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Der Vater Oberlansitzer Erzählung von Oskar Schwär (Fortsetzung) Als aber am letzten Abend die Borntöpfe an den Stufen vor dem Laden zerkrachten, Blechdosen zerschell ten, ganze Scherbenhagel unter den Fenstern niederklirr- tcn, da war alles zu froher Feier bereit. Frau Alwine und ihre verwitwete Schwester, die aus Holzminden an der Weser, wo sie ihres Mannes Gärtneret wetterbetrieb, zum frohen Feste erschienen war, durften freilich auch am Polterabende weidlich schwitzen wie die fünf gefüllten Zickel und die beiden Brotteigschinken in den großen tönernen Pfannen im Backofen. Sie trugen Warm und Kalt, braunes Md lichtes Bier und einen treff lichen Wein auf. Bei aller Knurrigkeit hatte Ehregott Hei dorn doch sich redlich bemüht, sein Teil zum Gelingen des Festes beizutragen. Mit dem Korbwägelchen, das er vor nicht langer Zeit angeschafft hatte, damit er mit Familie Sonntags manchmal über Land spazieren fahren könne, war er selbst und eigens zur Besorgung eines edlen Tropfens zur Stadt gefahren und hatte zum dicken Wein händler Anicke gemeint: „Das passiert uns nur ei-nmal. Leider! Und da will ich mich nich lumpen lassen! Ja, tun Sie fünfzehn Mosel dazu. Und Roten natürlich,' denn die Geschmäcker sinn verschieden." Und er trank dem lieben Brautpaare und seiner Alwine nnd den Schwiegerleuten wacker zu. Der alte Weber hatte seit 1870, da er durch die weinreiche Champagne marschierte, keinen Tropfen des feurigen Rebensaftes mehr zu sich genommen. Es war ihm nnfaßlich, daß er bei seiner eigenen Tochter Hochzeit das Getränk der Großen genießen durfte. Jedesmal, wenn der fröhliche Hochzeitswirt ihm einschenkte, schüttelte er das schmale, von einzelnen langen Silberfäden umwehte Haupt: „Nee, nee, 's aber oarg! Ihr meent's zu gutt. Urndlich vnrnahm macht Ihr 's!" Worauf der Bäck ihm etwa er widerte: „Das gedenken wir bloß einmal zu feiern, das Fest. Auf Eure Gesundheit, Vater Liebscher!" Und ganz sacht geriet der nichts Gutes gewöhnte Weber in einen sanften Rausch. Dann griff er auch selbst nach einer Flasche und ließ das funkelnde flüssige Feuer ins Glas strahlen, auch iiber den Rajnd hinausspringen, wo es dann auf dem weißen Linnen oder auf seiner Hose ver löschte. Das trug ihm eine gewisperte „Refcrmande" von feiten seiner alten, treuen Ehehälfte ein, übermütig, wie er aber nun war, hob er ihr das Glas entgegen und meckerte: „Na, Mutter, hihihi! Wirste ne resenieren! Stuß oa! Sollst leben, Mutter! Hihihi!" Sie folgte, sah dann aber gleich zwischen Flaschen und Blumenstöcken hindurch nach dem Paare, ob das etwa Vaters Ungeschick lichkeiten bemerkt habe. Da geschah 's gewöhnlich, daß ihr Elsas und Johanns Augen entgegenleuchteten, und sie wußte, die nehmen 's ihm nicht übel, die freuen sich, daß er auf seine alten Tage noch so fröhlich sein kann. Draußen, vor den Fenstern, reichten Frau Alwine und ihre Schwester einen Teller Kuchen nach den andern um. Da war fröhliches Schmatzen, Lobreden und Glückwünschen allenthalben. Und die bis zu diesem Tage alles getan hat ten, nm das ausgehende Glück zweier junger Dorfgenossen zerstören, waren die lautesten, tauchten jetzt hier, jetzt dort auf, ließen sich immer von neuem zum Zulangen auf fordern, aßen sich den Wanst voll und füllten auch noch ihre Schnbsäcke und Schürzenlatze mit dem Festgebäck. Anch die böhmische Schickse, die schon am Tage so ganz auffällig vorübergegangen war und natürlich nicht ver säumt hatte, einznkehren, um ihren Glückwunsch vorzu bringen nnd ihn sich mit einer guten Wegzehrung bezahlen Zn lassen, befand sich unter der Menge. „Die Biehmsche! Die Biehmsche!" riefen auf einmal ein paar Jungen, die äns zigeunerhafte Weib entdeckten, und diesem Signal » folgte sofort ein mächtiges Drängen. „Weg mit dar