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Vorwitz ein gefährlich' Ding. Nimm Dich in acht, die Preu ßen spaßen nicht!" — „Oho, sie hängen keinen, ehe sie ihn haben!" — Aber Menschenskind, sie haben Dich ja schon!" — „Ja, jetzt, weil sie hier Abrechnung mit mir halten wollen, aber eh's ins Ganze reißt, entwisch' ich ihnen!" Über dem allen ward er plötzlich in das Zimmer geholt zu der vermuteten „Abrechnung". Bald darauf kam die Reihe auch an meinen Vater. Das Verhör dauerte jedoch nur kurze Zeit, da er als Beamter in Ausübung seiner Pflicht betroffen worden war. Freigelassen wurde freilich keiner der beiden Arrestanten, vielmehr befohlen, sie dem General des Haupt quartiers, das in diesen Tagen in Jenkwitz lag, zuzuführen. Im Nu saßen zwei Husaren auf, legten ihre Karabiner schußbereit vor sich auf den Sattel, nahmen die Verhafteten in Empfang und ließen sie vor sich her auf der Straße nach Bautzen marschieren. Der Tag war heiß, die Sonne brannte, als wäre sie an den Himmel gebunden, sodaß den beiden unfreiwilligen Wanderern auf der harten Straße der Schweiß nur so von der Stirne troff. Ganz besonders ging der scharfe Marsch dem Bruder Wegfahrer sehr zu Herzen oder gegen das Kamisol, denn das Wort Anstrengung stand eigentlich nicht in seinem Wörterbuche. Er fluchte leise vor sich hin und gab den Preußen Namen, auf die sie jedenfalls nicht getauft waren. „So eine Tierquälerei! Wer das eine angenehme Fußtour nennt, den soll doch gleich der Teufel holen! Diese verfluchten Preußen, zu Laufburschen haben sie uns gemacht, sie selber reiten dabei! Weißt was? Ich mach' nicht lange mehr mit! Ich würde ja kein anständiger Laufbursche sein, wenn ich ihnen nicht bald entwisch'!" — „Tu's nicht, die schießen, und das kann Dir schlecht bekommen!" — „Warum nicht gar! Soll ich die Entwickelung der ganzen Sache etwa in feierlicher Geduld abwarten? Ihre Plempen undSchieß- eisen fürcht' ich nicht. Eh' sie die gebrauchen können, hab' ich das Wettrennen gewonnen. Gib' acht, wie man das macht!" In diesem Augenblicke ertönte aber auch schon hinter ihnen ein Kraftfluch, der ihnen jede weitere gegenseitige Unter haltung verbot. Stumm trabten nun die beiden Wanderer vor den Reitern dahin, immer im heißen Sonnenbrände, die harte Landstraße entlang. Bruder Straubinger lachte dabei leise vor sich hin, und es spricht von seinem sittlichen Wert, daß er sich durch nichts verärgern ließ, sondern zu allem seine witzigen Glossen machte. So waren sie inzwischen bis Neukuppritz gekommen, das Halbwegs vor Hochkirch liegt. Ha! Steht dort nicht ein bravausschauender Gasthof? Heißt er nicht „Zum Schwan", und gibt es da nicht kühles Bier? Die Husaren beschließen, zu kurzer Rast hier haltzumachen. Gedacht, getan. Während der eine die Wache hält, steigt der andere vom Pferde und holt für sich und seinen Kameraden Bier heraus. Da flüstert Marten plötzlich leise: „ Du, die geben uns doch nichts davon — geiziges Volk! Da lösch' ich meinen Durst anderswo. Ich mache nicht länger mit und geh' seit wärts meine eigenen Wege. Leb' wohl und grüße mir in Jenkwitz das Hauptquartier!" Dabei beobachten seine Augen scharf die beiden Reiter, und als der eine dem andern gerade das Glas Bier auf's Pferd hinaufreicht, ist er plötzlich mit ein paar Sprüngen an der Hausecke und schwingt sich dort über den Gartenzaun. Was jetzt? Mit einem Kraftfluch läßt der Reiter sein Glas Bier fallen, daß es auf den Steinfliesen zerschellt, reißt blitzschnell den Karabiner an die Wange und