Volltext Seite (XML)
Sie nahm teil an ihrem Hochzeitsfeste. Und es war ihr auf einmal wie ein Wunder, daß das leuchtende Gestirn des Glücks, das sic in Tränmen entzückt hatte, nun doch ins Irdische getreten war. Ein paar schlichte Worte sprach sie zu dem Gnädigen oben, dankte, daß er sie nnd die alten Eltern diesen Tag erleben ließ, und, bat, er möchte auch weiterhin bei ihr und ihrem Manne und allen ihren Lieben sein. Und wie eine Antwort: „Ja ja, es soll also geschehen!" tönten in vollen, schönen Akkorden die neuen Glocken, die zum ersten Male riefen. Bis sie verhallten, wartete Elsa in der Kammer. Dann ging sie hinunter zu Vater und Mutter. Die begrüßten ihr Kind mit nassen Augen. Sie redeten wenig, aber jedes ihrer Worte war ein Liebeswort, und wenn es auch nur eine äußerliche Angelegenheit betraf. Es war ein schmerzvolles Abschiednehmen vom ein zigen Kinde. Bis ein blanker, schwarzer Kutschwagen mit einem Paar blumengeschmückter Rappen kam, um sie ab zuholen. „Mit Gott, meine Elsa!" Daß Du und Du magst immer recht glücklich sein!" sagte die Mutter und ließ sich von der Tochter den Abschiedskuß geben. Der Vater aber im engen, verschossenen schwarzen Rock und mit dem hohen Zylinder stieg mit in die Kutsche; denn die Väter begleiteten das Paar zum Standesbeamten und wohnten dem Akte als Zeugen bei. Indessen sausten andere Kutschen durchs Dorf, die die Gäste einholten. Und gleich nach der Rückkehr des Paares vom Standesamte fuhren die festlich geschmückten Ge schirre zur Kirche. Vom grünen Gattertore bis an die Haupttür standen Frauen, Kinder und auch Männer Kopf an Kopf. Ein Tuscheln und Raunen pflanzte sich rechts und links des langsam hindurchschreitenden Brautzuges fort. Die Blu menstreumädchen im Schmucke gebrannter Locken und nied licher Kränzchen warfen junges Grün, Himmelschlüssel, Schneeglöckchen ans den Weg. Das Brautpaar schritt dar über hin, leicht, strahlend. Es vernahm nicht die Bewunde rungsreden der Zuschauer, die vor allem das Lob des seidenen Brautkleides in allen Tonarten, oft nut neid bitterem Beigeschmack, sangen. Hochaufgerichtet ging er, Ehregott Heidorns Sohn; denn er führte die schönste, reinste, geliebteste Braut zum Altar. Die Züchtjungfern, die Elternpaare, die Paten nnd Gäste folgten. Als der Zug die Tür erreichte, drängte die Menge ins Gotteshaus hinein, füllte Schiff und Emporen! Der Kan tor, ein begeisterter Musiker, der jede Gelegenheit zu einer Extramustk mit Freuden begrüßte, spielte zu Ehren seines Sängers und Freundes einen zum Himmel aufjubelnden Hymnus vom großen Meister Sebastian. Weihevolle Stim mung mar im schlichten Hause. Aller Augen waren nach dem Altarplatz gerichtet, wo der Brautzug auf zwei in: halbkreisförmigen Bogen um das Brautpaar aufgestellten Stuhlreihen Platz genommen hatte. Der Pfarrer legte seiner Traurede die Worte des Psalmisten über den Segen des Frommen im Hausstande zugrunde: Wohl dem, der den Herrn fürchtet und auf seinen Wegen gehet! Du wirst dich nähren deiner Hände Arbeit; wohl dir, du hast's gut! Dein Weib wird sein wie ein fruchtbarer Weinstock drinnen in deinem Hause, deine Kinder wie Öl zweige um deinen Tisch her. Siehe, also wird gesegnet der Mann, der den Herrn fürchtet. Der Herr wird dich segnen aus Zion, daß du sehest das Glück Jerusalems dein Leben lang und sehest deiner Kinder Kinder! Friede über Israel! Ehregott Heidorn hatte diesen Text ausgesucht und den Kindern empfohlen. Alle waren mit seiner Wahl sehr zu frieden; denn gar schöne Gedanken holte der Geistliche