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Historisch-Topographische Beschreibung der Amtshauptmannschaft Pirna von A. Meiche Bereits vor dem Krieg ist der Grundstein von der „Säch sischen Kommission für Geschichte" zu einem großangelegten Werk gelegt worden, das als Historisches Ortsverzeichnis von Sachsen für jeden Ort möglichst vollzählig die urkundlichen Nachrichten und einwandfreien Forschungsergebnisse aufführen soll. Nun hat der über Sachsens Grenzen hinaus als tüchtiger und gewissenhafter Geschichts-, Sagen- und Sprachforscher bekannte Prof. Dr. A. Meiche das erste 397 Seiten umfassende Buch über die Amts hauptmannschaft Pirna erscheinen lasten. Ob die anderen säch sischen Landschaften eine ebenso gründliche Durcharbeitung er fahren werden, hängt von den künftigen Bearbeitern und von der Aufbringung der nötigen Geldmittel ab. Gerade diese letztere Tragik ist umso bedauerlicher, als es sich hier um ein histo risches Werk handelt, um das uns jede deutsche Landschaft be neiden wird. Es gibt kein so tiefschürfendes historisches Nach« schlagebuch einer ganzen Landschaft im ganzen deutschen Reich. Das bekannte „Postlexikon", der sog. „Schumann-Schiffner" (1814-1830), war die letzte derartige Gesamtdarstellung für Sachsen. Nun tritt für oben genannte Gegend „der Meiche" an seine Stelle. Aber welch ein Fortschritt in der Darbietung des Stoffes! Es ist kein bloßes Aufzählen geschichtlicher (siedlungs-, rechts-, politisch-, wirtschaftsgeschichtlicher) Tatsachen, Meiche hat vor allem in den nach Landschaften und Sachgebieten zusam menfassenden Kapiteln geschichtskritische Abhandlungen gebracht. Durch die Auswertung der wichtigsten geschichtlichen Literatur ist eine einwandfreie übersichtliche Darstellung für jeden Ort gewährleistet. Selbstverständlich enthält diese Arbeit, der Meiche leine besten Mannesjahre gewidmet hat, viele bisher nicht be kannte wissenschaftliche Ergebnisse. Unsere Oberlausitz ist mit dem Gebiet der rechtselbischen Sächsischen Schweiz geschichtlich und geographisch aufs engste verbunden. Ich verweise nur auf die sog. Lausitzer Pforte, das uralte Paßgebiet seit der Bronzezeit, darauf weisen die sla wischen Burgwartbezirke, die durch diese beeinflußten bischöf lichen und Amtergrenzen, das Wegenetz und sprachliche Zusam mengehörigkeit. Es ist daher am Platze, diesem Aufsehen er- regenden Werk hier eine kurze Besprechung zu widmen. Bon der ungeheuren Kleinarbeit und dem Fleiße Meiches kann man sich, ohne das Buch gelesen zu haben, schwer eine Vorstellung machen. Neben der Entwicklung jeden Ortsbildes und der Fluranlage sind alle älteren Ortsnamen angeführt. Wir finden unter den kirchlichen Angaben zum ersten Male alle er wähnten katholischen Geistlichen. Die Schulgeschichte, wichtige Natur- und Kriegsereignisse sind dargestellt. Für alle Nachbar- landschaften sind natürlich die Kapitel über alte slawische Gaue, über die Burgwartsbezirke, das Kolonisationszeitalter, über die Herrschaften, über die alten Ämter und kirchlichen Bezirke wich- llg. Die für jeden Geschichtsforscher (Familiengeschichte!) auf- schlußretche umfassende Stoffdarbietung ist besonders aus der Besitztums-Schilderung ersichtlich, werden doch Tausende von Adels-, Bürger-, Bauern-, Förster- und Müllerfamilien auf- gesührt! Statistische Angaben führen bis in die ältesten Zeiten zurück! Deshalb finden wir hier die alten Hufenangaben fast jeden Ortes. Wenn wir noch einige Tatsachen herausgreifen wollen: Wir sehen die kolonisatorische Tätigkeit des deutschen Ritterordens, wir hören vom Bergbau zwischen Dippoldiswalde und unserem Baltenberg, von der Gründung Neustadls durch Freiberger Bergleute, von der Geschichte aller Gewerbe und Industrien, von Schützengesellschaften, von wichtigen Orts gebäuden, wir finden eine Beschreibung der Burgen, der Wälder, Gewässer, der Berge und kleine. Der Leser wird sich schon aus den wenigen Angaben eine Vorstellung von der Reichhaltigkeit des Werkes machen können. Der große Wert, der Meiches Werk weit über die alten gleichartigen Darstellungen hinaushebt, besteht in der kritisch wissenschaftlichen Stoffdurcharbeitung und -Darbietung. „Es ist gut pflügen, wenn der Acker gereinigt