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„Da die Frau — da das Kindl Ein Würmel, das noch keinen Verstand hat, das noch nicht am Leben hängt, das bleibt, und die Frau muß gehen! Wo ist da noch ein Sinn?" „Gott weiß allein " „Mutter, verschone mich mit solchem Trost!" wehrte er ab. „Mit diesem blinden Wüten bringe den lieben Gott nicht in Verbindung!" Er ging hinauf und fand sein Weib, das ein paar Stunden geschlafen hatte, ziemlich aufgeräumt und mit zu friedenem Antlitz. Schon wollte der Gatte, der diesen Sonnenschimmer als ein Überwunden deutete, aufjubeln, als die Kranke mit beiden Händen seine Rechte ergriff und ruhigen Tones sprach: „Du bist immer gut zu mir gewesen, Johann, ich danke Dir! Gerne wäre ich noch lange bei Dir geblieben." Der Mann, dem die schwarze Wahrheit sich so plötzlich enthüllt hatte, daß seine Sinne und sein Geist wie gelähmt waren, stützte sich mit seiner freien Hand auf die Bettkante und war keines Wortes mächtig. Er wußte nach zwei Mi nuten nicht, wie es kam, daß er seinem scheidenden Weibe das Kind in den Arm legte. Und er erwachte aus diesem Traumzustande erst durch Elsas Worte: „Wie gut, daß ich Dir bas Kind gab!" Einen seelenvollen, lieben Blick emp fing er, da wußte er, daß es soweit war. Er sah, wie ihre Züge sich veränderten und wie ihre Brust nach Atem rang. Schnell legte er das Kind an das Fußende des Bettes und reichte dann der Sterbenden die Hände. Krampfhaft umspannten die ihren sie, als versänke sie in die Tiefe. Ihre Augen öffneten sich weit, wie Johann es nur in der Geburtsstunde des Kindes bei ihr gesehen hatte, aber sie schrie nicht, sie keuchte nur kurz. Der Geruch ihres Atems machte, daß er den Kopf zurückwarf. „Elsa! Elsa!" preßte er halblaut immer wieder hervor, indem er mit Anstrengung aller Kräfte das krampfhafte Rucken und Stoßen ihrer Arme zu bändigen suchte. Und dann sank er aus sie nieder Er fuhr empor. Wo war er? Es war finster. Das Kind schrie. „Johann!" rief's, und an der Tür pochte es. Er schleppte sich hin und zog den Riegel zurück. Da besann er sich, den Riegel hatte er, als er das Kind herauf brachte, vorgeschoben, damit er in ihrer letzten Stunde ganz allein mit ihr sei. „Mutter," sagte er fast tonlos, „sie ist gestorben. — Nimm das Kind weg." 5. Es waren nur die Kranken und die Greise daheim geblieben, das ganze Dorf gab der jungen Frau das Ge leit. Der Geistliche suchte Trost zu schöpfen aus dem Worte: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, sind auch meine Gedanken höher als eure Gedanken und meine Wege höher als eure Wege." Aber es gelang ihm nicht, nur den leise sten Abglanz des versöhnenden Gedankens auf das fahle, von Gram entstellte Gesicht des verlassenen Gatten zu rufen. Nachdem dieser aus dem Körbchen, das ihm die Toten frau reichte, ein paar grüne Zweiglein und zarte, weiße Frühlingsglöckchen als letzten Gruß ins Grab gestreut hatte, kehrte er sich um und schritt, seine Mutter und die alten zusammengesunkenen Schwiegereltern mit dem gan zen Gefolge von Freunden und Bekannten zurücklassend, langsam zwischen den Hügeln hin und durch das grüne Gattertor davon. Die Leute verwunderten sich, sie hatten es noch nicht erlebt, daß einer auf des Pfarrers und ihre Beileidsworte verzichtete. Manche bekamen eine bange Furcht, der Un glückliche könne sich aus Verzweiflung etwas antun. Man wollte ihm jemanden nachschicken. Frau Alwine aber, als sie es bemerkte, verbot es, man solle Johann allein lassen. Sie lud auch niemanden zu dem üblichen