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wirklichen lassen könnten. — Nach Beendigung ihrer Ar beit in Sibirien im Jahre 1920, lange nach Schluß des unglücklichen Krieges, kehrte sie zunächst zurück nach Stockholm zu ihrem todkranken Vater. An seinem Kran kenbett hat sie ihre Aufzeichnungen und Erinnerungen zu sammengefaßt in einem hochinteressanten Buch „Unter .Kriegsgefangenen in Rußland und Sibirien 1914—1920", das zunächst nur in schwedischer Sprache erschien. (Es ist schon längst auch in deutscher Sprache erschienen und sollte überall bekannt sein.) Die schwedische Auflage war schnell stens vergriffen, der Erlös war der Grundstock zur Ver wirklichung ihrer Pläne. Dann hat sie in Schweden und in Amerika Vorträge gehalten, hat dem massenhaft zuströ menden, begeisterten Publikum in schlichter, ergreifender Weise erzählt von den Leiden und Qualen der Kriegs gefangenschaft, hat ihre Pläne entwickelt, wie sie diesen armen Menschen auch weiterhin helfen wolle und hat ge beten, ihr dabei behilflich zu sein. Wie reichlich flössen da die Gaben! Niemand wollte zurückstehen, der starke Opfer wille Elsa Brändströms entzündete Alle! So kam es, daß sie im Jahre 1922 das alte Bad Marienborn in Schmeckwitz kaufen konnte und ausstatten ließ als „Arbeitssanatorium" für ehemalige Kriegsgefan gene aus Rußland. Hier sollte Jeder die Möglichkeit haben, durch freiwillige Arbeitsleistung sich selbst zu stäh len, und das gemeinsame „Plannyheim" zu erhalten. — Aber dabei ließ sie es nicht bewenden. Ein Versprechen, den sterbenden Soldaten in Sibirien gegeben, brannte auf ihrer Seele: die Kinder und Waisen dieser Kriegs märtyrer mußten versorgt werden! So entstand ihre zweite Stiftung, das Kinderheim in Schloß Neusorge bei Altmittweida. Elsa Brändström leitet mit starker Hand beide Heime unter Mitwirkung bewährter Kräfte. Im Sommer ist sie hauptsächlich in Marienborn tätig, um den erholungsuchenden Plannys den Aufenthalt lieb und freundlich zu gestalten. Wer sie dort schalten und wal ten sieht, in ihrer schlichten Größe, ihrer sonnigen, froh gemuten Art, ihrer kraftvollen Gesundheit, der fühlt eine tiefe Verehrung für dieses seltene Menschenkind! Mit Be wunderung muß man daran Senken, wie sie in so jungen Jahren so viel Not und Leid mit all den Tausenden in der Gefangenschaft durchlebt hat. Am 1. September werden es 5 Jahre, seit die ersten Plannygäste in Marienborn einzogen. Man gedenkt, das Stiftungsfest in schlichter Form zu feiern, voll Dankbar keit für diese Heimstätte, die Elsa Brändströms nimmer müde Liebe den Plannys gab und erhielt. Auch wir, die wir verschont geblieben sind von Kriegs elend und Kriegsgefangenschaft, wollen in Dankbarkeit an alle die denken, die für uns gelitten und geblutet haben und die ihr junges Leben unter den Qualen sibirischer Gefangenschaft dahingeben mußten. Und in Dankbarkeit wollen wir an die junge Schwedin denken, die in helden hafter Samariterliebe Unfern Brüdern betstand, und die immer noch für ihr körperliches und seelisches Wohl uner müdlich tätig ist. Wir wollen uns dessen bewußt sein, daß sie, die unter dem Namen „der Engel von Sibirien" in der ganzen Welt bekannt ist, bet uns in der Lausitz lebt. Wir wollen ihr Ehre erweisen, wo immer es möglich ist, und wollen ihr Herz erfreuen durch Beweise unserer Liebe und Huldigung! Wir wollen stolz sein, daß sie in unserer Mitte lebt! Die Balzhütte „Ich weiß ein schönes Örtchen, wo gar zu gern ich bin." Diese Worte fallen mir immer wieder ein, wenn ich an die Balzhütte zurückdenke. Weil mir's ganz tief im Herzen sitzt, will ich den Wanderfreunden davon er zählen. ... Mancher wird vielleicht sofort an die Batzenhütte bei