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senkrechten Strebens, der einer Buche oder Eiche wirkt wie ein unerfülltes, rastloses Streben über den Wipfel hinaus. In der Esche mehr als in der Eiche scheint der Sieg der aufstrebenden Aste über den Zusammenhalt der Krone eben zu gelingen. Vielleicht wurde die Weltesche des halb ein Symbol der nordischen Mythologie? Das waren Eindrücke, die uns den Weg hinauf zum Warnsdorfer Spitzberg begleiteten. Der Mond naht sich dem Ende seines nächtlichen Pfades, nun sind wir oben auf unserer Warte. In nächtlicher Geistessprachc lispeln noch die Wetter fichten auf unserem Klingsteingipfcl. Vollmondglanz zau bert immer noch weichen Silberhauch über die Kammhöhen, schickt noch gespensterische, klar umrissene Berg- und zer fetzte Wolkenschatten in die stillen Winkel der Taldörfer. Unheimlich schnell und unwiderstehlich tasten sich die huschenden Wolkenschatten an den Wäldern zu uns herauf, und wie sie alle Gegensätze, Gebresten und Stürme in ge heimnisvolles, verbergendes Dunkel hüllen, so schlagen sie auch uns auf mondbeglänztem kahlen Felsen in ihren lau schigen Mantel; und da das geheimnisvolle Weben in der Natur das Veränderliche, das Werdende, das den einzel nen Augenblick in eine Richtung, in Vergangenheit und Zukunft auflöst, sich ins Licht des erkennenden Geistes drängt, so entsteht in uns ein genetisches, dynamisches Bild. Wir erleben jetzt die Entstehung des gegen wärtigen Landschaftsbildes. Der Mond tritt aus dem Wvlkenbett. Wie vor Jahr millionen, zur geologischen sog. Kreidezeit hier überall Meeresfluten der Sturm hinpeitschte und noch in der jün geren Tert iärzeit unglaubliche Seeungeheuer sich hier tummelten, so schwimmen wie ein Abbild jener Zeit jetzt wallende Morgennebel in den Tälern, und ernsten Ant litzes recken sich aus ihrem tiefblauen Nachtdunkel die Berge wie Inseln aus dem milchigen Meer in die Klar heit der Mondnacht. Sie wachen stolz über Städte und Dörfer, deren Bewohner von Werktagsarbeit ermüdet neue Kraft im Schlafe suchen. Hier und da ein Windstoß ins Nebelmeer — und durch den Nebelriß glänzen die friedlichen Behausungen der Alltagsfröhner oder die Dach flächen bedeutender, geräuschvoller Arbeitsstätten. Hier blitzt ein Strang der Eisenbahnen, da die trübe Flut der fleißigen Mandau auf. Allmählich glimmt an der fernen Küste im Hochwald winkel ein schmaler Frührotschein, der das Tagesgrauen verkündet; der Phonolithfels des Tannenberges verschwin det noch ganz im nächtlichen Grau. Zum Richterberg hinüber-dehnen sich grau-schwarze Waldhöhen. Eine dunkel dunstige Mulde, in der sich der Leutersdorfer Schwarze Stein als Vulkanruine gespensterhaft ab hebt, schwingt sich hinüber zum dunklen Oderwitzer Spitzberg. Wie eine dunkle Mauer erheben sich die basaltenen Schönborner Höhen. Nach und nach ragen auch jene gewölbten Basalthöhen am Breite- und Scheibenberg und drüben zwischen Leutersdorf und Neugersdorf aus deu weißen Nebelfluten und dem Nacht- duukcl immer klarer hervor. Jst's uicht wie in jener Ter tiärzeit, als die Einbrüche des Zittauer Seebeckens die Erdkruste bersten ließen und glühende Basaltmasscn eben diese lang- und breitgewülbten Höhen schufen? Jetzt sind sie zum Teil von Bächen zersägt, und schon in der Tertiär zeit ist die große harte Vasaltdecke vielerorts von andrän genden Klingsteinlawen zertrümmert, zerstoßen worden, die jetzt meist als höchste, Laubwald tragende Bergkuppen unserer Landschaft den feinsten Reiz verleihen. Und diese gewichtigen, nun aber zur Ruhe gekommenen Herren be herrschen jetzt noch gänzlich unser morgenliches Landschafts bild bis auf den erwähnten Schwarzen Stein von Leuters dorf, dessen weicher Tuffmantel von der Witterung und den fließenden Gewässern beseitigt