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Gberlausitzer Heimaizeitung Nr. 2S 302 sich hier nicht nachschaffen. Dazu gehört das Bergland, der ragende Horst des Hut- und Kuhberges, dazu gehört der plätschernde Bach mit den schnatelklopfenden Buben, dazu gehören die alte Wolfen, der Uhren-Gottlob, die Leute aus der Höllmühle, die Mummelswalder Menschen, die Lebenden und die Toten. Siehst du", fuhr er ruhiger und trauriger fort, „mein Beruf, meine wirtschaftlichen Verhältnisse lassen mich nicht so leicht zu Falle kommen wie Tauschern und Heinrich und tausend andere, darum habe ich keine Sorge. Aber ich erlange auch den Vollbesitz des Glückes nicht, den ich mir doch wie ein anderer wünsche. Und ich könnte ihn so leicht erlangen. Für mich ist's doch so leicht. Aber auch du und Annel, ihr sollt nichts entbehren, was zu euerm Glück gehört." Für Gottlobe war das nichts Neues, sie hatte schon lange darauf gewartet, daß er sein Herz einmal ausschütten werde. Sie war mit sich auch schon längst im Reinen. „Entbehren? Das Land ist reicher als die reichste Stadt. Ich habe aus der Stadt geholt, was ich von ihr brauchte, mir gibt nun das Land, die Natur mehr. Deine Kinder werden in Mummelswalde körperlich und geistig besser ge deihen als hier. Aber du, wirst du nichts entbehren? Für deine schriftstellerische Arbeit, geistig? Hier sitzt du an der Quelle. " „Nein, nicht an der Quelle! Das ist ein landläufiger Irr tum. Bibliotheken, Museen sind nur Behälter, und oft ist recht abgestanden und schal, was sie zu bieten haben! Die Quellen sind Natur und natürliche Menschen. Du selbst äußertest ost: was in so einem einfachen Kopfe steckt, wie originell so ein schlichter Mann denkt, was für scharfe Sinne, was für eine feine Beobachtungsgabe, welche Kraft, welch zartes Gemüt diese Landmenschen haben! Siehst du, die Naturkinder sind noch in höherem Grade Kronen der Schöpfung als wir Städter, die wir immer so stolz auf die verfeinerte Kultur sind! Dieser Krieg zeigt's jedem, dem's bis dahin nicht bewußt wurde: die Großstadt ist die scklimmste Gefahr für das Menschentum, für alles Göttliche im Menschen, für die Kultur. Kulturzentrum? nein Unkulturzentrum ist sie. Ich bin überzeugt, daß alle Großen, die Künstler und die Gelehrten, die Schaffenden und Nachschaffenden, ihre Wurzeln in die einzige, frisebe. reiche Quelle senken, die ich eben nannte: Natur und natürliche Menschen. Und ich muß es auch, und auch du. Gottlobe." Sie verstand ihn. Sie waren eins. „Ich müßte, wohin unser Haus gehört," sagte Gottlobe. „Nun?" „An den Hölleberg; dein Erker müßte über das stille Mummelswalder Tal schauen. Daneben unser Garten und Feld. Wenn du dich vom Graben und Hacken aufrichtest und, auf dein Gerät gestützt, ausruhst, und wenn du oben von deinem Buch aufblickst, mußt du deine einzige Heimat anschauen. Das ist dein Ruhen, dein Atemholen, und dann gehst du mit neuer Kraft ans Werk. — An den Hölleberg, Paul!" Sie hatten ihre Schritte zugleich angehalten, als wollten sie im Augenblick umkehren und nach der Heimat wandern. Dr. Grnndmann sah sein Weib mit leuchtenden Augen an. Er drückte ihr die Hand. „Ich danke dir, Gottlobe!" „Im nächsten Sommer kehren wir alle heim," antwortete Gottlobe. Da wiegte Grundmann das Haupt. „Wirwissen noch nicht, ob wir diesen Hang am Hölleberqe haben können. Er gehört dem