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Vberlaujlher HetmatzsltuNZ Nr. 8 118 Lausitzer Erinnerungen aus dem Kriegsjahr 1866 Don G. Schmtedgen» Bautzen er unter uns Alten erinnert sich nicht noch des Kriegsjahres 1866 und der Invasion der Preu ßen in unserer Lausitz? Es war eine seltsame Zeit, in der wir Sachsen nicht recht wußten, wem wir unsere Sympathie zuwenden sollten. Hie Preußen — hie Österreich! Offiziell natürlich zu Öster reich — nach Maßgabe des engen Anschlusses unserer säch sischen Regierung an die österreichische Vormacht im deut schen Staatenbunde. Partikularistisch eingestellt, hatte unsere Landbevölkerung auch eine gewisse Antipathie gegen Preu ßen und alles preußische Wesen. Man kannte ja Bismarcks großdeutschen Pläne nicht, begriff nicht sein Streben und ahnte nichts vom Wehen eines neuen deutschen Geistes und deutschen Nationalgefühls. Bismarck galt nur als Feind der bestehenden „guten, alten" Ordnung der Dinge, und man wußte aus Zeitungsberichten, daß er gegen Österreich ein geheimnisvolles „böses" Schachspiel trieb. Man bewunderte Oesterreichs Langmut und Geduld gegen die vielen Heraus forderungen und erwartete, daß es doch einmal den strafen den Arm zu einem furchtbaren Schlage gegen Preußen er heben werde. 1866 spitzten sich in der Tat die Gegensätze schnell zu — so riesig schnell, daß es schon am 16.Juni zur Kriegserklä rung kam. Aber welche Überraschung! Nicht Österreich, son dern Preußen warf den Fehdehandschuh hin. Sollte man's glauben? Das kleine Preußen gegen das übermächtige Oesterreich? Wart' Bismarck, das soll dir schlecht bekom men! Hannoveraner, Hessen, Bayern und auch wir Sachsen stehen zu Österreich und werden euch Preußen schon zeigen, wo Barthel den Most holt! Ein schweres Ringen freilich, aber die Preußen müssen es unbedingt verlieren, und Bis marck kriegt für seine Taten endlich den verdienten Lohn! In allen Lausitzer Schenken disputierten sachkundige Leute und Bierbankstrategen eifrig über die Frage, wer von den Gegnernlwohl zuerst auf dem Plane stehen und wo der Kampf losbrechen werde. Natürlich in Schlesien! Die Öster reicher sind doch keine Schlafmützen, die brechen mit ihrer zahlreichen ungarischen Reiterei massenhaft über die Gren zen und holen sich ihr einst verlorenes Schlesien wieder! — Hoho! Weiß ein anderer darauf zu erwidern, glaubst du, die Preußen werden nicht längst schlagfertig sein? Außerdem sollen sie dort in Schlesien viele und starke Festungen haben! — Was Festungen, die tun's alleine nicht! Jetzt kommt's mehr auf schnelle Reiterei an! Und gegen die österreichischen Husaren und Panduren kommen die Preußen nicht auf!— Hoho! Da kennst du sie schlecht! Wer was vom siebenjäh rigen Kriege weiß, wird wissen, daß sie fix sind wie der Wind und daß sie beißen wie der Grasteufel. Was gilt's, wir Kriegen sie hier in der Lausitz selber noch auf den Hals! — Tropf, einfältiger, warum nicht gar! Es geht doch nicht um unser Land! — Bist ein Narr, trumpft ein anderer auf. Ver stehst du nicht, daß der Benedek, der österreichische Ober general, mit seinem Kriegsvolke das ganze Gebirge rings um das Böhmerland besetzen wird? Der macht's wie Daun gegen den alten Fritz, besetzt auch die Lausitzer Berge und Pässe und liefert den Preußen bei Hochkirch wieder eine Schlacht, daß ihnen Hören und Sehen vergeht —oder bricht anderswo wie ein Donnerwetter aus den Bergen hervor und schickt sie samt ihrem Bismarck mit blutigen