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36 Vberlaufltzek Hslmatzettung M.3 keit allein bleiben. Sein Weib zwar, seine Nachbarn soll' ten nichts wissen. Aber morgen früh würbe er in die Stadt fahren. Wozu gibt es Advokaten? Können die einem nicht am besten Bescheid sagen in solchen schwierigen Sachen? Nun also, vor einen Rechtsanwalt wollte er morgen tre ten, ohne Scheu endlich einmal, und zu ihm sprechen: „Lie ber Herr, ich habe einen Menschen getötet. Ich wollte es wahrhaftig nicht, aber die Sache kam so und so." Mochte dann werden was da wollte, und schließlich würde man seiner Schilderung Glauben schenken müssen, die so ehrlich gegeben ward. Es mußte alles endlich gesagt werden: konnte man denn wissen, ob nicht sonst das Geheimnis ein mal nachts dem schlafbesangenen Munde entfliehen würde? War nicht dergleichen schon erzählt worden, wie ein schuld beladener Mensch während des Schlummers seine Übeltat nichtsahnend verriet? Nein, so weit durfte es nicht kommen: da sollte doch der morgige Tag Klarheit bringen, und viel leicht, ja sicherlich stand die Angelegenheit gar nicht so schlimm für ihn. Die Ungewißheit, die Ratlosigkeit waren doch bas schlimmste. Mit solchen Überlegungen schied der Bauer heute von dem Teiche, den er, befreit von Schuld, vielleicht gar nicht mehr oder doch mit ausgesöhnterem Herzen wieder be suchen wollte. Der Glanz der Abendsonne, der sich durch die Wolken stahl, zitterte Augenblicke lange rötlich auf den hüpfenden Wellen, die der Nordwest immer noch über den Teichspiegel hin nach dem Ufer trieb. * > Auf der winzigen Haltestelle, die nur aus einer kahlen hölzernen Wartehalle und einem Stückchen grasüber wucherten Bahnsteiges bestand, stieg der Bauer in den Frühzug, der nach der Stadt fuhr. Er war in seinem Sonntagsstaat, der grünen Joppe, den gestreiften derben Hosen, dem zergriffenen schwarzen Hut: in der Hand hatte er nichts außer dem Stock. Daheim hatte er sich mit einer leichtgefundenen Ausrede verabschiedet und für den frühen Nachmittag sein Wiederkvmmen versprochen. Nur wenige Fahrgäste saßen verschlafen in dem kalten Wagen vierter Klasse. Einer von ihnen beantwortete den Gruß des eintretenden Bauers munterer und lauter und winkte ihn auf den freien Platz neben sich. Es war ein vier schrötiger, glattgeschorener Kerl, ein Viehhändler aus dem Preußischen, einer, der alle Welt kannte und auch mit dem Bauer schon zu tun gehabt hatte. Er freute sich, jemanden zur Gesellschaft gefunden zu haben, und begann mit lär menden, breiten Worten das Gespräch. Das Züglein eilte indes auf seinem vielgewundenen Eisenpfade der Stadt und dem Berglande zu, schnaufte gewaltig, hielt oft an und bimmelte ausgiebig und fröhlich. Einmal sagte der Viehhändler: „Mein Lieber, ich guck mir Dich schon 'ne ganze Weile so an, aber weißt Du, gut siehst Du mir heute nicht aus. Bist Du krank? Willst Du zum Doktor?" „Ach, dummes Zeug," wehrte der Bauer rasch ab, „mir fehlt doch reine gar nichts: an mir hat kein Doktor noch was verdient!" „Na, na!" meinte der andere, „auch der stärkste Ochse s wird mal alt und krank!" Er begleitete diese Worte mit dröhnendem Lachen und blickte sich beifallsuchend im Wagen um. „Aber, alter Freund," fuhr er fort, „vielleicht gönnst Du Dir nichts zu Hause? Mußt essen, bis Du so 'nen Bauch kriegst wie ich! Wirst Du nicht zur Kirmst ein Schweinchen schlachten, was? Wellfleisch, Würste, Speck, das ist alles prima Arznei für unsereins!" „Wird schon werden," erwiderte der Bauer, „wird schon werden. Aber wirklich, mir fehlt ja gar nichts!" Der Zug hastete vorwärts und führte seine Insassen vorüber an manch zerwühltem Kartoffelacker, manch kei mender Saat, manch gilbender Wiese. Über der Landschaft ruhte unbewegt der Dunstschleier, der die Ferne vollkom men verhängte, alles