Trauermahl ein, sie wußte, obgleich sie mit Johann nicht darüber gesprochen hatte, daß et auch von dieser Sitte abwetchen wollte. Sie kehrte nur mit den schmerzgebeugten Webersleuten zurück und wachte, daß nichts geschah, was ihres Sohnes Trauer um die Gattin beleidigen könnte. Diese drei Leute saßen um den Korb, in dem das Kindchen lächelnden Antlitzes seinen Nachmittagsschlum mer hielt. »Darmes Kindel!" klagte die kleine greise Frau Lieb schern, und aus ihren rotgeweinten Augen brach von neuem der Tränenstrom. Da fielen auch der Vater Lieb scher und Frau Alwine in lautes Schluchzen, das sie müh sam unterdrückt hatten. Zum Schmerz um das Hingeschiedene junge Weib trat das Mitleid mit dem mutterlosen Wesen da im Korbe. Welch traurige Lose mochten dem noch bevorstehett! Das Schluchzen öer Frauen, die Seufzer des Groß- vätsrs weckten das Kind. Es schlug mit den kleinen Händ chen in die Kissen, und, den Kopf hin- und herwendend, entdeckte es die Gesellschaft. In einem lautlosen, aber aller liebsten Lachen, schnellen Bewegungen des Kopfes und der Hände tat es seine Freude kund. Da hob Frau Alwine es heraus und nahm es aus den Arm. Die drei Alten beugten sich über das kleine frohe Wesen, die Tränen in ihren Augen funkelten wie die Tropfen an den Zweigen, wenn die Sonne hinter den Wolken hervorgebrochen ist und alles hell durchleuchtet. Sie redeten mit ihm, sie streichelten die zarten Händchen, und eins nach dem andern nahm es auf den Schoß: sie wollten dem Kinde doppelte Liebe erweisen, sie wollten, solange Gott ihnen dazu noch Zeit schenkte, es auf dem Weg ins Leben so treu und liebend führen, wie es nur die Mutter tun könnte. Und das Kind, als ob es all die Liebe fühlte, dankte dafür mit immer neuem Lachen. Da hatten sie den Trost gefunden, der ihren Schmerz ein wenig zu mildern vermochte: dem Kinde wollten sie Gutes tun, um der Ver storbenen übers Grab hinaus Liebe zu erivetsen. Johann Heidorn saß oben in der Kammer auf Elsas Bett. Die Frühlingssonne schien freundlich herein. Ein Fink pfiff hell und laut im Birnbaum vor den Fenstern. Aber sonst war hier alles noch tot. Der starke Geruch von Lorbeerkränzen erfüllte den Raum. Den Spiegel verhüllte noch ein weißes Tuch. Die kleine Weckuhr auf der Kom mode, die sonst so fröhlich getickt und am Morgen die jun gen Eheleute mit schrillem Läuten zum neuen Tagewerk gerufen hatte, schwieg. Der Mann da auf dem Bette war nicht der junge, schasfensfrohe Meister von eh. Er war ein Greis, mit tie fen Falten im bleichen Gesicht und müden Augen, mit schlaffen Gliedern, vorgebeugtem Kopf, mit abgestumpften Sinnen. Er hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt und die Stirn in die Hände sinken lassen. So saß er und sann und sann, immer nur eins: die treue, liebe Gattin, die seligen kurzen Tage des Zusammenlebens. Er konnte und wollte sich nicht loslösen von dem, was Vergangenheit geworden war. Es glich nun ein Tag dem andern. Der Bäcker be reitete hastig den Teig, wog ab und verschwand, alles andere dem Lehrjungen und der Mutter überlassend. Die wußten ihn oben in der Kammer und störten ihn nicht. Aber die Brotfuhren in die Nachbardörfer machte Jo hann allein. So zeitig wie möglich fuhr er fort, und spät kam er zurück. Er kehrte, was er früher nie getan, jedes mal ein und saß eine Stunde und länger in einer kleinen Schänke, die an seinem Heimwege lag. lFwtsetzmra fokal) Wervt für vte «verlaufitzer Heimatzeitung t Probenummern werden auf Wunsch kostenlos und portofrei zugesandt