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Gbsrlaufltzsv Heimatzeitung 2SS !Nr. 23 den hochtrabenden Titel Bischof und Schulfürst verlieh, „mit eines Jeden Vermögen Und gefallens nach gebür- lichenn Honoraria Versehen»" werde, doch aus den bitter lichen Klagen und den Kämpfen um die geringe Existenz entnehmen wir, daß dieses „Honorar" hauptsächlich in den beiden Titeln bestand. Die übrigen Punkte der 52 Paragraphen dieser Kirchen- und Schulordnung befassen sich meist mit kirchlichen Din gen von wenigerem Interesse, als Vorschriften für die Gottesdienstordnung und dergleichen. Nicht zu verkennen ist, daß auch schon alte Gesetze und Verordnungen das Beste gewollt haben, es haben sich nur die Begriffe verschoben, wem das Beste dienen soll. EAier hundert Fahre W du alt. In der bekannten Pfefferkuchcnstadt Pulsnitz ist der lebhafte Durchgangsverkehr nach und von Dresden gegen wärtig zum großen Teile stark behindert und aus den gewohnten Bahnen gedrängt worden. Große Aufschriften: „Brückenbau! Straße gesperrt!" halten den Verkehr von der Langen Straße, der Hauptverkehrsader von Pulsnitz, fern. Die im Zuge der Dresden—Kamenzer Staatsstraße befindliche, am Westausgange der Stadt Pulsnitz über den Bach gleichen Namens führende Brücke wird abgebrochen, da sie den gesteigerten Anforderungen des modernen Ver kehrs nicht mehr genügt. Der gesamte Durchgangsverkehr nach Dresden wird über Großröhrsdorf geleitet. Eine Jubilarin, eine Hundertjährige, nimmt mit dieser Brücke Abschied von uns, eine Zeitgenossin der Postkutsche. Ihre letzten Tage aber ragen hinein ins weltumspannende Zeitalter des Flugverkehrs uud des Radio. Als die Brücke vor 100 Jahren gegen den Willen der Pulsnitzer Bürgerschaft geschaffen wurde, bedeutete das Bauwerk für unseren Ort eine gewaltige Neuerung und Verbesserung des Verkehrs. Sie hatte keine Vorgängerin. In völliger Freiheit floß die Pulsnitz, dieser ehemals außerordentlich wichtige Grenzfluß zwischen Böhmischen nnd Meißner Landen, durch Gärten und Wiesen dahin. Die Lange Gasse führte durch das Niedertor hinaus, mitten durch den Bach, auf die Meißner Seite. Ackergespanne und anderes Fuhrwerk benutzten diese Furt. Für Fußgänger lagen in Schrittweite einige Steinplatten im Bachbett, auf denen man trockenen Fußes hinübersteigen konnte. In niederschlagsreichen Zeiten gabs natürlich nasse Füße, weil der steinerne Steig vom Wasser überflutet war. Dem großen Sohne unsrer Stadt, Ernst Rietschel, der wenige Schritte entfernt in der Badergasse seine Kindheit verlebte, waren all das vertrante Verhältnisse. Wie oft mag der Knabe barfüßig durchs Wasser gewatet sein, nach Kinderart Fische jagend, an denen die Pulsnitz sehr reich war. Eines Tages aber sehen wir ihn im Sonntagsrock mit seinem Vater beim Morgengrauen den Bach über schreiten. Sie wandern den Eierberg hinan nach der Wunderstadt Dresden, wo Nietschels Künstlerlaufbahn be gann. Damals gab es noch keinen Tanzsaal an der Pulsnitz- furt und wahrscheinlich auch nicht das moderne Tanz bedürfnis. Und das war gut so. Der Gang über den steiner nen Steig war bei Tage ein leichtes Unternehmen. Aber der Heimweg dann bei dunkler Nacht ohne jede Straßen beleuchtung oder gar, wenn Regengüsse das Wasser der Pulsnitz inzwischen anschwellen ließen, wäre für die Tanz lustigen weniger angenehm gewesen. Die moderne Jugend hat es auch in diesem Punkte viel bequemer als die Zeit genossen Nietschels. Zwei, d^rei vergilbte Aktenbündel berichten von den langwierigen Verhandlungen, die dem Brückenbau vor ausgingen und über denen ein ganzes Jahrzehnt ver strich, ehe den Erwägungen die Tat folgte. Der