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Erweiterung für den städtischen Teil dar. Halbkreisförmig umgeben ward die Gesamtanlage und wird sie noch heute eingeschlossen von zahlreichen Grüften, die in die Erde hineingemauert sind. — Eine Sonderstellung nimmt von ihnen nur die Gruft des letzten Posthalters Lorenz ein, welche sich dicht an der Straße befindet. In ihren Mauern stehen die Särge der Familienangehörigen übereinander. Vor einem Begräbnis wurden jeweils die betr. Mauer teile aufgebrochen. Während im übrigen die Begräbnisfeierlichkeiten für die Verstorbenen unserer Stadt dieselben Formen auf wiesen, wie wir sie heute pflegen, sei nur die Bestattungs weise der Dorfschaften im besonderen erwähnt. Auf ge wöhnlichem Wagen ward der Sarg nach der Stadt gebracht. In der Spremberger Straße bei Kappas Schmiede, vor dem Friedhöfe, an der Elsterbrücke in der Nähe des heutigen Postamtes oder vor der Kirche zwischen dem Haupteingang und dem Kriegerdenkmal setzte man ihn auf eine Bahre. Gegenüber im Gebäude der heutigen Drogerie Leißnig betrieb Meister Niemz sein Tischlerhandwerk. Gar oft standen seine Truhen, mit roten Tulpen bemalt, oder andere fertiggestellte Möbel zum Trocknen auf der Straße. Die Leidtragenden versammelten sich dann ebenfalls hier, und nach dem Gesänge der Chorknaben: „Ich will euch nicht verhalten, liebe Brüder," bewegte sich der Trauer zug nach dem Friedhöfe. Am offenen Grabe fand die kurze Einsegnung des Verstorbenen statt, und dann begab man sich in die Begräbnisktrche. Sie war, nachdem sic 1812-13 als Lazarett gedient hatte, 1886 erneuert worden und trug einen höheren Turm als heute. Im Lied und Wort des Trauergottesdienstes ward des Verstorbenen noch einmal gedacht und seinem Leben Würdigung zuteil. Anschließend luden die Hinterbliebenen ihre Verwandten und Bekannten zum Leichenschmaus« ein. Man begab sich in eins der Bürgerhäuser, dessen Besitzer das „Holz" hinausgehängt hatte. Das war ein aufgefasertes Stück Holz und gab kund, in welchem Hause jeweils Bier erhältlich war. Von da heim hatten die Landleute Brot, Butter und Käse mit gebracht. Auch manch Hoyerswerdaer Bürgerkind hegte für diese Käsebrote eine gewisse Vorliebe und versuchte, durch freundliches Bitten einen gütigen Spender zu ge winnen. Ohne jede Feierlichkeit, ja würdelos, wurde zu dama liger Zeit der betgesetzt, der seinem Leben selbst ein Ziel gesetzt. Sein Sarg wurde aus ungehobelten Brettern her gestellt. Statt des formgebenöen Deckels gaben roh gelassene Bretter den Abschluß. Dafür hatte der Volksmund eine treffende Bezeichnung gefunden, die uns heute die ehr würdigen Alten nicht ohne ein ironisches Lächeln wieder geben. Vor Sonnenaufgang oder nachdem des Tages Licht zur Rüste gegangen, ward die Leiche nach dem Friedhöfe gebracht. An der Nordostecke warfen die Träger den Sarg über die Mauer, die damals aus Felsstetnen erbaut und niedriger gehalten war. Den Angehörigen blieb dann die Pflicht, die Arbeit des Totengräbers selbst zu vollziehen. Noch eine seltsame Geschichte raunen die alten Baum kronen einander zu: Wie einst eine Frau begraben, dis ihrer Pflegerin aufgetragen, sie in seidenem Kleid zu be statten. Doch Vorliebe für den schimmernden Tand hatte die Lebende zurückgehalten, den letzten Wunsch der Toten zu erfüllen. Dies Versäumnis sollte nicht ungesühnt bleiben. Wie auch sonst im menschlichen Leben, erwachte das Ge wissen über dem Wissen dieser Schuld. Und nicht eher ward der Ungetreuen Ruhe zuteil, als bis sie mit Erlaub nis der Hinterbliebenen herzhafte Männer gewann, die des Nachts noch einmal den Sarg im Erbenschoße öffneten und dann das