Diesel-Bauern, und es ist sehr die Frage, ob der, noch dazu jetzt, einen Fuß breit verkauft." „Er verkauft dir die zwei Scheffel auf dieser Seite." Schnell wandte sich Grundmann Gottlobe zu: „Ja, woher weißt du das?" „In diesem Sommer hab' ich mit ihm davon gesprochen; denn ich wußte, über kurz oder lang würde der Heimat sucher den Weg zu ihr finden, und dann sollte er kein Hinder nis auf diesem Wege haben. Wenn du dich entschließt, kann bald alles festgemacht werden." „Gottlobe!" Mehr brachte Grundmann nicht über seine Lippen. Sein Herz war voll Dankbarkeit gegen das Weib, das ihn bis in die zartesten Regungen verstand, das so ganz eins mit ihm und seine treue Führerin war; in ihrem Herzen war seine andere Heimat. — „Gottlobe!" wiederholte er leise und feierlich. „Nun haben wir alles, alles!" Annele, das an den Schrebergärten zurückgeblieben war und dem bunten Treiben zugeschaut hatte, kam heran- gesprungen. Sie gingen eine Querstraße hinein nach Fülles Baumschule. Vor dem Torhäuschen stand eine Gruppe von Arbeitern, die halblaut, aber heftig gestikulierend auf einander ein sprachen. Grundmanns erkannten schon aus einiger Entfer nung in dem ihnen den Rücken zukehrenden Kleinen, Hoch schultrigen im blauen Turneranzuge Tauschern. Sie gingen schräg über dieStraße, um dieBerhandlunq nicht zu stören. Dabei singen sie einige lauter gesprochene Worte der erregten Gruppe auf: ..Wir sind die Dummen, wir gehen uns Franzosen, Engländer an — — — Großen machen den Krieg Kapitalisten. Kriegsgewinnler Sklaven — mir Kinn uns zun Krippe! schießen Kissen. —" Grund mann gabs einen Stich, das erbitterte Wort kam von den Lippen seines Landsmannes, es war seine Muttersprache. Drüben gingen sie langsam weiter, Tauscher würde sie schon bemerken und ihnen nachkommen. Aber der hatte wohl keine Zeit, auf die Straße zu achten. Am Ende der Baumschule kehrten sie um, da löste sich die Gruppe gerade, die Leute gingen nach verschiedenen Richtungen auseinander. Zwei begegneten Grnndmanns: „Einfach passiven Widerstand leisten, wie der Tauscher sagt, drin und draußen! Mögen die in die Schützengräben gehen, die was von dem Krieg haben!" sagte der eine. „Der dicke Lenkan soll sich nur als Zielscheibe aufstellen, dann mag er sich Orden und Eiserne Kreuze auf seinen Wanst hängen," fuhr der andere fort. Gottlobe sah Grundmann an, ob er alles gehört habe. Er nickte mit düsterer Stirn. Sie schritten rascher aus und holten Tausckern bald ein. Der war sehr verlegen, auf seinen Wangen stand die matte Röte. seineAuqen funkelten und wichen den Blicken seiner Begleiter aus. Grundmann forschte nicht, was ihn erregte. Er wollte das Feuer gleich gründlich löschen, das zerstörende Element aus Tauschers Brust rasch und ganz aus rotten. Na. nun seien sie die längste Zeit hier gewesen, nächsten Sommer lebten sie daheim, sagte er. Tauscher horchte auf. Da er aber noch nichts Bestimmtes über sein neues Leben in Mummelswalde hörte, machte er ein giftiges, ungläubiges Gesicht, sprach aber nichts, sondern verbarg, was in seinem Innern vorginq. „Es wird Zeit!" sagte Grundmann zu Gottlobe, als sie zu Ruhe gingen. (Fortsetzung folgt.) In neuer Auflage erschienen: Hennsrch-Lobels Lausitzer Dialektvolßsstück GsgenLinssndungvon3.2g in sechs Abteilungen von o Mß. (einschl. Porto) ;u be- Mlh.Friedrich, Äsichsnau ziehen^durchtden.Nerfasser