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von denen das oberste den silbernen Hund, stehend oder liegend, trägt. An der Kirchhofsmauer wuchern Stein brech und Schöllkraut, und der erblühende Flieder wallt dnftgeschwängert darüber. Da treten aus dem Grün zwei Gestalten, lebensgroß in Stein gehauen, hervor. Als Verkörperung einer harten kriegerischen Zeit stehen sie vor uns im sonnigen Tag. Starr umschließt der Eisenpanzer den gedrungenen Mannes körper. Die Füße stecken in langen spitzengerandeten Stulpenstiefeln. Mit festem Griff umpreßt die Rechte das Handschuhpaar, die Linke umkrallt hinter dem Rücken den Degen. Lockig umwallt das Haar das kräftige Gesicht mit dem Schnauzbart Die Adelfrau daneben herb ver schlossen, nicht lockend mit weiblicher Anmut. Ein fein gefälteltes Gewand umhüllt bis zu den Füßen die hohe Ge stalt. Streng umschließt die Haube das Antlitz und läßt keine mutwillige Locke hervorschauen. Die Hände sind wagerecht über der Brust gefaltet und halten ein Kruzifix. Eine starre Gebärde irdisch gebundener Frömmigkeit, die nicht in liebender Verzückung hinschmilzt vor dem Höchsten, sondern ihm im harten Alltagswerke dient. Wir, die An gehörigen eines ruhelosen, zerfaserten Zeitalters, stehen ergriffen vor diesem Bilde einer vergangenen Form des ewig sich wandelnden, nie gestaltungsmüden Lebens. Begebenheit im Mai Von Max Zeibig „Du bist so schön!" sagte der Löwenzahn, der sich leuch tend durch das saftige Wiesengrün wühlte und sein Gold bis zum Straßengraben drängte, wo der blühende Apfel baum stand. Gestern hatte es noch geregnet; aber der Regen war mild und warm gewesen. Unter dem Rauschen verlor zwar die Kirschblüte ihre Schönheit, dafür waren die Apfel blüten im Hellen Licht des Maimorgens aufgebrochen, zart, rosa und aus tiefster Seele leuchtend. Ganze Blütenbüschel hingen in den Zweigen, festlichen Blumensträußen gleich, und je mehr die Sonne strahlte, umsomehr ward der Baum eine einzige schimmernde Blütenwolke, umwoben von köst lichem Duft und silbernem Glanz. Und „du bist so schön!" summten die Bienen in satter Zufriedenheit, als sie den süßen Saft in sich tranken und fast berauscht von der gastfreien Blütenherberge fort- tanmelten. Auch der Wind, der vorsichtig durch die junge Saat wehte und, wenn er sich ein wenig erhob, das Geäst des Baumes bewegte, stimmte zu, und die weißen, seligen Wölkchen, die leicht und gelassen durch das tiefe Blau des Himmels spielten, wie der bunte Fink, der ihm im höch sten Wipfel saß, sagte das gleiche: „Du bist so schön!" „Schweigt!" sprach da der Apfelbaum, und man hörte Schmerz und Entsetzen, ja Zorn aus seinem Ton. „Seid ihr Toren? Fühlt ihr nicht, wie elend mir ist? Seht ihr nicht, daß ich am Rande des Todes stehe? Mit meinen Brüdern zog ich diese Straße. O seht, wie hell und weiß sic glänzt unter der Schwester Sonne! Wie schön und fröh lich war es hier in der grünen Zeit! Wir sahen den Bauer mit seinen Tieren aus dem Acker. Wir hörten die Schnitter zur goldenen Erntezeit. Uns spielten die Kirmesmusikan- ten lustige Lieder und Märsche, wenn sie von der Tanz musik heimkamen. Wir warfen den Dorfbuben und Bauern dirnen Früchte in Taschen und Schürzen. Wir liebten den Frühling, wenn er uns bräutlich schmückte; aber wir zürnten auch nicht dem Herbst, wenn er uns bis ins Mark durchrüttelte und schüttelte und unsere Blätter wie Gold umherwars. Im Winter träumten wir Märchen und Wunder und wärmten uns in Hoffnung und Glauben. Vor Tagen noch gingen die Bäuerinnen an uns vorüber zur Kirche, mit bunten Röcken und Schürzen, mit Tüchern, Hauben und