffen zu haben. Man sagt unserer Gartrnamsel nach, daß sie sich mitunter an den noch nackten Nestjungen anderer Singvögel vergreift und diese ihren Jungen zur Atzung zuträgt. Dies mag bis weilen wohl vorkommen und auch verschiedene Male be obachtet worden sein, aber zweifellos sind das Ausnahmen und häßliche Gewohnheiten nur einzelner Vögel, die die Folge einer verkehrten Fütterung mit rohem Fleisch sind, von denen die Mehrzahl jedoch freizusprechen ist. Im üb rigen macht die Amsel diesen verhältnismäßig geringen Schaden dadurch wieder wett, daß sie als erster, von den bei uns überwinternden Vögeln, mit ihrem herrlichen, etwas schwermütigen Gesang das Nahen des Frühlings ankündigt. Schon im Februar schmettert der Amselhahn sein wundervolles weithin hörbares Lied von einer Baum spitze oder auch einem Dachfirst herab und schließt fein schönes Lied mit einem langgezogenen, melodischen „Tra-