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Stuben und sitzet nicht müßig. Wir wollen bald unsere Suppe verzehren, wenn ich heimgekehrt bin, und am Nachmittag still den Tag des Herrn heiligen. In den Stall brauchet ihr nicht zu laufen, ich werde itzt noch die Ziegen besorgen." Damit enteilte sie nach dem kleinen Ställchen, wo ihr die beiden Geißen mit erlöstem Gemecker entgegenglotzien. Da nun die brave Witfrau eine Freundin aller Geschöpfe war und von einer ehrlichen Redseligkeit besessen, so gab es viel Wiedersehensfreude und während des Fütterns einen Herz, lichen Diskurs über die Ängste und den Schlaf der verflosse nen Nacht wie über das fromme Vorhaben des Weibes und die Aussichten des aufsteigenden Tages überhaupt. Die Tiere blickten verständnisvoll und malmten mit dankbaren Zähnen ihr Heu. Als aber endlich die Witfrau sich trennte von ihnen, da hatten die Glocken des Kirchleins zu Poßtwitz schon lang begonnen zum Dienste des Herrn zu laden, und wie sie, das dicke Gesangbuch unterm Arm, darin sie zwar nicht lesen konnte, das ihr aber dennoch das heilige Begleitgerät jed- weben Kirchgangs war, das Dörflein verließ, da schallten die letzten ehernen Rufe ihr mahnend entgegen. „Nun muß ich mich sputen!" sprach die Witfrau zu sich selber und schaute sich um, ob nicht noch jemand gleich ihr verspätet die Schritte nach dem gleichen Ziele lenkte. Jedoch es war niemand mehr zu sehen weithin, und da sie wußte, daß man sich um so mehr zu schämen hätte, je später man in das Haus Gottes zu den versammelten Andächtigen träte, so beschleunigte sie ihren Gang, also daß sie mehr rannte denn gesittet dakinwandelte. Doch sie war noch eine rüstige Frau und der Pfad gen Poßtwitz so gut durch den Schnee aus. getreten, daß sie wohl in weniger Zeit denn einer Viertelstunde hätte an dem geheiligten Orte ankommen können, wenn nicht der plötzliche Unfall ihr zugestoßen wäre, von dem nunmehr zu reden ist. Wie sie nämlich über die Höhe dahineilt, welche nahe bei Haynitz gelegen und der Kllhberg genannt ist, darum daß man des Sommers das Vieh darauf weidet, so kommt ihr linker- Hand aus den Büschen ein Tier entgegengestrichen mit solchem Gekeuch und Geknurre und solchem blutgierigen Gehabe, daß ihr sogleich eine heiße Todesangst durch die Glieder rinnt. Schmutzigbraun ist das Fell wie das eines starken Hundes; das Haupt ist tückisch gesenkt; aus dem zähnestarrenden Rachen hängt eine blutrote Zunge, entweicht eine kräftige Atemwolke in die eisige Lust. Der Wolf ist's, der hungernd kein Er barmen kennt. Wo er sich hergenommen, hat er sich verirrt oder ist er durch Jäger irgendwo von der Meute versprengt, das kann man nicht sagen, das am allerwenigsten auch be gehrt die arme Witfrau jetzt zu wissen. Auf Rettung allein ist sie bedacht; denn das Untier rennt mit entsetzlicher Raub- tust herbei. Alsbald beginnt das erschrockene Weibtum sein liebes Leben zu rennen, also daß die Röcke ihm um die Beine schla- gen und der harigetretene Schnee unter seinen Schuhen schreit. Wohin aber auch? Sicher ist, bei einem Wettlauf zwischen einem hungrigen Wolfe und einer Witfrau von 48 Jahren gewinnt der Wolf den Preis. Das erste Häuschen des Dorfes drunten, so nahe es winkt, ist doch noch zu weit. An einer Stelle ist der Kühberg von Eichbäumen spär lich bestanden, in deren Schatten am heißen Sommermittag Vieh und Hirten gern ruhen. Dahin läuft die Verfolgte und, ohne sich lang zu besinnen, packt sie einen herabhängenden Ast und schwingt sich nach Bubenart rusch auf den Baum. Wie oft hat sie als wildes Kind einst unnützlicherweise geübt, was sie jetzt zu ihres Leibes Bewahrung vollführt! Zum Lachen ist's nicht, denn schon ist auch das Untier zur Stelle und springt ergrimmt in die Höhe, um die Beute noch flugs zu erschnappen. Aus dem Rocke der Frau reißt es ein tüchtig Stück Tuch und würgt es gierig hinunter; alles andere aber entzieht ihm das Weib, indem es geschwind in die Baumkrone klimmt. Wie schnellt der Wolf empor