Volltext Seite (XML)
besungenen und vielbesuchten Gasträumen spürt mau von hüben und drüben der Grenze den aüeinigenden Volks geist tief nnd angenehm. Wenigen von denen, die dort weilen, mag wohl bekannt sein, daß die Landesgrenze dort mitten durch die Gastlokale schneidet, daß das südliche Zimmer ans böhmischem, das nördliche auf sächsischem Grunde liegt, zum Paschen daher dort sehr gute Gelegen heit wäre. Beim „Schwarzen Tore", den Kammweg entlang, biegt die Grenze, die bisher mit uns westwärts zog, plötzlich im rechten Winkel nordwürtck. Wir begegnen ihr erst in Seif hennersdorf in Sachsen wieder, wo sie ihr rundes Knie bis an die Höhen von Schönbvrn bei Rumbnrg schiebt. Welch entzückenden Anblick bietet dieses Schönbvrn mit der iveit, weit ins Land schauenden weißen Kirche! Süd lich windet sich die alte, frühere böhmische Nvrdbahn durchs Niedergruuder Tal hinauf bis nach dem Knotenpunkte Teichstatt, wo sie sich mit deren Hauptzweige aus Rumbnrg — beim bekannten Neudörfler Teiche — vereinigt. Unser Weg — über Schöulinde nach Rumburg biegt knapp an den Ufern dieses fast unübersehbar großen Wassers vorbei, durch eine üppige Wiesenlandschaft. Immer wieder klingen die niederländischen Mundartlaute an unser Ohr nnd wir begegnen freundlichen Männern und Frauen, die weit übers Land ihren Geschäften nach gehen. Nun durchqueren wir einen weiten dichten, von Nonnenfraß bisher fast verschonten Waldesstreifen. Es geht an dem vielbesuchten und schönen Kurorte Karltal vorbei gegen Schluckenau, dem eigentlichen Mittelpunkte des uordböhmischen Niederlandes, dem sogenannten schwarzen Winkel, dem katholischen Zentrum Nordböhmens. Überall in diesen schönen, sauberen Städtchen erzählen Hunderte von rauchenden Fabrikschloten von Industrie nnd Gewerbe fleiß. Waldreiche Gegenden wechseln mit dichtbebautem Hügelland, überall sieht man den fleißigen Landmann seine Furche ziehen. Auch Singen kann man hören von Heimatliebe und Freude und Glück, ivvhl aber auch von Schmerz nnd Trauer, ivie es eben gerade in der Seele des Singenden stehen mag. Des Abends klingen über die Felder und Auen gar häufig die melancholischen Klänge einer Ziehharmonika. Hier im Niederlande wird dieses sonst schon seltene Instrument noch oft und gern gelernt, gespielt und gehört. Einmal, als wir an einem stillen Sommerabende den Weg von Daubitz über Neuforswalde, Schünlinde nach Rumburg gingen, haben wir einem Künst ler dieses Instrumentes lange, lange entzückt und welt entrückt gelauscht, bis sei» Lied sich in tiefer Nacht und Ferne verlor. Schön ist auch die Gegend hinter Schluckenau gegen die Elbe zu. Man nähert sich langsam den Bergen der sächsisch-böhmischen Schweiz. Tiefe, alte Wälder säumen die starkabgenützten Wege und Straßen. Noch führt ein Schienenstrang, der von Rumbnrg kommt, westwärts gegen Sebnitz und Schandau. Der „Tanzplan", ein freigelegener Aussichtstnrm, schließt hier den Reigen der böhmischen Berge und bildet die Grenze des böhmischen Niederlandes, dieses eigenartigen Stückchen Heimat, das still und ver träumt im nördlichsten Zipfel der Republik ein wohl ein sames, doch aber vielbenetdetes Dasein fristet, von tau senden Wanderern gekannt, von allen geliebt und immer aufs neue wieder gern ausgesucht. ArUHlingÄnaeHt ver §!iederduft kängt träumesckwer In lauer Trüklingsnackt, Und kern im Tals rcwsckt das Wet>r Wie leises Weinen sackt. Im alten park das Mondlickt irrt Um leeren Sockelstein. Nur irgendwo ein Neuster klirrt, Dann sckläkt Lis Nackt selbst ein. E. Ni-rich, NsuNrch. Der Hexenmeister Erhard Nicri ch, Nenkirch lLausitz) Seufzend rückte der bewährte Dorfmedikus Dr. Weitz- manu die große Messingbrille von der Stirn auf die Nase zurück, nachdem er