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Nr. 2S Gbsrlausihsr Hsrmatzettung 301 „Es gibt natürlich auch Rückschläge. Das ist nicht ein Krieg wie siebzig. Man darf deswegen nicht verzweifeln." „Hm — hin!" machte da der kleine Alte und bob gar bedeutungsvoll den Zeigefinger. „Sie spinnen nicht mehr! Den eenen Hauptmann Ham sie weqgeknallt! Ja ja! Und da is nischt passiert und nischt davon gelärmt worden! Der jüngste, der bei Verdun steht, der macht aus seim Herzen och keene Mördergrube: „Wenn der Kutz bloß bald alle wär!" so schreibt er, und so sprechen sie alle!" Grundmann nickte. Er wußte, daß es stimmte. Klutsch, klulsch — der Fährmann steckte die Stange ins Wasser und stieß sich ab. „Das is fein. Mutter!" rief Annel. „Es dauert auch länger." sagte die Mutter. „Wie das Wasser saust! O seist!" — Sie kamen in die Wellen des Schleppzuqes, und der Kahn wurde empor gehoben und senkte sich wieder. Das Mädchen jubelte. „Fetzt! Immer tiefer! — Das müßte eine Stunde dauern!" „Gißte, mein Kind, mit dem Kahn is es auch scheen!" Da niemand an den Anlegestellen wartete, tat der Fähr mann dem Kinde den Gefallen und fuhr weiter aufwärts, als notwendig war, damit es den Genuß länger haben konnte! Dann schlenderten sie über die großen Elbwiesen. Annel und die Mutter Glockenblumen und Vergißmeinnicht zum Strauß pflückend, während Grundmann sich oft nach rück wärts wandte und dann wieder sinnend weiterschritt. „Müßte man sich auf diesem reizenden Fleckchen Erde nicht glücklich fühlen?" dachte er. als er seine Blicke wieder einmal über die grünen Berghänge schweifen und sich von dem weißen, lachenden Giebel grüßen ließ. „Habe ich diese Landschaft nicht als eine der herrlichsten im deutschen Vaterland? geprie sen. als ich herkam? Hat ihr nicht jedermann, der mich auf suchte, seine Bewunderung gerollt? In den Gärten Blumen, Beeren, Obst, darüber Helle Birkenbestände in den dunklen Buchenwald geschoben, Bogelgesang, friedliche Stille, Natur, die große Stadt mit ihrem Lärm und Winkelelend immer hin soweit, daß die widerlichen Erscheinungen verschwinden und auch nur das Gesamtbild mit seinen besonderen Reizen zur Geltung kommt. Hm," stockte er, „wer sie aber kennt, der schaut auch von da'aus in ihre düsternen Gassen, in ihre das Menschentum tötenden Riesenbetriebe, der erkennt auch von hier aus ihre „Vornehmen", „Großen", „Hohen Herrschaften", ihre „Leute von Rang" als hohle, jammer volle Larven. Nein, noch lange nicht weit genug liegt sie! Hinweg aus ihrem Dunstkreis! — Und wo sind wir? Doch schon wieder in der Großstadt!" Denn sie waren in dem Stadtteil angekommen, in dem sie früher wohnten. Schnatternde Züge von Zigarettenarbeite- rinnen, Kontor- und Lehrmädchen begegneten ihnen, schwarz berußte Fabrikheizer. Gärtnerburschen. Feldgraue, Militär autos und auf Drahtfedern klirrende Radfahrer sausten an ihnen vorbei. Grundmanns gingen die Randstraße, die stillste, hinter, wo ihre ehemalige Wohnung lag. Hier hatte sich etwas verändert, nicht wie früher wogte die gelbe Kornsaat vor dem Hause, sondern eine Schrebergarten-Kolonie war angelegt worden. Emsig wurde in jedem Gärtchen gearbeitet. Sie gingen hinzu. „Sieh mal, Vater, eine richtige Kirche steht dort hinten!" rief Annel entzückt. Wirklich hatte einer in seinem kleinen Garten eine Laube in sentimentalem Kapellenstil gebaut, mit aufgemalten Spitzbogenfenstern und einem Türmchen auf dem Dach. Daneben freilich stand der aus ein paar aufein andergelegten Kisten hergestellte und mit Dachpappe bedeckte Kaninchenstall. Kinder spielten mit den herausgelassenen Tieren. Fast jeder Pächter hatte sich eine Laube gesetzt, der