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vk-r-bo^en 1. Jahrgang Ar. 13 Unber-ecsttigter- Drucf u.Verlag .Älwin Marx (Inh. Otto Marx) Südlausrher Nacftrict)(en, Reichenau^Sa. Gesck)lcl)iS, Grsch?!N< alle? 14 sLage- Z^nel'/«gs^ Bloiter für 'A L?eimaikunöe Schristleitung unö Gefchäfksskelle ir^Reichenau.Sa. Fernsprecher Nr. 21S Gonntag, 21. Marz 1929 Das Wendentum in der Lausitz Ein Beitrag zur Volkskunde von Ad. Ziesche (F. A. Esches-Dresden (Nachdruck verboten.) itten in deutschen Landen lebt sriedlich, schlicht und zufrieden seit säst anderthalb Jahrtausenden ein slawischer Bolksstamm gewissermaßen als Einheit: die Wenden! In der sächsischen Overlausitz und in der preußischen Niederlausitz haben die Wenden ihr Volkstum, ihre Eigentümlichkeit in Sprache, Sitte und Tracht mit seltener Zähigkeit bis heute zu wahren gewußt, ohne jedoch die sonst übliche Slawenart hervorzukehren. Friedlich leben sie unter und mit den Deutschen, Preußen und Sachsen, ja sie sind gut deutsch gesinnt. Daran kann auch die seit einigen Monaten eingesetzte Bewegung zu Gunsten eines eigenen Wendenstaates nichts ändern. Denn diese sogenannten Loslösungsbestrebuagen sind nur das Werk einzelner Führer. Das Wendenoolk im großen und ganzen steht dieser Bewegung fern. Es kann hier nicht der Ort sein, aus die Ursachen dieser Bewegung einzugehen. Die Er haltung des Wendenoolkstums ist auch im Rahmen der bestehen den Staaten gesichert. Bon den Wenden dringt im allgemeinen wenig an die Öffent lichkeit, ja, nicht einmal die Gegend mit ihren eigenartigen weit- abgeschiedenen Schönheiten ist so bekannt, wie sie es verdient. In der sächsischen Oberlausitz leben heute etwa 60000, in der preu ßischen Ntederlausig an die 70000 Wenden in dichtbevölkerten Siedlungen. Zur größeren Hälfte sind sie katholisch, zur kleineren evangelisch. Das alte Budtssin (Bautzen) hat eine katholische und eine evangelische Wendenkirche. Die Wenden sind ein einfaches Bauernvölkchen, das treu und fest an der errungenen heimatlichen Scholle hängt. Diese Bodenbeständigkeit hängt unzweifelhaft mit der Wohlhabenheit der bäuerlichen Wenden zusammen. Daneben begegnen wir aber auch vielen Wenden in den Lausitzer und ande ren Städten in allen möglichen Berufen und Ständen. Selbst edle Geschlechter sind aus dem Wendenstamm hervorgegangen, so z.B. das Geschlecht derer von Stutterheim aus dem wendischen Bolks- stamm der Stoderaner, die um Luckau herum wohnten. Und die Herren von Miltitz sollen vom Stamm der Milziner, die Herren von Schlieben von den Schluden abstammen. Huben viele von denen, die nicht mehr direkt in der „Wendei" wohnen und leben, auch äußere Eigenart der Wenden abgelegt, im Innern sind sie es doch geblieben, vornehmlich aber pflegen sie neben der deutschen ihre Muttersvroche weiter und vererben sie auch. So hat es sich z. B. als ein Bedürfnis herausgestellt, daß in der sächsischen Haupt stadt Dresden in der Kreuzktrche aller sechs bis acht Wochen ei» Gottesdienst in wendischer Sprache für die hier lebenden Wenden abgehalten wird. Die Allgemeinheit weiß eigentlich recht wenig von den Wenden. Wohl hört man alljährlich von dem wendischen Osterreiten, einer katholischen Prozession besonders in der Klostergegend, wohl hören wir ab und zu von dem Gelage bei einer Wenden-Hochzeit, bei der es immer hoch hergeht, obgleich die Wenden im allgemeinen höchst einfach und genügsam leben. Die Sitte der Wenden ver langt eben bei festlichen Gelegenheiten große Prachtentfaltuug. Wohl sehen wir hier und da in Städten ihre originelle Tracht, die weiten bauschigen Röcke und die weiten schwarzen mit weißen Bändern geschmückten Kopfhauben der Frauen. Sind doch Ammen und Kindermädchen dieses gesunden Menschenschlags von wohl habenden Familien sehr gesucht. Und da muß eine Wendin in ihrer Tracht paradieren. In der Heimat freilich gibt es wett farben prächtigere Trachten, besonders bei den evangelischen Wenden, während bei den katholischen die schwarze und weiße Farbe vor herrscht in der Kleidung. Für fast jede Gelegenheit, bei Hochzeit, Kindtaufe oder Trauer sind die Trachten verschieden. Die Wenden sind Abkömmlinge der Slawen, die hier vor bei nahe fünfzehn Jahrhunderten einwanderten. Diese machten sich im ganzen Deutschen Reiche seßhaft, dessen Bewohner von ihnen um das Jahr450 zu den Zeiten des Käfters Theodosius des Jüngeren vertrieben worden waren. Die Slawen teilten sich in mehrere Stämme; zwei davon nahmen von den südlichen Landstrichen Sachsens, links und rechts der Elbe Besitz: die Sorben die weiß- Nische Gegend, die Wenden die lausttztschen Lande. Sorben und Wenden waren Ackerbauer und bebauten die vorher wüsten Gegen den. Der Name der Lausitz aber ist, nach den von den Wenden vertriebenen Lusen benannt, dem Lande verblieben. Bon allen damals eingewanderten slawischen Stämmen haben nur dre Wen den ihr Volkstum erhallen. Die Altenburgtschen Bauern, die als Abkömmlinge der alten das Oberland bewohnenden Sorben gel ten, halten zwar ebenfalls an alten Gewohnheiten, Sitten und besonders an ihrer Tracht fest, die in mancher Beziehung mit der der Wenden verwandt ist, aber die slawische Sprache pflegen eben nur noch die Wenden. Übrigens berichtet die Sage, daß die Alten burger einst von ihren stammverwandten Brüdern in der Lausitz bitter gehaßt wurden. Von den asten Wenden werden recht drastische Fälle barbarischer Sitten erzählt, die sie mitbrachten. So hatten sie z B. außer ordentlich strenge Ehegesetze. Jeder, der sich durch Untreue an seinem Weibe versündigt hatte, wurde mit der Person, mit der er gesündigt, an eine Brücke oder einen sonst geeigneten Ort gena gelt. Daneben wurde ein Scheermesser gelegt und ihnen die Wahl gelassen, entweder auf dieser Stelle zu sterben oder sich selbst los- zuschnetden. Wenn ein Ehemann starb, wurde die hinterlassene Witwe bei lebendigem Leibe auf den Scheiterhaufen zu dem Leich nam des Ehemannes gelegt und mit diesem zugleich verbrannt. Das geschah nicht zwangsweise, sondern freiwillig und unter großem Freudengeschrei. Das war allerdings in heidnischen Zeiten, in denen sich die Wenden auch der asten Leute, die zu nichts mehr tauglich waren, auf grausame Weise entledigten. Da schlug der eigene Sohn seinen Vater tot, wenn er alt und unfähig wurde, oder er warf ihn ins Wasser oder stürzte ihn von