immer wieder, wie jappt und faucht er! Laufen könnt' er gut, doch klettern kann er nicht, wie er auch seine Tatzen probend an den Baumstamm stellt. Im Schnee liegt das Gesangbuch der Witfrau; er scharrt es auf, beschnüffelt, zerfetzt und verschlingt es, ob aus Hunger allein oder auch aus Arger, daß er nicht die heiligen Lieder ent ziffern kann, weiß man nickt. Der Wolf umkreist lauernd den Baum, läuft dahin, läuft dorthin, wagt einen erfolglosen Sprung, bellt, heult und keucht immer ungeduldiger, je länger er sein Opfer so nahe sieht. Die Witfrau aber hält sich mäüs- chenstill in den Eichenwipsel geklammert. Das Herz pockt ihr gar ungestüm; der Schrecken hält sie warm, ob auch der Nord- wind schneidend durch das Geäste fährt. Mit weiten Augen schaut sie hinunter und umher; ihre Lippen stammeln Gebete um Rettung. Von der Predigt des Pfarrers in der Kirche, die von irdischen Mängeln und himmlischer Vollkommenheit handelt, vernimmt sie also nichts; dafür predigt ihr der Wolf mit Gebell und mit Fauchen, daß er großen Appetit hat auf sie, und das klingt ihren Ohren unerwünscht genug. Schaden- froh flüstert der Wind mit vorjährigem Eichenlaub; boshaft krächzen die Raben. ' Die Wilstau denkt an die Kinder, das Häuschen, die Ziegen; sie hält inbrünstig Zwiesprache mit Gott. Der Wolf knurrt und rennt unlustig; jetzt wagt er noch einen mächtigen Sprung, daß er vor blinder Wut sich mit der Schnauze an einem Aste stößt, und plötzlich läuft er davon, nicht sehr schnell, quer über die verschneiten Äcker dem Walde zu; man hört immer ferner und ferner sein kurzes, ärgervolles Geheul. Er läuft in andere Schicksale hinein, andere Beutezüge, vielleicht in den eigenen Tod. Das Weib will seinen Augen und Ohren nicht trauen. Es betet wieder. Hat jemand schon je so herzlich Dank ge sprochen wie sie, Golt geliebt und gepriesen wie sie? Der Wind flüstert ihr aus dem braunen Laub seine Glückwünsche zu; die Raben schreien die Rettung nach allen Richtungen aus. Doch wagt sie noch nicht, vom Baume zu steigen, aus Furcht, der Wolf könnte plötzlich wieder da sein. Sie möchte nicht zum zweiten Male erleben, was Grausiges einmal hinter ihr liegt. Sie hockt droben und harrt der Menschen, die sich doch endlich irgendwo zeigen müssen. Frost nimmt von ihrem Leibe Besitz. Endlich, nach unfaßbar ewiger Zeit, erklingt wieder Glocken geläut. Die sich an Gottes Worte gelabt, treten ihren Heim weg an. Die Nachbarn und Dorfgenossen finden kopfschüttelnd die Witfrau auf ihrem absonderlichen Sitz, den sie vor Er- starrung kaum noch zu verlassen vermag. Sie ziehen sie herab, erfahren die furchtbare Begebenheit und betrachten schaudernd die Spuren im Schnee. Sie blicken sich ängstlich um und be- schleunigen dann die Schritte, indem sie das gerettete Weib sorgsam in ihrer Mitte der heimischen Hütte zuführen, sie mit genauen Fragen bestürmen und mit Trostworten reichlich be- denken. Die Kinder jubeln, als sie von der Mutter Gefahr und Rettung vernehmen, und fröhlich meckern die Ziegen zu diesem guten Ausgang. Alles war freilich nicht gut. Die Witfrau, obzwar rüstig und wohl zu allen Zeiten, erkrankte an überstandenem Schreck und erlittener Kälte und brachte Wochen matt auf dem Lager zu. So versäumte sie auch am folgenden Sonntage das Wort Gottes. Der Pfarrer redete mit starken und zornigen Worten von dem Wolfe als von einem gottlosen und listcreichen Un hold, dieweil er das gute Weib von ehrlichem Kirchgang ab- gehalten. Ihm war der Wolf nichts anderes denn der ver- kleidete Satanas, der zu jeder Stund in mannigfachem Trug gewand durch das Land streiche und den Frommen und Gottes fürchtigen viel Anfechtung, Trübsale und Ängste bereite. Winterabend Winterlieb dämmert dis §lur, O Mensch kükl die tieke Suk! der klang eines Stöckchens nur Nack kurzem Sommer auck Lu irrt um dis schweigenden Säume, wirst weich gebettet sein und durch die ewigen Säume wie <Zras und Blümelein. schreitet sacht Dann träume die wintsrnacht, durch swgs Säume.