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Zur Erforschung der alten Steinkreuze Von Dr. Kuh fahl, Dresden-A. 16, Breite Straße 7 unvordenklichen Zeiten deutscher Geschichte haben WMs sich in ganz Nord- und Mitteleuropa von den west- lichen Ausläufern des Kaukasus bis zu den Vogesen, vom Südfuße der Alpen und den nördlichen Balkan ländern, bis hinauf zu den schottischen Inseln und skandi navischen Wohngebieten in Dorf und Stadt, in Wald und Feldflur plumpe Steinkreuze bis auf unsere Tage erhalten, deren Deutung weder für das einzelne Stück, noch für die Gesamtheit ihres Vorkommens in einwandfreier Weise ge löst ist. „Mordkreuze" nennt sie das Volk seit altersher und ein Kranz düsterer Sagen von blutiger Tat und reue voller Sühne geht noch heute von Mund zu Mund. In Sagensammlungen und heimatkundlichen Schilderungen werden die geheimnisvollen, verwitterten Steine zum volks kundlichen Besitzstand gerechnet, hie und da sind sie auch in den großen staatlichen Inventarisationswerken der Kunst altertümer erwähnt, aber eine Vollständigkeit der Fund stellen ist damit kaum beabsichtigt und nirgends erreicht. Die wissenschaftliche Forschung hat sich der alten Mäler bisher nur spärlich angenommen, dagegen stoßen wir in einzelnen Teilen Deutschlands und der früheren öster reichischen Monarchie seit etwa drei Jahrzehnten auf eine dilettantische Sammeltätigkeit, die vielfach innerhalb be grenzter Bezirke planmäßig auf die Suche ging und mehr oder weniger vollständige Standortsoerzeichnisse veröffent lichte. Bei gleichzeitiger Durchforschung der Bibliotheken fanden sodann auch die schriftlichen Sühneverträge oder Wahrsprüche weltlicher und kirchlicher Machthaber Beach tung, die seit dem 12. Jahrhundert in den deutschen Ur kundsammlungen, Stadtbüchern, Lehns- und Patrimonial- gerichtsprotokollen, Kirchenchroniken usw. zu Hunderten wiederkehren und dem Täter für begangenen Totschlag außer kirchlichen Bußen oder vermögensrechtlichen Leistun gen die Setzung eines steinernen Kreuzes als Sühne auf erlegen. Uber Größe und Gestemsart des Kreuzes, über Aufstellungsort und Erfüllungssrist sind dabei oft ausführ liche Vorschriften gegeben, sodaß sich in ein paar vereinzelten Fällen heute sowohl das vorhandene Kreuz als auch das erhaltene Grabmal des Erschlagenen und der urkundmäßige Sühneoertrag noch genau feststellen und in unzweifelhafte Verbindung bringen läßt. Aus der Mehrzahl dieser Sühneurkunden ist unschwer die Absicht der kirchlichen und staatlichen Machthaber heraus zulesen, den altgermanischen Gedanken der Blutrache mit seinen endlosen Stammesfehden und der Selbstzerfleischung der Sippen und Geschlechter in christlich gemäßigtere Bahnen zu lenken. Trotz mancherlei Zweifel, die selbst für den Ausgang der ganzen Steinkreuzsitte am Anfang des 18. Jahr hunderts noch geäußert werden können, wird man also zum Mindesten seit dem 12. Jahrhundert den Sühnegedanken als Hauptgrund ihrer Errichtung anzunehmen haben. Klaffenbact, kömqsi-ui'lhL bre>?enLU Meissen LoTnnr^LL Für die Vorzeit dagegen fehlen alle Anhaltspunkte; äußerliche Merkmale der starken Verwitterung oder heid nische Runen und andere Zeichen hohen Alters widersprechen sogar dem Zusammenhang mit der christlichen Lehre und weisen für den Ursprung der ganzen Stetnkreuzsitte auf weit ältere Perioden germanischer Vergangenheit hin. Das örtliche Vorkommen gleichartiger Steinmäler im westlichen Kaukasus, an der Beresina oder am Peipussee braucht da mit im Hinblick auf die Völkerwanderung nicht als un widerleglicher Gegenbeweis zu gelten. Seit Jahrzehnten habe ich mich um die lückenlose Ent deckung und Aufzeichnung der sächsischen Steinkreuze be müht und schon im Jahre 1912 etwa 260 vorhandene Kreuz sunde allein aus dem kleinen Bezirk des Königreiches Sachsen veröffentlicht. Aus urkundlichen Quellen oder aus Grund zuverlässiger persönlicher Mitteilungen konnte ich obendrein weitere 60 Stück solch alter Mäler namhaft machen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts größtenteils durch Unverstand der Gemeinde- und Staatsbehörden bei Straßen- und Eisenbahnbauten zerstört worden waren. Bereits auf Wanderungen, Radfahrten und Autoreifen, die mich weit über sächsische Landesgrenzen hinaus ins bay rische, böhmische und preußische Gebiet hinllberführten, und bei der Fortsetzung meiner literarischen Studien kamen sehr bald Hunderte und nach und nach sogar tausende außer sächsische Standorte zusammen, sodaß ich nahezu 3000 ein zelne Fundstellen listenmäßig aufnehmen konnte. Krieg und Inflation haben dem dilettantischen For schungseifer überall ein Ziel gesetzt. Auch mir war es jahre lang nicht möglich,beider, Zentralefür Steinkreuzforschung", die ich früher als Anhang des Königlich Sächsischen Denk malarchivs ins Leben gerufen habe, die literarische und praktische Suche in der Landschaft wirklich weiterzubetreiben. Trotzdem ist das überraschend große Interesse, dem ich von Ansang an in allen Volkskreisen für die Steinkreuzfor-