ist" — dies Lutherwort steht mit Recht an der Spitze. Auf Meiches Schultern werden viele Geschichtsforscher nun weiterbauen, man soll aber nie ver gessen, daß er die Steine aus dem Weg geräumt hat, daß er Nachschaffende vor zeitraubenden Irrgängen bewahrt hat. Wenn auch das so großangelegte Gesamtwerk ins Stocken geraten Ist — ein trauriger Beweis der Verarmung unseres Volkes und man gelnden Verständnisses finanzkräftiger Gesellschaftskreise für die sächsische Landesgeschictste —, so wird der verdiente Forscher die beste Belohnung für seine mit beispielslosen Opfern an Zeit und an eigenen körperlichen Kräften durchgeführte Arbeit darin finden, daß inan in den Kreisen der Geschichtsfreunde sein Werk mit größter Spannung seit Jahren erwartete und daß es nun, da es gedruckt bei der W. und B. von Baensch-Stiftung, Dresden, Waisenhausstr. 34 vorliegt, mit dankbarer und uneingeschränkter Anerkennung ausgenommen wird. Möchte der Schöpfer dieses „Marksteins der sächsischen Geschichtsforschung und der deutschen Geschichtsdarstellung" noch lange sich bester Gesundheit erfreuen, damit wir noch manches schöne Werk aus seiner Hand empfangen können! Wer das Werk einmal zur Hand nimmt, möge z.B. die Seiten 5, 38, 118, 135, 136, 313, 375 aufschlagen. Da kann er sich orientieren über die Abgrenzung der slawischen Gaue Nisani und Milsca, über die Herrschaftsbezirke Hohnstein—Wildenstein und des böhmischen Niederlandes, da hört er von dem Auftreten des lausitzischen Sechsstädtebundes in der Sächsischen Schweiz, da erstehen die alten Burgwartbezirke wieder. Bei der ältesten Erwähnung von Sebnitz hören wir z.B., daß der Sebnitzer Pfarrer ttominrw Petrus von Sebnicz nach Waltersdorf bei Zittau 1423 berufen wird. Nach der wohl 1516 anzusetzenden Stiftungsurkunde für das Kloster auf dem Königstein sollte das „Kloster uff dem steine, dem Könige stein", die „wirdigen vetter, dy man nend Clestiner zcum Oboyen" (Oybin) aufnehmen. 1516 kamen tatsächlich zwölf Coelestiner vom Oybin hier an. Auch für die Spremberg -Bischofswerdaer Gegend könnten wir aus gut Glück ähnliche Stellen herausgreifen. Daß die zahllosen Angaben, die sich auf unsere Oberlausitz beziehen, auch zuver lässig sind, ist daraus zu ersehen, daß Meiche erst an die Bearbei tung ging, nachdem für die angrenzenden Nachbargebiete die Zettelnotizen für das historische Ortsverzeichnis annähernd voll- ständig gesammelt, also alle in Frage kommenden Archive und wissenschaftlichen Abhandlungen durchsichtet waren. In der Hauptsache sind die reichen Schätze des Haupt staatsarchivs an Urkunden, Kopialien, Akten — ost waren es sehr schwer und meist zufällig wieder ausfindbare verstreute Perga mente und Zettel — peinlichst durcharbeitet worden. 3n „Zettel kästen" schlummern nun diese teilweise zum Drucke reifen wissen schaftlichen Sammelergebniffe. Mit Wehmut denkt man dabei an die Stiftungen, die amerikanische Industrielle für Universitäten, Bibliotheken, Archive usw. zukommen lassen. Vielleicht finden sich bei uns einmal finanzkräftige Förderer dieses sächsischen Haupt- geschichtswerkes. Dem sonjt ganz zuverlässigen, verstorbenen A. Hennig, der die Orts- und Flurformen sür das Ortsnamenverzeichnis be arbeitet hat (die verstorbenen Forscher Pilk und Mörtzsch sind ebenfalls Meiches Mitarbeiter gewesen), ist bei Hinterherms- dorf und Krummhermsdorf ein Versehen unterlaufen. Der erst genannte Ort hat eine fächerartige Waldhusenflur, ist ein rund lingsartiges Quellreihendorf, und Krummhermsdors ist ein ein faches Reihendorf mit geradlinigeren Waldhufen. Hoffentlich findet das Werk bei Behörden, weltlicher und kirchlicher Art, Schulen jeder Gattung, Bibliotheken, Gesell- schasten und Vereinen den Absatz, den es verdient. Einzelper sonen, die sich mit Heimatgeschichte und Familiengeschichte be< saflen, sei es warm empfohlen. Zwischen jeder Zeile fühlt man die warme Heimatliebe des Verfassers. Es strömt von ihr soviel in den Leser über, daß die Lektüre uns manche schöne Stunde beschert. Es verbindet den Leser geschichtlich und geographisch so mit dem Mutterboden seiner Heimat, daß er sich selbst schließlich als das lebendige Endglied einer organischen langen Entwicklungsreihe steht. So