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ser des Dorfes Tröbigau. Gegenüber hüllen sich hinter Äckern der „Hohe Hahn" und der „Neukircher Berg" in dämmerndes Blau. Und dahinter streckt sich der Balten berg wie ein ruhender Wanderer, die Landschaft genießend. Auf der anderen Seite läuft ein schmaler weißer Weg flink durch Wiesen und Felder, dem Dorfe Naundorf ge schickt ausweichend, nach Gaußig. Der weiße Kirchturm von Gaußig leuchtet herüber. Dahinter rücken die hohen Bäume zum Park zusammen und schützen das Ausgang des 17. Jahrhunderts erbaute Schloß des Grafen Schall-Riau- cour, von dessen Erbauerin, Frau Ursula Margarete geb. von Haugwitz verw. Generalin von Nettschütz, man sich er zählt, sie habe während des Baues auf den Baugerüsten gesessen und gesponnen, um die Bauleute zu beaufsichtigen und zur Arbeit anzuhalten. Wir treten aus dem Walde auf die Landstraße, die von Bautzen nach Schmölln führt. Bogelbeerbäume prah len an beiden Seiten der Straße mit ihren schweren, roten Früchten. Auf einem Feldwege gelangen wir nach Neu- kirch, einem der vielen langen Weberdörfer der Lausitz. In den bescheidenen Hausgärten blühen Astern und Geor ginen, hängen die Obstbäume ihre früchteschweren Äste. Vor den weißgestrichenen Rundfensterbogen stehen Fuch sien und Storchschnabel. Kinder spielen vor den Haus türen in der warmen Mittagssonne. Die zwei Alten auf dem Valtenberge Die weißgetünchten Häuser von Neukirch blitzen in der Sonne, bis sich plötzlich der Wald vor die bunte Land schaft schiebt und das farbenfrohe Bild auslöscht. Der Weg wird zum Pfad. Der Wald schwarz wie die Nacht. Die Fichten greifen über uns fest ineinander und wehren der Sonne den Zutritt. Wir steigen den Berg hinauf, von dem viele Sagen im Volke leben. Auf dem die Alaunwurzel am Johannes- tag blüht und dem Menschen, der sie ausgräbt und wohl pflegt, reichen Segen bringt,- auf dem die Farnwedel stehen, deren Same die Menschen, die an ihn streifen, un sichtbar machen,- in dessen Innern Schätze verborgen sind, um derentwillen Walen aus Venedig kamen und in den Bergwässern und in der Erde schürften und seltsame Zei chen in Steine grnben. Als wir oben auf dem Kammweg stehen und in das Wogen der böhmischen Berge sehen, kommen uns zwei alte Leute entgegen. Ein Kleinbauer aus Neukirch im himmelblauen Anzug, einen uralten Strohhut auf dem Silberhaar, in der Hand einen Knotenstock. Seine Frau, gebückt vom Alter, im sogenannten Kirchenstaate. Beide schreiten rüstig aus. „Gun Tag oh," tritt das alte Bäuerlein an mich heran. „Mag ich oh amol durch Ihren Gucker sahn?" „Aber herzlich gern!" Die beiden Alten schauen abwechselnd, ganz selig, durch mein Glas. Wohl das erste Mal in ihrem langen Leben haben sie einen Feldstecher in der Hand. „Nee, woas is ock doas ver a Barg, dar do aussitt wie a Futterschoberch?" fragt die Frau. Ich versuche an Hand der Karte festzüstellen und gebe Bescheid. „Ja su, ja su" murmelt sie für sich hin. „Mär sein aus Neukirch," fängt dann die Frau im Weitergehen zu erzählen an. „'s ganze Juhr wullt'n mer schun immer namol nff'n Barg gihn, 's is aber immer ne gewurn, und fett Pfingsten hot's ju bale alle Sunnt'ge. gerahnt!" „Ja, vill mol warr'n mer suwiesu nemieh ruff kumm'," Meinte der Alte, „ich war nu uff'n Novembr 76! Do ver- bittch's dann alleene!" „Aber immer noch rüstig, sogar zum Berge steigen!" „Mär senn woas gewöhne gewurn a nnsen Labn und, 's is ern o schiene, wenn ma uff senne ahlen Tage o no