nun den ehemaligen Vulkanschlot, den dunklen Kern ihrer Vernichtung preis gibt. So hat der in jugendlichem Ungestüm ehemals wü tende Geselle bereits das Todesmal im altersdurchfurchten Antlitz! Aber viel, viel greisenhafter sind die ausgegliche nen Landschaftszüge unseres Lausitzer Granitplateaus mit den eintönigen Höhenrücken und den saniten Talmulden. Hier, in unsrer engeren Heimat ist sonst die Natur noch im Kleid bestrickender Jugendschönheit, von charaktervollem Ausdruck. Wenn man dabei au die Erdgeschichte denkt! Mit Stolz aber kann es uns erfüllen, hier auf der größten Vasaltdecke Sachsens zu stehen! Die rauchenden Vulkanschlote sind zur Ruhe gekom men. Lange Zeit nach ihrem Erlöschen brachten die nor dischen Eiszeitgletscher gewaltige Schneestürme, Nebel, Steinmassen, an heftigen Gewässern gemessen ungeheure Schmelzwasser, und den ihnen folgenden Menschen schenk ten sie die fruchtbaren Anschwemmungsböden und leh migen Polster, die unsere Granithöhen und Niederungen so für den Ackerbau auszetchneten. An vielen Stellen über lagerten sie die noch ergiebigeren Böden der ehemaligen Meeres- bez. Seenbecken. Nur langsam, kaum wahrnehmbar verändert sich nun jetzt noch unser Stück der Erdoberfläche. Sichtbares, wech selvolleres Leben bringt nur der Mensch ins Landschafts bild. Allmählich entschleiert der Morgen uns das Bild der Gegenwart, das Gewordene der Vergangenheit, das Er starrte in Werdendes. Der Frühzug sendet in abgerissenen Lauten sein rol lendes Gerassel bis an unser Ohr, dann herrscht wieder Stille. Nur einzelne im Nebelfenster oder im Mondlicht wahrnehmbare Fabrikschlote scheinen schon Rauchsäulen in die über ihnen lastende Nebeldecke zu schicken. Sie sind jetzt die alleinigen Zeugen rastloser Tätigkeit. Zusammen gedrängt scharen sich die Villen und Hütten um Kirchen und um die Steinkästen der Fabriken, oder sie bilden dunkle Perlenreihen an den Verkehrsadern. Über den Lauschekamm stürzt sich der Wind heftiger ins Nebelmeer und zerreißt immer mehr die verhüllende Nebeldecke. Tagesschimmer schwächt immer mehr den Glanz des Nacht gestirns, und immer klarer spiegelt sich der Mondschimmer auf den dumpfgetönten Schieferdächern. Aber nun es immer Heller im Osten wird, heben sich desto kräftiger die menschlichen Erdenzüge ab. An den Berghängen, noch im Nebeldunst, erkennen wir nun die buntgesprenkelten Feldfluren, die aufblinkenden freund lichen Wohnstätten und das schneisendurchzogene Waldbild samt den duftigen, betauten Waldblößen. Im rosigen Morgenschimmer leuchtet das Lauscheberg haus und der kühne Turm der immer mehr hervortreten den Silhouette des Tannenberges. So führt die Erinne rung an den Menschen, an seine umformende Kultur arbeit unser Sinnen und Sehnen wieder zurück aus dem während der Mondnacht geschauten Naturbild auf erd- gebundeue Gegenwart, so gleitet unser Blick wie aus dem Reich dunkelster Vergangenheit, in denen ein wogendes Meer hier donnerte, über die lebendigen Nebelmasse» zu unserer an Ort und Zeit gebundenen menschlichen Perspek tive zurück. Aber im warmen lebensvollen Glanz des erstehenden Tages ziehen Nebelschwaden in die Seitentäler, zerreißen ihre Schleier an den Kronen der Fichtenwälder, und vor uns erblicken wir im Morgendunst die wiedererstandenen Geister, die Schattengestalten verblichener Geschlechter. An der Spitze ihrer Reihe die Tapferen, die vor etwa 7S0 Jahren in Scharen oder vereinzelt, mit Weib und Kind samt Wagen und Hausrat auf schmalen, holprigen Wald wegen aus dem fernen deutschen Mutterlande kamen, um hier das Lebensglück, eine eigene Scholle und Zufrieden heit zu finden. Rasch vermehrten sich die Stellen, wo am Bachlaufe die blauen Ranchfähnchen über die wald- umrauschten Hufenfluren kräuselten. Häuslerwohnungen