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langen Tag zur Verfügung zu stellen, und nun gab es zu nächst eine zweistündige frisch-fröhliche Wanderung durch den älteren Teil der Stadt, der uns ganze Bände von den wechselnden Schicksalen des einst so wehrhaften Görlitz er zählt. Wir halten das erste Mal vor der ehrwürdigen Frauenkirche, deren Hauptportal uns vermöge seines bild hauerischen Schmucks fesselt. Auf dem Marienplatz grlltzt uns das Standbild des ehemaligen Oberbürgermeisters Demiani, eines nm das Aufblühen der Stadt hochverdienten Mannes. Es ist eine der ersten Schöpfungen des Dres dener Meisters Schilling und läßt uns ex uv^ue leonsin erkennen. Unweit davon könnte uns das glänzend aus gestattete Museum der Naturforschenben Gesellschaft zu einem Besuche reizen, aber unser heutiges Programm ist so lang und anstrengend, daß wir für diesmal darauf ver zichten müssen. Und schon stehen wir vor dem ersten stummen und doch so beredten Zeugen mittelalterlichen Städteglanzes, dem Frauen- oder dicken Turm, einem massigen Burschen, der als der letzte Rest eines im letzten Viertel des 15. Jahr hunderts niedergelegten herzoglichen Schlosses bezeichnet wirb. Er trägt als sehr bemerkenswerte Skulptur das Görlitzer Stadtwappen mit den Gestalten der heiligen Barbara und der Mutter Gottes. Auf der anderen Seite sehen wir die säkularisierte Annenkapelle, die, wenn wir recht gehört haben, jetzt als Turnhalle benutzt wirb. Hier fesselt ein weiterer wuchtiger Rundbau von offenbar hohem Alter unsere Blicke. Es ist die alte Bastei oder der Kaiser trutz. Das mächtige Bauwerk erzählt uns von den wechsel vollen Schicksalen der Stadt im 30 jährigen Kriege. Un mittelbar benachbart ist das schöne Kriegerdenkmal von 1870-71 mit dem ersten bei We.ißenburg erbeuteten fran zösischen Geschütz und dem ausdrucksvollen Rundfries von Siemeriug. Reiche geschichtliche Erinnerungen weckt der von schmucken Gebäuden umsäumte Obermarkt, in dessen Mitte ein schönes Reiterstandbild des Kaisers Wilhelm des Ersten von dem in Löwcnberg geborenen Bildhauer Jo hannes Pfuhl ragt. Im Laufe der Jahrhunderte hat dieser Platz eine Reihe gar illustrer Gäste gesehen. Friedrich der Große, Friedrich Wilhelm der Dritte, Zar Alexander der Erste und besonders oft Napoleon haben von hier aus den Gang der Ereignisse gelenkt. In dem einen Hause war die Leiche des bei Prag gefallenen Feldmarschalls Grafen Schwerin aufgebahrt, in einem andern erlag der General von Winterfeldt der tödlichen Wunde. So manche Wand lung der Geschicke zieht an unserm inneren Auge vorüber. Aber wir dürfen nicht verweilen: es geht weiter. Mitten hinein in längst versunkene Jahrhunderte ver setzt uns der höchst malerische Untermarkt, dessen charakte ristisches Merkmal die anheimelnden Laubengänge vor den alten Häusern bilden. An der Westseite ragt der archi tektonisch bemerkenswerte Rathansbau mit seiner ganz prachtvollen Freitreppe. Gegenüber fällt uns ein schöner Bau als Musterbeispiel der Frührenaissance auf, der so genannte Schönhof. Eine ganz besondere Sehenswürdig keit ist der eigenartige Lichthof des Gasthofs zum goldenen Banm. Dann ruht unser Blick auf der alten Stadtwage, und namentlich fesselt uns auch die Apotheke mit der inter essanten astronomischen Uhr. Sie ist ein Kunstwerk von Zacharias Scultetus, dessen Bruder Bartholomäus ein ver dienstvoller Bürgermeister der Stadt und mit Tycho de Brahe und dem Astronomen Kepler enge Beziehungen pflegte. Vom Untermarkt aus wandten wir uns am Niko- laiturm und der gleichnamigen Kirche vorüber nach dem alten Friedhof, um dem Grabe des Philosophen und Mystikers Jakob Böhme einen Besuch abzustatten. Herr Professor D r. Jecht würdigte den frommen Schuster, der bei Lebzeiten ob seiner Lebensanschauung allerlei Händel zu bestehen hatte, aber anläßlich der 300. Wiederkehr seines Todestages interessante nachträgliche Ehrungen erfuhr. Bei der Stadthalle hat man ihm übrigens