aus dem Bibelwvrt. Der Gemischte Chor sang seinen Mitgliedern den drei- undzwanzigsten Psalm, der zu Johannes Lieblings gesängen gehörte. Frohe Zuversicht zum guten Hirten klang ihnen, die von heute an gemeinsam über die große, unbekannte Erquickung und Gefahren bietende, bald hell besonnte, bald düster beschattete Weide des Lebens gehen wollten, aus Davids Worten. Und was auch Schweres kommen sollte, sie wollten es gemeinsam mutig tragen. Sie hatten sich ja lieb. So klang denn das „Ja" aus seinem und aus ihrem Munde freudig, fest; sie hatten darauf gewartet, vor hundert Zeugen die sen Schwur zu tun. Unter dem tiefen, vollen Klange der Glocken sprach der Geistliche den Segen über den beiden glücklichen Menschenkindern. Als das Paar über die Schwelle hinaustrat, fühlte der Bräutigam ein Zucken des Armes, der in seinem lag. Er sah Elsa an. Und es war, wie wenn ein Wolkenschatten über die Flur huscht, es schwand das Leuchten von ihrem Gesicht. Dann sah er's. Ein Vorhang aus dünnen Regenfäden verhüllte die Sonne. Leichte Tropfen trafen sein Gesicht. Sie schritten rascher. Frau Alwine eilte vor, half der Braut und den Blu menmädchen beim Einsteigen. Kaum war die Tür zuge schlagen, rollte der Wagen davon, damit dje übrigen nicht durchnäßt würden; denn es regnete stärker. Die Zu schauer zerstreuten sich. Als Johann gewahr wurde, daß Elsas Augen voll Wasser standen, lachte er: „Aber Liebste, sei nicht aber gläubisch. Und wenn schon, dann wisse, daß Regen ein köst liches Naß ist für Pflanzen, Tiere und Menschen! Was Gittes kann es nur bedeuten!" „Nicht wahr, regnen muß es. Und tüchtig, sonst wüch sen keine Blumen, keine Birnen und Kirschen!" wandte er sich zu den kleinen Blumenmädchen, die das Glück ge nossen, mit in der Brautkutsche fahren zu dürfen. Sic lachten schämisch. Es war doch eine große Ehre, vom Bräutigam angeredet zu werden. Der gehörte schon wieder seiner holden Braut. „Bloß dieses Naß braucht die Welt nicht, Liebste!" Und er trock nete ihr die Tränen von den Wangen ab. Da hielt auf einmal der Wagen an, und lautes Ge johle erscholl auf beiden Seiten. An die Fenster wurde ge klopft. „Durchfahrt lösen oder sitzen bleiben!" Die Kinder waren erschrocken, faßten ihr Körbchen fester, aber Elsa beschwichtigte lachend die zaghaften Kleinen, sie brauchten keine Angst zu haben, die Jungens hätten Leine gezogen Der Bräutigam suchte mit der weißbehandschnhten Rech ten in den Taschen nach den Münzen, die er für jeden Fall eingesteckt hatte. „Ich bin doch dafür, daß wir vollends hetmfahren," meinte er, zog das eine Fenster herunter und streute eine Anzahl Münzen hinaus. „Erlöst!" johlte es, und im nächsten Augenblick zogen die Rosse wieder an. Über ein Weilchen saß das Brautpaar auf den gir landengeschmückten Stühlen hinter der mit Schüsseln, Tellern, Gläsern, Flaschen, Blumenstöcken vollbesetzten Tafel und empfing herzliche Glückwünsche und gut ge meinte reichliche Geschenke unter lustigen oder ernsten Be gleitworten. Dann hallte das Haus wieder von Gesang und Lachen. Wer selbst nichts darzubieten hatte, tat wenig stens das Seinige am Beifall für die anderen. Ein füns Viertel Ellen langes Tafellted wurde ans die Weise „Es braust ein Ruf wie Donnerhall" abgesungen, da konnte manche Männerkehle sich austoben, während die Stimmen einiger alter Frauen die kühnen Sprünge zag und unsicher ausführten und in den hohen Regionen das schauerliche Heulen der Windsbraut boten. Aber schön war es: denn der Dichter hatte manchen Spaß hineingewoben. An sol-