manchmal a an Sunnt'ge an Buusch giehn koan." „Nee sieh ock, woas do ver Bucht'n leihn. Die hult kee Mensch," sagt die Frau und zeigt dabei auf dürres Holz und Reisig, das in großen Mengen herum liegt. „Doas muß verfaul'«!" „Ja, heute kuch'n se alle mit Goas, do brauchense sich nemieh zu bücken. Jtze hab'« ses lechter. Doas muß ver- faul'n." „Do kenntste ja etliche Pfaarfuder heembreng'n. Doas luhnte sich urndlich, do langt'n mer 'n Winter durch." Noch einmal lichtet sich der Wald und der Ausblick wird frei. Weit dehnt sich das Lausitzer Hügelland. Dörfer mit weißen Kirchtürmen blinken in der Nachmittagssonne. Inmitten des bunten Teppichs viele rote Dächer: Bautzen, die türmereichste Stadt der Lausitz. Wälder zerfließen in blauen Schleiern am Horizont. Aus ihnen erstehen lange weiße Sandbänke, die glitzernden Halden der Grube Wer- minghoff in der preußischen Lausitz. Wieder schaut der Alte durchs Glas, suchen seine wasserhellen Augen das Heimattal und die heimatlichen Berge und Wälder. „Ja, ja, 's is schiene do ubn," sagt er, zögernd das Glas zurückgebend. Er vermag sich von dem prächtigen Landschaftsbilbe nicht zu trennen. „Nu kumm ock bale, drüben trink'n mär Kofsee. Mär müssen doch bale do senn," mahnt seine Frau zum Weiter gehen. Am steinernen Turme auf dem Berge trennen wir uns. Auf und nieder schwebt sein verwitterter Strohhut und immer wieder ruft er uns nach: „Gesondes Wiederseehn! Gesondes Wiederseehn!" Der Wald hat uns ausgenommen. Die zwei Alten werden oben auf dem Berge in glückseliger Zufriedenheit bescheiden Kaffee trinken und sich des guten Tages freuen, den sie sich gemacht. Doch wir werden sie nimmer im Leben „wieder — se — hen". Schulfest in Langbnrkersdorf—Neustadt Kreuz und quer streifen wir durch den „Hohwald", bis wir hinter der Hohwaldschenke die Landstraße betreten, die die Lausitz mit dem Meißner Land verbindet. Der Valten- berg mit seiner waldreichen Vorhut und Nachhut, die sich um ihn wie Knappen gruppieren, liegt hinter uns. Im Tale träumt die schmucke Stadt Neustadt im Sonntagnachmittagsfrieden, wandert das Blumenmacher- dorf Langburkersdvrf nach der böhmischen Grenze, schwingt sich vor die vielen böhmischen Berge der Tanzplan bei Sebnitz. Der Wind trägt Bruchstücke von Volksweisen die weiße Landstraße herauf. Unten an der Straße ein dich tes Gewimmel von Menschen, bunten Fahnen und Stan gen mit Wimpeln. Die Schuljugend feiert ihr Jahresfest, ihr Schulfest. An zwei Tagen im Jahr strahlt der Kinderhimmel be sonders hell: am Weihnachtstage und am Schulfest. Und heute ist Schulfest! Alles dreht sich heute nm sie, die kleinen Schulmädchen und Jungen! Ihretwegen hat man die Häuser geschmückt, Girlanden über die Straße gezogen, Zelte gebaut und einen Festplatz gerichtet. Ihretwegen flattern die Fahnen im Wind, spielen die Musikanten lustige Weisen. Welch schöner Tag! Wie wichtig sich heute ein jedes vorkommt. Kleine Mädchen in weißen Kleidern, Kränze im Haar, mit geröteten Wangen, fassen sich zum Reigen, zu Spiel und Tanz, während die Jungens nicht müde werden mit der Armbrust nach drei farbenfrohen Adlern zu schießen, am Knackwürstelbaum hochzuklettern und die zappelnden Dinger zu ergreifen versuchen. Die Stadt ist derweil wie ausgestorben. Doch: „das Auge des Gesetzes wacht!" Auf der Mitte des Marktes steht das Rathaus und schaut mit seinen strengen Fenstern und spitzem Dachreiter in jede Straße und Gasse, die auf den Markt mündet. Bürger, feiere ruhig mit deiner