auch ein Denk mal errichtet. Herr Oberschulrat S e e l i g e r - Zittau er gänzte die Ausführungen durch die Mitteilung, daß der von seinen Zeitgenossen viel verkannte Jakob Böhme von vier Zittauer Ärzten manche Förderung erfuhr. Nach kurzer Rast im gastlichen „Hirsch", wo die durch kühlten und erschlafften Lebensgeister eine wohltuende Auffrischung erfuhren, wurde die Wanderung nach der Ruhmeshalle und dem darin untergebrachten Kaiser Fried rich-Museum augetrcten. Der Schöpfer und Direktor dieser großartigen Sammlungen Herr Professor Feyerabend, der hier die Führung persönlich übernahm, begrüßte die Zittauer in einem kurzen Einführungsvortrage, in dem er schilderte, wie schwierig es gewesen ist, ohne Zuweisung ent sprechender Barmittel mit Hilfe vermögender und opfer williger Gönner die ihm leer übergebenen Räume zu einem Heimatmuseum auszugestalten. Es durfte sich aber nicht auf Lausitzer Kunst- und Kulturdokumente beschränken, da es darauf ankam, einen Maßstab zu schaffen für die Ein flüsse und Anregungen, die das Verhältnis der heimischen Künstler zur richtunggebenden deutschen Kunst bestimmen. Eben diese mannigfachen Vergleichsmögltcheiten, die in allen vier Hauptabteilungen des Museums vorhanden sind, erhöhen in besonderem Maße den Wert dieser mit sorg fältigster Auswahl zusammengestellten Abteilungen. Zur richtigen Würdigung des Museums wäre ein wocheulanges Studium erforderlich,' bet der Kürze der verfügbaren Zeit konnte nur die überraschend reichhaltige und mit zahl reichen Prachtstücken ausgestattete Gemälde-Sammlung einigermaßen eingehend besichtigt werden. Sie erhielt übrigens auch wertvolle Erzeugnisse der plastischen Kunst. Erfreulich ist die weitgehende Berücksichtigung der Künst ler aus der sächsischen Oberlausitz. Von allen deutschen Gemäldesammlungen dürften hier die meisten Arbeiten von Gareis anzutreffen sein. Von sonstigen Sachsen sind Sch en au, die Zittauer Zimmermanns, Professor Schramm, Karl Paul und Hans Lillig, zum Teil mehrfach, vertreten. Äußerst sehenswert sind auch die übrigen Abteilungen, die aber, wie gesagt, diesmal nur flüchtig gestreift werden komiten. Der kunstgewerbliche Teil zeichnet sich durch besonderen Reichtum an Erzeugnissen der Keramik aus, hat aber auch noch viele andere Pracht stücke. Das letztere gilt nicht minder von der kulturhisto rischen und der vorgeschichtlichen Abteilung. Eine Sehens würdigkeit für sich bildet der wundervolle Kuppelbau des Professors Hugo Behr, die eigentliche Gedenkhalle, mit seiner großartigen inneren Ausstattung. Nach dieser zweieinhalbstündigen Besichtigung fand in der Stadthalle gemeinsame Tafel statt. Frei nach Schiller begleiteten hier „gute Reden" der Herren Professor Dr. Jecht und Oberschulrat Seeliger die angenehme „Arbeit", die fröhlichen Sinnes geleistet wurde. Der Nach mittag war zunächst einer Besichtigung des Domes, der hervorragend eindrucksvollen Kirche zu St. Peter und Paul, gewidmet. Das herrliche fünfschiffige Gotteshaus mit seinem riesig hohen Gewölbe zeigt deutliche Spuren ver schiedener Entstehungszeiten,' der letzte Erweiterungsbau gab ihm das Gepräge edelster Spätgotik. Bei diesem Um bau mußte, um zuverlässigen Baugrund zu gewinnen, eine starke Tonschieferschicht abgetragen werden. Der hier bei entstandene Hohlraum wurde aber nicht wieder aus gefüllt, sondern überwölbt, und diesem Umstand verdankt die unter dem jetzigen Hauptaltar befindliche unterirdische Krypta ihr Dasein. Sie wurde ebenfalls mit starkem Interesse besichtigt. Auf dem Rückwege nahm man auch die Gelegenheit wahr, zwei hervorragende Profanbauten zu bewundern. Das eine der beiden Häuser fällt durch einen sehr feinen Torbogen in vornehmster Renaissance und gediegene Halbreliefs aus der biblischen Geschichte auf. Das benachbarte Barockhaus ist um 1720 von dem Zittauer Christian Am eis erbaut worden und gehört heute der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften. Es wurde