dem Kinde des Kramers Hultsch, das an' „der bösen Staupe" fPocken) litt, zur Ader gelassen hatte, erklärte noch einmal den Gebrauch des Ebenholzes, damit die Krankheit durch den Schweiß ausfließt, über zeugte sich, daß die Fenster alle fest verschlossen nnd ver hängt waren, schüttelte die Mixtur aus den Beeren des Kreuzdornstrauches um, von der das Kind aller Stunden einen Eßlöffel nehmen sollte, setzte sich den grasgrünen Dreispitz auf die sorgfältig gepuderte Perücke und ging. Die Gestalt des hochachtbaren Medikus war in Neukirch bekannt und beliebt, nnd wenn er durch das Dorf schritt, das spanische Rohr mit dem goldenen Knaufe auf dem Rücken haltend, dann zogen alle vor ihm ehrerbietig ihre Kappen. Trotzdem stiegen oft Zweifel an seinem Können auf, wenn wieder jemand am Fieber verbrannt war, nnd so fanden sich auch beim Krämer Hultsch gute Nachbar« ein, die die verschiedensten nnd unglaublichsten Hausmittel rieten und jeder wußte einen, dem dies oder das wunderbar ge holfen hatte. Wer in die Stube trat, die den Laden dar stellte, und ivv Kisten und Säcke an den Wänden die Regale ersehen, mochte er nun eine Rolle böhmischen Tabak, eine Knhkette oder weiße Bohnen, Rußbuttel oder Leinöl kaufen, jeder fühlt sich verpflichtet, neben den Münzen auch noch ein neues Heilmittel als Draufgabe zu empfehlen. Auch die alte „Teichliehm", die eigentlich Lehmann hieß und den Namen ihrem kleinen Ausgedinge verdankte, das am Niederteiche stand, gab ihren Rat, und auf diese Frau gab inan allgemein viel. Auf den Dr. Weitzmann, der „alleng ock zur Oder" *j ließ, schimpfte sie erst eine Weile; denn aus den Medikus war sie nicht gut zu sprechen, war er es doch, der sie angezeigt hatte, weil sie von einem Wilthener Manne getrocknete Diebsdanmen gekauft hatte, die dieser heimlich Gehenkten abgeschnitten hatte. Na, und ging nicht das Ge schäft des Krämers doppelt gut, seitdem er einen davon unter seinen Waren verborgen hielt, und wachte nicht der Bauer Lehmann, der sich den andern geliehen hatte, um die Diebe zu erwischen, die in seinem Hühnerstall einbrachen, plötzlich in der folgenden Nacht durch ein Klopfen auf, als ob ihn der Knöchel des Gerichteten, den er unterm Kopf kissen hatte, wecken wolle. Der Teichliehm aber hatte die Sache zwei Tage im Stock zu sitzen eingebracht, weil seit der neuesten kurfürstlichen Verordnung alle „abergläu bischen Unternehmungen" streng bestraft wurden. „Gieh ock zu Waber Pietsch, dar Hutt durch senne Hexenbtchl schun manchs gheelt." Das war der ganze Rat, mehr sagte die Teichliehm nicht. Der Krämer erwog die Sache, er hatte schon viel von Pietschen und seinen Hexenblichern gehört, die jener von einer alten Frau hatte, obwohl er den Besitz leugnete und sagte, es wäre ihm beim Lesen angst und bange geworden, und er hätte Nachts keine Ruhe gehabt, deshalb hätte er sie verbrannt. Aber Heilmittel wußte er, das stand fest. Bald machte sich auch der Krämer auf den Weg zum Weber. Das ganze alte Häuschen schlitterte von der Musik des Webstuhles, und als Hultsch nach einem Um wege über das Wetter sein Anliegen vorgebracht hatte, kletterte der Leineweber hinter seinem Stuhle vor und ging ins Dachstübel. Hier hingen die verschiedensten Heil kräuter, standen Gläser mit aufgesetzten Früchten und Blumen. In einer Truhe lagen verschiedene Leinwand beutel. Zwei nahm er davon und entnahm ihnen ein Fledermausherz, ein Stück getrocknete Lunge der Fleder maus, ein rechtes Schwalbenauge und eine Schwalbenzunge, tat diese Dinge in einen Brvnzemörser und zerrieb sie zu Pulver. Von diesem schwarzbraunen Pulver sollte der Krämer dreimal täglich eine Messerspitze voll in „Fenster schweiß" aufgeweicht dem kranken Kinde geben. Ohne Dank;