aus Stangen, der aus Brettern, der aus Schwarten, der hatte sie bemalt, der hatte Bohnen oder Schlinggewächse an den Wänden hochqezogen, der hatte Tisch und Bänke darin, man sah sogar Kaffeekanne und Tassen auf dem Tische stehen, der hatte nurHandwerkszeuq darin unterqebracht, mancher hatte die Laube aus Zeit-oder Holzmangel nicht vollenden können und es stand nur das Gerüst, ein anderer hatte große recht eckige Ausschnitte in den Wänden, aber keine Fenster ein setzen können. — „In den öden Fensterhöhlen wohnt das Grauen!" dachte Grundmann.— Wieder ein anderer hatte die bautechnischen Gesetze so wenig beachtet, daß das ganze Gebäude sich auf einer Seite gesenkt hatte und minütlich umzvstürzen drohte. Kindergejohle lenkte Annels Aufmerk samkeit auf eine Parzelle am Rande der Kolonie. „Di? haben e'nen Springbrunnen! Seht ihr's. Vater. Mutter? Wie's hochipringt, das Wasser! Seht ihr's? Ach, jetzt ist's gerade aus." Aber die Eltern konnten das herrliche Schau spiel gleich nach genießen. Ein Knabe füllte nämlich eine an der Laube befestigte Spülkanne. „Paßt auf, die Vorstellung beginnt! Der Geiser springt zum Himmel empor!" rief er, dann drehte er in dem eingebauten Kessel einen Hahn auf und unter dem Gekreisch der Zuschauerschar spritzte ein spär licher Strahl auf. Selbst Grundmanns mußten über diesen originellenSprinqbrunnen lachen. Was doch auf dem kleinsten Raume alles unternommen werden konnte! Von der andern Seitedranavlötzlich markdurchschauerndesQuieken und takt mäßiges Klatsch—klatsch—klatsch. „Ich will dir helfen, meine Pfirsiche mausen, Strick du!" sagte eine zornbebende Männerstimme. Natürlich eilten die Wasserkunstzuschauer sofort hinüber, um den gestraften Missetäter mit ihrem Spott zu überschütten. „Mit der Ruhe dieser Straße wcir's also vorbei!" meinte Gottlobe. „Kunterbunt qeht's zu." Dr. Grundmann wandte sich zum Weiterqehen. „Siedau ern mich, vie Leute!" begann er nach einigen Schritten. ..Sie sind alle daran wie ich, sie sind heimatlos, unglücklich." Gottlobe sah ihn an. „Ja ja, es ist so. Glaube mir, Gottlobe, keiner dieser Schrebergärtenpächter ist zufrieden. Laß dich durch die Lebe- recht-Hühnchen-Mienedes pfeiferauchenden Gemüsezüchters nicht täuschen. In allen lebt die Sehnsucht nach der Scholle, das Verlangen nach eigenem Boden. Sie haben nicht alle eigenes Land, eine Heimat besessen: wer weiß, was sie ge trieben bat, sich von ihr zu trennen. Und nun greifen sie nach diesem Ersatz, der sie aber so wenig befriedigen kann wie die Hausfrau irgendein Kriegsersatz. Sie sind sich dessen alle bewirkt, außer den Kindern. Ich habe oft Schrebergärtnern zugeschaut und auf ihren Gesichtern das Heimweh, die Un zufriedenheit, Resignation oder auch ironisches Lächeln über ihre Leberecht-Hühnchen-Wirtschaft wahrqenommen." „Aber warum vergleichst du sie mit dir, der du doch eigenes schönes Haus und Land hast, wo du dich ganz nach eigenen Wünschen einrichten kannst?" „Weil auch das nur ein Ersatz ist. Ja, du weißt, wie es steht, Gottlobe, daß ich mich in unserm Heim nicht daheim fühle. Nicht mehr: denn ein paar Wochen schien's der Fall zu sein. Es war ein schöner Selbstbetrug. Gar bald ahnte ich, daß ich heimatlos auf der eigenen Scholle bleiben würde, daß auch meine Mummelswalder Stube nichts daran ändern könne. Ersatz, sonst nichts! 5)ast du dich vorhin einmal um- gesehen nach unserm Haus? Freundlich, heimatlich, aber, du fühlst's so gut wie ich, es paßt nicht hin unter die anderen Protzkästen. Ich ahnte es lange schon, nur wollte ich mir's nicht eingestehen, ich fürchtete mich vor der Erkenntnis: meine Heimat ist Mummelswalde, und Mummelswalde läßt