Nahe in ein trübseliges Grau tauchte und Erde und Himmel gleichermaßen dämpfte und ver düsterte. In der Stadt ging der Bauer bald allein seines Weges. Er schritt langsam und fest, niemand konnte ihm eine Un sicherheit anmerken. Nur er allein wußte, warum sein Herz so schnell und mächtig pochte, daß ihm das Blut rauschend durch die Adern jagte. Von der Leichtigkeit, die er gestern abend noch vorausgekostet hatte, war heute nichts mehr übrig. Der Rechtsanwalt, den er im Sinne hatte, hielt sein Büro in einem Hause der neueren Stadtstraßen. Sehr bald langte der Bauer vor dem Gebäude an, das vornehm in einem Garten stand und dessen Erdgeschoß durch eine dichte Reihe von Ziersträuchern fast ganz den Blicken der Vor übergehenden verborgen war. Er las an der Gartentüre den Namen des Rechtsanwaltes, las auch, daß die Sprech stunde etwas später beginne. Eine halbe Stunde noch, welch herrliche Gnadenfrist! Ein Gefühl der Dankbarkeit gegen das Schicksal öurchströmte das Herz des Bauers: er ging schnell hinweg und wanderte durch die Anlagen, die eine schöne rote Kirche umrahmten. Immer um diese Kirche herum ging er, als hätte es ihm jemand so aufgegeben: die Spitze seines Stockes bohrte sich Hunderte von Malen tief in den weichen Boden der Wege. Es begann ein Sprüh regen niederzugehen: von Bäumen und Sträuchern rann die Nässe schläfrig herab,- die Luft war modrig und sehr kühl. Der Bauer konnte während seines eiligen Rund ganges das Haus beobachten, in dem er seine Beichte ab zulegen gedachte. Einmal sah er einen Herrn durch die Gartentür hineingehen im Gummimantel und mit der Aktenmappe, und er wußte, daß er jedenfalls vor diesem Fremden würde reden müssen, und es wurde ihm plötzlich heiß um das Herz. Entsetzlich schwer, ja unmöglich erschien ihm jetzt das, was er vorhatte. Nach einigen Minuten raffte er sich dennoch auf und überquerte die Straße. Doch vor der Gartentür zauderte er abermals,- er ließ die eiserne Klinke, die er schon nieder drücken wollte, wieder los und fing an, auf dem Bürger steig auf und ab zu gehen. Er versuchte krampfhaft, sich ins Gedächtnis zurückzurufen, was er hatte sagen wollen,- doch die Gedanken stellten sich nur bruchstückweise und ungeord net ein,- das meiste schien überhaupt ausgelöscht. Ihm war zumute wie einem ängstlichen Schulkindc, das seinem Leh rer einen schweren, schlechtgelernten Spruch aufsagen soll. Sein Herz schlug rasend. Nein, jetzt noch nicht, nur jetzt noch nicht da hinein, er mußte erst wieder Kräfte sammeln! Unruhig marschierte er auf dem Bürgersteig auf und ab. Leute eilten an ihm vorbei, Wagen rollten ab und zu, auch Autos: er sah nichts an. Aus den Gärten tönte das zän kische Schilpen der Sperlinge. Einmal kam ein kleines Mädchen die Straße lang ge trippelt, ein niedliches Dirnchen von vier, fünf Jahren, in kurzem, feinem Röckchen und mit kurzgeschnittenem blonden Haar. Den Regenschirm hatte es wie ein lustiges Pilzdach über sich gespannt, darunter versteckt trällerte es nach Kinderart vor sich hin. Es wollte zu der Gartentür hinein, vor welcher der Bauer gerade stand. Erstaunt hob die Kleine den Schirm und betrachtete den Mann mit be fremdeten Blicken. Ihre Scheu verlor sich aber sogleich wieder,- über ihr keckes Gesichtchen glitt es wie ein Sonnen schein, während sie wichtigtuend den Bauer anredete: „Mein Papa ist Rechtsanwalt! Jetzt geh ich Papa besuchen. Kommst Du mit 'rein, Du?" Dieser kindlichen Zutraulichkeit gegenüber fand der Bauer keine Antwort. Sein Gesicht verzerrte sich zu einem unbeholfenen Lächeln: er zuckte mit den Achseln, wandte sich um und ging wieder weiter. Gleich daraus begann er sich schon heftig zu ärgern. War denn das nicht ein Engel gewesen, den ihm Gott schickte, nm ihn aufzumuntern? Auch diese Gelegenheit hatte er nun verpaßt, Während er