Köpfen heim, daß ihnen das Wiederkommen für immer vergeht! So disputierten sie in ihrem einfältigen Bauernverstand und klammerten sich mit gewisser Zähigkeit an die große Macht Österreichs und suchten in der Zuversicht auf Bene deks Schlagfertigkeit und Kriegskunst die Sorge um die Zukunft und ihre Angst und Beklemmung vor den Preußen zu verscheuchen. Im Innern des Herzens aber blieb doch bei den meisten Landbewohnern Unruhe und bange Besorgnis und dumpfe Kümmernis. Ich sag's euch, es wird nicht gut gehen. Wir Kriegen in der Lausitz wieder die ganze Schwere der Kriegslast zu fühlen. Sind wir hier nicht gerade ein gekeilt zwischen die beiden heranrückenden Heeresmassen? Und die Preußen sind schrecklich! Wenn die kommen, sind wir verloren. Die nehmen, was sie Kriegen und finden, unser Vieh, unsere Vorräte! Und alle jungen Leute über 17 Jahre nehmen sie mit und stecken sie in ihre Regimenter! Ein sonderbarer, wunderlicher Gedanke! War's noch eine Erinnerung an die Zeit des siebenjährigen Krieges, wo tatsächlich die Preußen in der Oberlausitz viele junge Leute zu Soldaten gepreßt und zur Auffüllung ihrer Regimenter mitgenommen hatten? Sei dem, wie ihm wolle, aber es ist Tatsache, daß diese Angst vor preußischer gewaltsamer Re krutierung fast in allen Lausitzer Ortschaften spukte. Mit dem Einmarsch und Vorstoß der Österreicher sollte es indes noch keine Eile haben. Unsere sächsischen Truppen waren nach Böhmen gerückt, um zu Benedeks Hauptheer zu stoßen, und von einem Verschanzen der so wichtigen und dem Feinde so verderblichen Engpässe des Lausitzer Gebirges war nichts zu hören und zu merken. Es mochte wohl um Bene deks KriegSplan nicht sonderlich gut stehen und seine Kriegs kunst der unserer Lausitzer Dorf-Strategen nicht gewachsen sein. Oder verfolgte er eine andere Taktik und wählte als Operationsfeld lieber die Ebene als das Gebirge? Kurzum, es müssen wohl gewichtige Gründe oder Befürchtungen zu dieser Maßregel geführt haben, an welche unser Bauernver stand nicht heranreichte. Kein Mensch wußte, wo es eigentlich hinaus wollte. Dafür aber trafen Nachrichten ein, daß die Preußen über Cottbus und Görlitz rasch heranrückten. Da war es denn klar ersichtlich, daß unsere Lausitz bald die unerwünschten Gäste bei sich sehen würde. Wie? Die Preußen so schlag fertig, so entschlossen und so nahe? Wie ein Alarm wirkte die Nachricht auf unser Land volk. „Sie kommen — Herrgott, sie kommen und nehmen alles weg, was ihnen unter die Hände fällt!" In Scharen flüchteten die jungen Leute über die nahe böhmische Grenze' und wer sein Vieh in Sicherheit bringen wollte, trieb es in die Wälder des Gebirges. Kostbarkeiten mancherlei Art wurden vergraben. Überall Schrecken und Bestürzung, Auf regung, Hast, Angst und Besorgnis. O Erinnerung an jene düsteren Tage und Stunden! Ganz besondere Aufregung herrschte in Hochkirch, wo des Erzählers Eltern wohnten. Allgemein herrschte hier die Be fürchtung, das Dorf könnte seiner Lage wegen wieder zum Schauplatz einer fürchterlichen Schlacht werden. Das war eine Aussicht, die auch die mutigsten Herzen erbeben machte. Wer da konnte, floh in den Wald, in die Berge. Mein Vater, der damals Briefträger beim Postamte Pommritz war, wider sprach dem Drängen der Mutter. „Fliehen? Wohin? Mit den Kindern? Und hier alles im Stiche lassen? Unmöglich! Ich muß mein Amt versorgen, ich darf nicht von der Stelle! Von den Österreichern ist nichts zu befürchten, und die Preu-