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114 Gberlaufltzer Helmatzeikung s sen werden auch keine Mordbrenner und Menschenfresser srtnl" — Also unterblieb die Flucht. Eines Abends spät aber kam der Vater doch mit einem bangen, bleichen Gesicht von seinem Dienstgange heim: „Es müssen feindliche Vorposten um unser Dorf stehen, oder preu ßische Spione unsereHöhen belauschen. S e haben sich gegen seitig Zeichen gegeben. Auf ein Signalpfeifen im Westen antwortete ein ähnliches im Süden und bald darauf auch bei uns im Osten des Dorfes. Dann wieder da, bald dort, bald näher, bald ferner. Es ist unheimlich draußen in der düsteren Nacht! Entweder kommen die Österreicher aus den Bergen hervor, oder preußische Spione Kundschaften die feindlichen Stellungen aus. Wer weiß, was uns diese Nacht noch bringt!" O, welch entsetzliche Angst bemächtigte sich dabei der Mutter und aller unser Kindeiherzen! „Fsr's möglich? Der Feind so nah? Dos Dors von unheimlichen Menschen um geben?" Unsere kindliche Phantasie malte sich schon furcht bare Kämpfe, Brand und Verwüstung aus, und wir began nen darüber zu jammern und zu heulen. Und die Mutter: „Wir haben ja noch garnichts versteckt! Wohin in aller Eile Mit dem bißchen Hab und Gut? In den Schuppen? In den Keller? Weißt, versteck's unter's Heu aus dem Boden! Nein, Nicht in's Heu! Wenn unter den Geschossen das Hous in Flammen aufgeht, verbrennt uns alles! Geh', trag's fort, versteck's in den Keller — ich kann nicht fort, ich muß die Kleinen beruhigen!" Fieberhaft arbeitet nun der Vater, unterstützt von uns größeren Kindt rn. Kleider, Betten und sonstige Habe — alles in den Keller, dann die Falltür geschlossen, Erde daraus geschüttet und festgetreten. So — nun findet niemand den Eingang! Aber wo sollten mir nun schlafen? Im Zimmer eng zusammengekaueri, verbringen wir die unheilschwangere, entsetzliche Nacht. Unter Angst und Sorge der Eltern und unter Weinen der Kinder vergehen langsam die Stunden, als wären sie an die Ewigkeit gebunden. Endlich graut der Morgen — das gefürchtete Unheil und Verhängnis war nicht eingetreten, das Kriegsgewuter hatte sich über Hochkirch nicht entladen und sollte es auch später nicht tun, denn die Österreicher dachten ja garnicht daran, das Grenzgebiet zu besetzen, oder gar bis in die Lausitz Vorstöße gegen die heran- ?iehenden Preußen zu unternehmen. Plötzlich dringt die Fama nach Hochkirch: „Die Preu ßen kommen! Sie sind schon massenhaft über die Grenze ein gerückt!" Erschreckt kommen die Leute aus den Häusern, fragen, erzählen und disputieren, und jeder weiß etwas Neues zu berichten. Jetzt lausen viele nach dem Ostausgange des Dorfes, stehen, gaffen und deuten nach Löbau. Was gibt's? „Löbau brennt! SehtIhr nicht dort die Rauchsäulen c,en Himmel steigen?" — „Herrgott, diese Preußen! Diese Mordbrenner! Wenn doch die Oesterreicher kämen und sie binaustrieben!" Da kommt ein Monn die Landstraße herauf, der wird sofort mit Fragen bestürmt. „Nichts da, ihr lieben Leute, in Löbau sind zur Stunde noch keine Preußen!" — „Aber der Brand dort?" — „Das ist ein Sbinkohlenhaufin, den die Eisenbahner selbst in Brand gesetzt haben, damit die Kohlen vorräte nicht den Feinden in die Hände fallen." — „Womit Heizen dann aber unsere Lokomotiven?" — „Die sind olle aus Löbau fort — über die Grenze nach Reichenberg! Ich habe selbst gesehen, wie sie in langer Reihe auf der Zittauer Linie dovongesohien sind. Ich sag' Euch: 36 Lokomotiven hinterernandergekoppelt — das war ein Bild!" Am nächsten Tage