Kleid hineinlegten. Wett größeres Interesse brachten nicht nur die hie sigen Bürger, sondern auch viele Fremde dem Ereignis des 18. Januar 1866 entgegen. In dem Hause Nr. 20 der Spremberger Straße war ein Toter aufgebahrt worben, der einst als Tuchmacher in der Spremberger Tuchmacherei tätig gewesen war und hier die letzten Jahre seines Lebens gewohnt hatte. Über sein Schicksal aber ging in der Stadt von Mund zu Mund die Kunde — später auch in schrift lichen Aufzeichnungen von Hand zu Hand — daß dieser Mann fürstliche Abstammung aufzuweisen habe. Und so finden wir noch heute —auf der Westseite — ein schlichtes, schwarzes Holzkreuz mit weißer Inschrift: „Hier ruht in Gott Friedrich August von Sachsen, genannt Lehmann. Er wurde geboren im Jahre 1774 und starb den 18. Januar 1856. Groß und reich ward ich geboren. Ärmlich wurde ich erzogen. Mühselig war mein ganzes Leben, Ich ward verfolgt auf allen Wegen, Bis ich dereinst zum Himmel an . Vollendet hatte meine Bahn." Erneut beschäftigte sich die Öffentlichkeit mit dem Schicksal der Brüder, als ein Fremder am 30. Mai 1908 eine Kranzspende niederlegte, auf deren Schleife man las: „Gewidmet von Deinem von gleichem Schicksal betroffenen Geza von Wettin." Benachbart schauen wir das Grabmal des Pastor Primarius Kubitz, welcher bei der Weihe des Turmes unserer Stabtkirche die Feierlichkeiten leitete. Daneben halten gleich ehernen Wächtern zwei große Grabkreuze in schmiedeeiserner Ausführung nun schon jahrzehntelang getreue Totenwacht. Ein über dem Sockel noch zwei Meter hohes Eisenkreuz erhebt sich auf der entgegengesetzten Seite des Prinzengrabes. Davor steht ein Grabstein mit sinn reicher Rückseite: Aufgerichtet schauen wir ein Kreuz, das eine von Schmerz und Trauer gebeugte weibliche Gestalt mit gefalteten Händen umklammert,- ein Lamm ruht vor ihr auf einem Stein. Und dazu kündet die Vorderseite: „Fromm, unermüdet, den Tod unter vielen Leibesletden erwartend, lebte .... und schläft hier in Frieden bis zum Schall der Posauuen Gottes." Dabei sei einmal allgemein die Fassung der Aufschrif ten aus früherer Zeit verglichen mit der unserer Gegen wart. Jetzt werden manchmal nur die Familiennamen verzeichnet. Sind einesteils die früheren Inschriften zu lang und ausführlich für unser gegenwärtiges Empfinden gehalten, so müssen wir andererseits bezüglich der ganz kurzen Fassung feststellen, daß sie zu wentgsagend ist. Sie kündet nichts dem die Grabreihen Durchschreitenden und ist, kulturell gedeutet, für eine spätere Zeit ergebnislos. Schont mahnt der Pendelschlag der Zeit zum Aufbruch. Gern möchten sich die sinnenden Gedanken emporranken von den Grabeshügeln des Erdenschoßes —gleich dem Efeu, der die hohen Baumstämme erklimmt, oder wie die gefiederten Sänger, die sich von den hohen Baumkronen in die sonnenerfüllte Luft emporschwingen, um das ewige Geheimnis des Werdeganges der Menschheit zu ergrübeln. „Warum? So fragt der forschende Verstand, Warum so früh in's bessre Vaterland? Der Herr, so tönt's, der Herr ist's, der da ruft, Die Sterbenden zur Wiege wie zur Gruft," kündet schlicht ein Grabsteinspruch. Und nachdem wir dir Tore des Raumes geschlossen, da uns stillster Friede um gab und die Vergangenheit ihre Grüße entbot, zwingt uns der flutende Verkehr der Hauptstraße in den Bann der Erscheinungen rastloser Gegenwart. Fünfundzwanzig Jahre sind nunmehr ins Land ge. gangen, daß auf diesem „Alten Friedhof" keine Beerdigun gen mehr stattfinden. Und um die Weihnachtszeit von 1901 bewegte alle Gemüter die bange Frage, wer wohl zuerst dort draußen auf dem Neuen Friedhof zur letzten Ruhe gebracht würde. Die Beratungen hatten