erste An stoß geschah 1820. In diesem Jahre beantragt die Gemeinde Pulsnitz M. S. sM. S. — Meißner Seite) den Bau einer Brücke und erbietet sich, die Hälfte der auf 335 Taler ge schätzten Kosten zu tragen. Der Amtshauptmann von Dresden teilt diese Absicht dem Pulsnitzer Schloß- und Gerichtsherrn befürwortend mit und ersucht ihn, zu dem Plane Stellung zu nehmen. Die Antwort lautet freilich durchaus ablehnend. Der Schloßherrschaft entstünden durch den Brückenbau eine Menge Nachteile. Wir erfahren u. a., daß das Pulsnitzbett bachaufwärts als Fahrweg benutzt wird. Ju dem Schreiben Ernsts von Posern heißt es: „Wenn diese Brücke eine gehörige Breite erhalten soll, so geht der vom steinernen Steig im Bache aufwärts gehende Fahrweg von Pulsnitz in die Böhmische Vollung und Groß Röhrsdorf von beiden Seiten verloren, weil dann weder von der Meißner Seite, noch von der Stadt Puls nitz aus das Gelenke mit Wirtschaftswagens zu bekom men ist." Auch die Bürgerschaft von Pulsnitz kommt zu einem ablehnenden Beschluß, und zwar aus folgenden Gründen: 1. weil man sich nicht von dem sehr bedeutenden Nutzen dieses Brückenbaues zu überzeugen vermag, 2. weil die Bürgerschaft die Kosten dieser Brücke wenig stens 1000 Taler schätzt, 3. weil die Bürgerschaft bei deren bedeutenden Kriegs schulden nicht 500 Taler zu einem der Stadt so wenig Nutzen bringenden Brückenbau verwenden könne, 4. weil auch die Existenz einer Brücke der Stadt in Kriegszeiten nur desto mehr Truppenmärsche zuziehen würde. Der Schloßherr bedauert zum Schluß übrigens, daß sich dem Vorhaben auch Schwierigkeiten entgegenstellen, welche in der Örtlichkeit begründet sind, aber die sumpfige Unterlage von Pulsnitz habe ihn gelehrt, bei allem Grund bau die möglichste Vorsicht anzuwenden. Damit ruht die Angelegenheit bis zum Jahre 1827. Die Dresdner Straße ist inzwischen als Chaussee aus gebaut worden, und die Frage des Brückenbaues wird aufs neue brennend. Die Schloßherrschaft wird angewiesen, die Beteiligten nochmals mit der Frage zu beschäftigen und sich über die Kostendeckung zu einigen. Der Kosten anschlag des Straßenbau-Aufsehers La Mare lautet auf 732 Taler 8 Groschen. Schloßherrschaft und Bürgerschaft jedoch verharren weiter auf ihrem ablehnenden Stand punkte. Die im Jahre 1820 genannten Gründe, heißt es, bestünden auch jetzt noch. Außerdem wird mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß durch den Brückenbau elf Fahr- und Wegegerechtigkeiten im Bache aufwärts verloren gingen. Schon deshalb sei der Brückenbau unstatthaft. Zu dem käme es innerhalb 0—8 Jahren kaum einmal vor, daß der Verkehr durch das Pulsnitzbett wegen, Hochwasser ver hindert würde. Wiederum tritt eine dreijährige Pause ein, und der Brückenbau hätte vielleicht noch lange aus sich warten lassen, wenn nicht von Seiten der Regierung der entschei dende Vorstoß erfolgt wäre. Im Mai des Jahres 1830 er scheint ein zwingender Erlaß des Königs Anton von Sach sen, worin den in Frage kommenden Stellen des Königs „gnädigstes Begehren und Befehl" knndgetan wird, „daß der fragliche Brückenbau sofort in Angriff genommen und ausgeführt werde." Gleichzeitig wird eine Beihilfe von 150 Talern gnädigst bewilligt. Soweit die Akten! Wir dürfen hiernach annehmen, daß die Pulsnitzbrücke im Jahre 1830 wenigstens begonnen worden ist und in unfern Tagen rund ein Jahrhundert lang ihren Zweck erfüllt hat. Seit wenigen Tagen ist sie verschwunden. Viele fleißige Hände regen sich, und bald wird eine zeitgemäße Nachfolgerin an ihre Stelle treten. Wir wollen hoffen und wünschen, daß die neue Brücke als würdige Eingangspforte unsrer Stadt allezeit zur Zierde