waren die Preußen wirklich da — nicht allein in Löbau, auch in Hochkirch, auch in Bautzen. Sie schienen in breiter Front gegen den Gebirgswall der Lausitz vorzurücken. Merkwürdig, auch sie glaubten, daß die Österreicher die wichtigen Grenzpässe besetzt hätten, und tasteten sich daher durch fliegende Reiterpatrouillen vorsich tig heran. Und als Spaßvögel — oder waren es fanatische Preußenfresser? — da und dort in den Bergen nächtlich Holzstöße entzündeten, waren sie erst recht der Meinung, dicht vor dem Feinde zu stehen, und der Krtegsalarm hat sie oftmals nachts aus ihren Quartieren gejagt, um sich gefechts bereit zu machen. Dieser Schabernack mutwilliger oder par- tikularistisch verwirrter Köpfe hat den Preußen nicht viel Unheil, uns aber auch keinen weiteren Segen gebracht. Wie nicht anders zu erwarten, wurde vsn dem Tage des Einmarsches an die ganze Lausitz als feindliches Land in Belagerungszustand versetzt. Was das bedeutete, sollte mein Vater schon am nächsten Morgen erfahren. Wie all täglich, wollte er auch jetzt wieder pflichtgemäß mit seiner umgehängten Briesträgertasche von Ort zu Ort wandern, um die Postsachen in die Hände der Adressaten zu liefern. Kaum aber hat er einige Kilometer zurückgelegt, da tauchen vor ihm zwei Reiter auf: „Halt! Woher? Wohin? Haben Sie Geleitschein vom Oberkommando? Nicht? Was tragen Sie in Ihrer Ledertasche? Postsachen? Möglich! Aber ich muß Sie verhaften! Das Weitere wird sich in Löbau finden!" Während der eine Husar aus seinem Posten verbleibt, reitet der andere — den Karabiner schußbereit vor sich hal tend — mit seinem Arrestanten nach Löbau. Je näher sie der Stadt kommen, desto häufiger treffen sie aus neue Pa trouillen und Vorposten, bei denen allerhand Meldungen zu erstatten und Fragen zu beantworten sind. Dann endlich Ab lieferung im Rathaus zu Löbau, wo eine Menge Kriegsvolk, Ordonnanzen und Meldereiter ein- und ausgehen. Meinem Vater wurde bedeutet, im Voesaal aus einer Bank Platz zu nehmen, bis die Reihe zum Verhör an ihn kommen werbe. Auf der Bank aber sitzt schon ein „Delinquent". Eine fragwürdige Gestalt von dem Aussehen einer Vogelscheuche, von der wohl niemand mit gutem Gewissen behaupten konnte, daß sie einen vertrauenerweckenden Eindruck mache. Die Hose verfranst, der Rock durchlöchert, daß Licht und Lust freien Zutritt hätten. Auch die Sohlen der Schuhe arg ent zweit. Dazu ein verhuzzeltes Feldrübengesicht, von Bart stoppeln schier verdeckt. Das Haupthaar graue, verzottelte Haarsträhnen. Kurzum ein Mensch, der Wasser und Seife ganz und gar gering schätzt. Und der Schnapsgeruch, kommt der etwa auch von ihm her? Mein Vater schaut ihn an — bekannte Züge —, aber es steht zu bezweifeln, ob er darüber erfreut ist. „He, Marten, Du hier? Was ist mit Dir? Hast was ausgesressen, oder willst Dich gar von den Preußen anwerben lassen?" Da kneift der ein Auge zu und deutet mit dem Daumen der Linken nach der Tür: „Sie haben mich verhaftet. Heute morgen. Eie halten mich für einen Spion — mich, den Marten aus Neukupprttz!" — „Aber warum denn?" — „Ich weiß auch nicht! Ich hab' weiter nichts getan, als mir das Militär angesehen, und als ich dann auch ihr Lager mit meinem Besuche beehren wollte, haben sie mich fest genommen und wollen nun vielerlei von mir wissen, aber ich sag' nichts." — „Aber warum denn nicht?" — „Was ich tu' und treibe, geht doch die Preußen nichts an! Wenn man alles sagen wollte, wo käme unsereins da hin?" — „Na, na, tritt Dir nur nicht auf den Schlips! Im Kriege ist Neugier und