flatternden Bändern gingen sie, gebückt und gebeugt von der Last ihrer Jahre und ihrer Arbeit, immer aber fromm und freundlich gesinnt. Nachts fuhren noch die wilden Wagen, die ein Licht hundert Meter weit vor sich hinwarfen, an uns vorbei. Seit gestern ist die Straße tot. Gleich hinter dem Dorf haben sie den Weg gesperrt. Drüben durch den Kiefernbusch hat man eine neue Straße gelegt. Die Grube will es so. Ach, ihr kennt sie ja! Erst war sie weit von uns. Ihr saht die gelben Sandhalden und die Essen, die darüber ragen, fühltet sie, wenn sie ihren dicken grauen Rauch schwer auf euch herniederdrückten, hörtet das Pfeifen und Heulen der Sirenen und saht die Feuer und Funken in der Nacht. Die Grube frißt das Land, die Wiesen, die Acker, meine Straße. Sie mordet mich und meine Schönheit. Kommt nicht zu mir! Hier ist der Tod." Erschüttert von der Rede standen, die erst die Schön heit des Baumes gelobt. Der Löwenzahn sah sich er schrocken um und schwieg still. Der Wind vergaß Weg und Ziel. Wolken und Bienen flohen entsetzt. Dem Fink blieb der Ton in der Kehle stecken. Wahrhaftig, dort stürzte die Straße jäh in den Abgrund. Die Erde war felderweit aufgerissen, zerspalten und zer klüftet. Rings um die Kluft sah man noch einen dunkel braunen Erdstreifen, über dem Grashalme und Saaten büschel in Todesangst zitterten. Unter den dunklen Streifen rieselte gelber Sand, weich, fein, metertief. Dar unter wieder quoll etwas Schwarzes, massig, unheimlich drohend. „Kohle," sagten die Menschen. Und nun hatten sie Schienen in die Grube gelegt. Auf den Schienen fuhren kleine Eisenbahnen hin und her und schafften Sand und Erde fort. Auf einem besonderen Schtenenpaar bewegte sich ein Koloß von Eisen, langsam, und sicher ging er seines Weges. Rasselnd warf er eine Kettenreihe von Messern und Schaufeln in die Höhe. Die glitten knirschend am Rand der Grube hin und zerschnitten die Erde. Die stöhnte und schrie. Die Steine schrillten, wenn sie ans ihrem Leib herausgerissen wurden. Aber die Maschine schlich weiter auf den Schienen, ohne Halten, ohne Erbarmen. Alles mußte in den gierigen Rachen, Gras, Blumen, Steine, Tiere. Eben glitt sie ganz nahe an dem Apfelbaum vorbei. Die ganze Erde bebte. Der Baum zitterte, wankte. Und die Schaufeln warfen Steine, Kiesel und Erde über seine Blütenkrone. Er verlor allen Glanz. Schon starrten einige Wurzeln in den hohlen Raum und sahen unter sich den Abgrund der Grube. Der Wind wehte fort, und der Fink flog auf. Der goldene Löwenzahn wagte kaum zu atmen. In der Ferne war der Himmel noch blau wie vorher und selig still. Das Land blühte und leuchtete grün. Aber die Maschine brüllte in die Stille der blühenden Welt. Es war eine furcht bare Stunde. „Der Kerl da muß weg!" sagten zwei Männer, die mit Axt, Säge und Seil herbeikamen. „Die Grenze liegt hinter dem Baum. Gleich kommt der Bagger zurück. Er braucht Platz. Also los an die Arbeit! Der Kerl ist ohnhin schon zum Umfallen. Nur den Boden ein bißchen auf lockern, dann haben wir ihn." Und sie hoben die Äxte, schlugen einen wunden Kreis, daß der Baum die Besinnung verlor, schlangen das Seil nm den Stamm und bogen ihn ohne große Mühe. Das Erdreich hob sich. Die Wurzeln griffen verzweifelt ins Leere. Der Apfelbaum stürzte und schlug mit seinen blühenden Zweigen mitten in den goldenen Löwenzahn. Drüben im Kiefernbusch weinte ein Bogel. „Es ist eine Schande! Es ist eine Schande!" schimpfte der Rohrspatz im Vuchwalder Teich. Doch das nützte nun alles nichts mehr. Der Apfel baum war tot. Aber aus der Grube brüllte die Maschine und tobte weiter, fraß Erde, Land, Heimat.