Battel- » schickse! Furt! furt!" Ei>c Bursche zerrte sie am dürren Arm durch bas Gewoge, während die anderen ihr mit Schimpf- und Spottreden stark zusetzten. Die Alte über setzte sich tapfer zur Wehr, sie spie und kratzte, biß in die Hand, die ihr eines Gelenk umspannte, sodaß sie im Nu losließ. Dafür wurde sie mit Püffen bearbeitet, über die Straße weggedrängt, bis sie unter mächtigem Hallo der Menge in den tiefen Graben kollerte. Sie sprang aber so fort auf, plantschte ein Stück im Wasser hin, kroch aus der anderen Seite hinaus, wo sie mit keifender Stimme Zeter Mvrdio schrie. „Pfui! Pfui! Ihr mißgünstiges Pack! Anner armen Frau ginn sie nich a Streefel Kuchen! Und sich an anner alten Frau vergreifen, in an Graben stürzen! Der- süufen am liebsten, damit sie halt alles in ihren Nachen schieben können! Pfui! Pfui über Euch sündhaftes Pack! Aber der Himmel wird's Euch halt heemzahlen! Ja, das wird er, wenn Ihr a mal alt sein werd't wie unsereins!" Aber man schenkte ihr weiter kein Gehör und ging ans Hochzeitshaus zurück. Scht scht! machten die Frauen. Die Fenster wurden umdrängt, alles lauschte,' drin trug eine kleine Fünfjährige einen rührend schönen Vers vor. Man konnte jedes Wort vernehmen: denn die Kleine schrie jede Silbe mit schriller Stimme, als ob sie sich tauben Ohren verständlich machen müßte. Dafür erntete sie reichlich Bei fall drin nnd draußen. „Nee, ach Gutt, su a klec Madchel! Und su niedlich! Urndlich goar vurnahme hoat sie's ge macht!" bewunderten sie die Frauen und Mädchen unter den Fenstern. Dieser Polterabend bildete nur den Auftakt zu der Hochzeitsfeier, die nicht nur für das Brautpaar und seine Anverwandten, sondern für das ganze Dorf ein wichtiges Ereignis war. Gegen Mitternacht erst begaben sich Gäste und Fenstergucker nach Haus. Manches Jüngferlein, das in früher Ostermorgenstunde sein Antlitz mit dem reinen, wunderwirkenden Waldguell netzen wollte, um dann in lieblicher Schöne zu, prangen, verschlief diesen Gang und mußte ein weiteres Jahr sich mit den geringen Reizen be gnügen, die ihm mit der Geburt verliehen worden waren. Nur zwei Freundinnen, zwei Betschwestern der Braut, kamen beim ersten Morgengrauen schon zum Bäckerhaus. Einen großen Wäschekorb trugen sie, den stellten sie auf der Steinplatte vor der Tür nieder, und dann begannen sie, wie die Heinzelmännchen emsig und leise zu arbeiten. Mit mitgebrachten Hämmern schlugen sie Näglein über nnd neben der Tür ein, entnahmen dem Korbe eine große Vuchsbaumgirlande mit eingeflochtenen Schneeglöckchen, den ersten leuchtenden Frtthlingskindern, nnd umrahmten damit die Tür. Darüber hingen sie noch Kränze mit Sei denpapierblumen. Dies alles und dazu die Girlanden und Kränze für die Kirche, hatten sie mit anderen Betschwestern an den letzten Abenden bereitet. Sie prüften noch einmal alles, drehten einen Kranz ein wenig, zupften hie und da au der Girlande, damit die zarten, weißen Glöckchen rich tig zur Geltung kamen. Und als sie mit dem Schmucke ganz zufrieden waren, gingen sie davon, froh, ihre Freun dinnentreue durch eine schöne Tat bekundet zu haben, träumerisch lächelnd bei dem Gedanken: bald wird man mir das Gleiche tun. Als Elsa erwachte, begrüßte sie leuchtender Oster sonnenschein. Sie öffnete das kleine Fenster und ließ sich vom frischen, duftigen Lufthauch umspülen. Ihre Augen glänzten: Der Himmel bescherte ihr einen herrlichen Ehren tag. Die Sonne verhieß ihr Glück. Gärten und Wiesen, die Sträucher am Bache, drüben der Hang mit dem Birkengebttsch, das ganze Tal hatte sich iu junges, frisches Grün gekleidet, nnn schimmerte dieses Lcnzgewand im goldigen Lichte wie Seide. Weiße Schneeglöckchen, gelbe Schlüsselblumen, blaue Veilchen waren hineingewoben. Aus dem Nachbardorfe zogen weiche Glockentöne herüber. Elsa lauschte. Wie war die Welt so feierlich, so festlich!