Niederoderwitz denken und sich freuen, einen Druckfehler gefunden zu haben. Bei weitem nicht. Die Balzhütte liegt in der Böhmischen Schweiz, besser gesagt im Daubitzer Gebirge. Ich wollte nach den Kirnschquellen, hatte aber Gelegenheit, im Auto bis nach Schönlinde zu fahren. Wir alle wissen die Musikausführungen zu schützen, die nur Schönltnde herausbringen kann. Manche großen Städte müssen da beschämt beiseite stehen. Während der Inflation frischten hier Ensembles der Dresdner Staatsoper die leeren Beutel auf, boten aber mustergültige Aufführungen, die den Ruf des alten Theaters im nördlichen Zipfel Böhmens zu neuem Glanze brachten. Wer in Schönltnde ist, „steigt" im „Deutschen Haus" ab. Und wer saß da an einem Ecktische? August Stradal war's, der bedeutende Schüler von Franz Liszt. Da ich mich früher einmal köst lich mit ihm über allerlei aus dem Reiche Polyhymnias unterhalten konnte — es war an einem Herbsttage auf dem Gipfel der Lausche — glaubte ich, berechtigt zu sein, wenn ich um einen Platz an seinem Tische bat. Ach, war das köstlich, ihm zu lauschen! Was wußte er noch alles von Weimar, von seinem genialen Lehrer, von seinen älteren Mitschülern! Eine vergangene Zeit erhielt durch ihn neuen Glanz. Mir war es noch zu früh am Tage, als daß ich mich die übrige Zeit hier vergnügen wollte. Freundlich schüttelte mir der Meister mit dem Löwen haupte die Hand beim Abschiede, da stand ich denn wieder auf dem Marktplatze. Schön liegt das betriebsame Städt chen, in einem Tale, rings herum von Anhöhen eingeschlos sen. An der Westseite schließt die Höchstliegende Barock kirche den Platz ab. Vier Hauptstraßen gehen von hier aus nach allen Richtungen. Da stand eine Gruppe von Wandersleuten unent schlossen zusammen. Sie berieten über ein passendes Ziel. Einer zog die Karte und nannte die Balzhütte. Jeder griff nach seiner Karte, ein Bild, das Reißigers Chor „Den Finger drauf, das nehmen wir" lebhaft aus der Ver gangenheit heraufholte. Der Reiz der Neuheit überkam die Kartenleser, sie baten mich um Auskunft. Aber, wie soll man raten, wenn alle Kenntnis fehlt? Ich schließe mich ihnen an. Am Friedhof, ganz in einem Park ge legen, mit wundersamen Grabdenkmälern, kommen wir vorüber, immer die Daubitzer Straße entlang. Holzfuhr leute mühen sich mit ihren Lasten den harten Berg herauf, manchmal scheint die Kraft der braven Tiere zu versagen. Sie müssen vorspannen. Die letzten Triumphe der listigen Nonne. Uns nimmt ein schattiger Wald auf, der wohltuende Kühle um uns ausstrahlt. Kurz vor Daubttz wird das Ge lände offen. Verstreut liegen die einzelnen Häuser. Maje stätisch grüßt von der Höhe die weißgetünchte Kirche. Am Ausgange des Dorfes beginnt wieder Wald, der sich bis zur Elbe hinzieht. Ein typisches Tal aus dem Sandstein gebirge, eng, Felsen zu beiden Seiten türmen sich auf, kecke Tannen und Fichten krönen die Kuppen, silberhell und eiskalt strömt zur Linken ein Wasser dahin, das den Kreibitzbach sucht. In zahllosen Windungen schlängelt es sich dahin. Am „Wüsten Schloß", einem kleinen Einkehr haus, das den Namen Lügen straft, biegt der Weg nach rechts. Noch schöner, noch reizvoller, noch enger wird der Weg. Ein Waldpfad zeigt den Weg zum Rudolfstein, wir achten seiner nicht. Da taucht eine hohe Fichte auf. Uralt muß sie sein, „Schlangenfichte" ist sie benannt. Der Blick wird freier, Buschwerk mischt sich unter die alleinstehen den Bäume. Zur Rechten ist ein Kreuz errichtet mit dem lebensgroßen Crucifixus, geziert mit Kränzen und den ersten Frühlingsblumen, und an der Wegebiegung legt sich breit und behäbig ein Blockhaus hin, nein, zwei sind es, drei sogar, wie wir beim Näherkommen bemerken. Das ist die Balzhütte.