schickt dem Ausreißer eine Kugel nach, noch ehe er um die Ecke ver schwinden kann. Ist er getroffen? Der Reiter glaubt's und setzt ihm sofort nach, doch von dem Flüchtling ist nichts mehr zu sehen und zu hören. Der durfte alle Heiligen selig preisen, daß der Husar bei aller Plötzlichkeit doch nicht recht gezielt hatte. Natürlich jagte nun der Husar das Dorf auf und ab und suchte und forschte — vergebens, Marten schien wie vom Erdboden verschwunden zu sein, und die weitere „Abrech nung" blieb ihm für diesmal erspart. Wohl oder übel mußten sich endlich die Husaren auf den Weitermarsch begeben und nun statt zwei nur noch den übrig gebliebenen Briefträger nach Jenkwitz begleiten. Was sich dann unterwegs noch zugetragen, und wieviele Kraft- spräche die Reiter noch dem vermaledeiten Ausreißer nach geschickt, weiß der Erzähler nicht zu sagen, nur soviel weiß er, daß man glücklich nach Jenkwitz gekommen und daß man dort seinen Vater bald wieder in Freiheit gesetzt hat, freilich erst, nachdem man alle Postsachen geöffnet und gelesen hatte. Fortan durfte er nur noch die Postsachen austragen, die die preußische Zensur in Löbau passiert hatten und die dann eine Fahrpost auf der Landstraße nach Hochkirch und Bautzen überbrachte. * * * Als kleine Beilage eine Kriegserinnerung aus Groß schweidnitz. Der nach Löbau detachierte preußische Trup penteil hatte nicht in der Stadt Quartier bezogen, sondern auf den südlich davorlieqenden Wiesen (an einem kleinen Wässerchen, welches sie die Katzbach heißen) Posto gefaßt. Warum nicht? Wenn sie des Glaubens sind, die Oester reicher haben sicher das nahe Gebirge besetzt und können jeden Augenblick gewaltsame Vorstöße machen, so ist es eben nicht ratsam, ein bequemes Stadtquartier zu nehmen, sondern in Alarmbereitschaft zu bleiben! Sie schoben daher auch namentlich nach Süden starke Vorposten vor. Deren einer stand unter der großen Linde auf dem Nonnenberge und hatte die Aufgabe, nach den Höhen des Hut- und Kuh- berges und nach dem „Höllental" zu spähen, weil aus der engen Talschlucht österreichische Reiter unversehens und überraschend auftauchen konnten. Nichts hatte sich den Tag über gezeigt, als aber die stille, schwarze Nacht sich über Tal und Höhenrücken lagerte, blitzte rechts von der Höhe bei Großschweidnitz plötzlich ein Heller Lichtschein auf. Das ist verdächtig! Jetzt verschwinde' er wieder — taucht wieder auf — einige Augenblicke späte.' abermals weg — blinkt nochmals — verschwindet und leuch tet zuletzt ununterbrochen in die Nacht hinaus. Kein Zwei fel — ein Signal! Für wen anders, als für die Österreicher? Ist's ein Warnungszeichen oder eine Verständigung? Jetzt gilt's — kein Augenblick ist zu säumen! In sausenden? Galopp fliegt eine Stafette zum biwakierenden Detachement zurück, meldet und alarmiert das ganze Lager. Während das alles auf preußischer Seite geschah, war in dem Bahnwärterhäuschen rechts von Großschweidnitz, das hoch über dem dortigen Bahneinschnitt liegt, der Storch ein gekehrt. Unbekümmert um die Kriegsläufe und anteillos an der Völker Kampf und Streit, hatte der sich gerade diese Nacht ausgesucht, der jungen Frau des Bahnwärters ein kleines Kindchen in die Wiege zu legen. Wie passend auch sonst zu solch geheimnisvollem Besuch des Storches die ver schwiegene Nacht sein mag, in diesem Falle wäre aber un bedingt der lichte Tag vorzuziehen gewesen, denn dann hätte der aufgeregte Bahnwärter keine Lampe gebraucht, die er in seiner begreiflichen Hast beim Herbeiholen alles dessen, was