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Nr. 1 Hberlaufltzer Helmakzeüung und über die Wände hinab in den Zwinger stürzten. Wir halten es heute einfach für ein Märchen, wenn die Chro nisten berichten, der Sebnitzer Accisinspektor Strohdach habe sich auf dem Hohnstein aus dem kurzgeschnittenen Stroh seines Bettsacks ein 24 Ellen langes Seil angefer tigt, mit dessen Hilfe er über die Felsen hinabkletterte. Es hielt den Mann auch aus, aber leider war es noch zu kurz. Strohbach mußte tief htnunterspringen und brach dabei beide Beine, sodaß er als Krüppel ins Gewahrsam zurück gebracht wurde. Aber nicht mur Gefangene brachen zu Hohnstein aus, nein, auch in den Bären machte sich ein unbesiegbarer Frei heitsdrang bemerkbar. Trotz der hohen Mauern kam es öfter vor, daß Petze entwichen und in den umliegenden Wäldern unter dem Wildbestand tüchtigen Schaden ver ursachten und die Bewohner der kleinen Dörfer in Angst und Schrecken setzten. Wie oft hat auch in Hohnstein zu jeder Tag- und Nachtstunde der Ruf „Der Bär ist los!" die Bevölkerung in Aufregung gebracht. 1720 war zu Augustusburg aus dem dortigen Zwinger ein Bär enr- wichen, der drei Menschen zerriß, ein Kind, eine Frau und einen Mann. 1681 entwichen zwei Bären, die aber wieder eingefangen werden konnten. Fast ISO Jahre hat der Hohnsteiner Bärenzwinger be standen. 17S6 beim Ausbruch des 3. Schlesischen Krieges erschoß man die noch vorhandenen Petze. Die Leute erzähl ten freilich, man habe sie in einer stockdunklen Nacht heim lich losgelassen, in der Hoffnung, die ausgehungerten Tiere würden unter den Proviantkolonnen der anrückenüen Preußen große Verwirrung anrichten, oder gar Reiter an fallen. Es sei zum Schlüsse noch bemerkt, daß sich einst außer auf der schon erwähnten Augustusburg auch in Moritzburg ein Bärenzwinger befand. August der Starke hatte ihn an legen lassen. Auf dem Moritzburger Großteiche führte ein kleines Eiland den Namen Bäreninsel. Hier wurde ein Petz gehalten, der bei den großen Wasserjagden das sich auf die Insel flüchtende Wild wieder in die Flut zurück trieb. Wetter seien noch genannt die Bärenzwinger von Dresden, wo ja noch heute der Name Zwinger an jene Zeit erinnert, weiter von Schloß Rochsburg und Pillnitz. Sie haben aber nie die Bedeutung des Hohnsteiner Bären gartens erlangt. Der Augustusburger Zwinger wurde ein Jahr nach der Schließung des Hohnsteiner, also 17S7, aufgehoben. Der letzte Petz wurde erschossen. Noch heute zeigt der Durch gang zum Bärenhaus seinen Kopf. Den älteren Lesern und wanderfrohen Freunden der Sächsischen Schweiz dürfte es vielleich noch bekannt sein, daß von 1902 ab auf dem Kleinen Bärensteine bei Thürmsdorf vom Bergwirte jahrelang junge Bären ge halten wurden, die ganz zahm waren. Die Thürmsdorfer Mühle buk für sie ein besonderes Brot. Leider haben diese Petze ein höchst unrühmliches Ende gefunden: Sie wurden geschlachtet und von den Gästen verspeist, wie ja früher auch in der Dresdner Bärenschenke viel Bärenschinken vergastiert wurde. Möge diese kleine Plauderei dazu beitragen, daß die geneigten Leser bei einer Wanderung in die Sächsische Schweiz auch einmal Gelegenheit nehmen, dem Hohnsteiner Bärengarten einen Besuch abzustatten. W ^Zessettunserr aus ESnvanSSeeken 8 der GHZ. wolle man uns baldigst zukommen laßen, damit I wir emen Aberblick über die Gesamtzahl der gewünschten I Exemplars gewinnen. — Das Inhaltsverzeichnis des I Jahrganges lS27 wird einer der ersten Nummern des neuen I Jahrganges beigelagt werden. Jahrmarkt in Pulsnitz Ein literaturgeschichtltches Kapitel ins Heimatkundliche übersetzt. Man wird Walter Harlans auch in Pulsnitz gedenken in diesen Tagen. Vielleicht mit zwiespältigen Gefühlen. Vielleicht. Aber doch: Man wird des Sechzigjährigen ge denken. Rietschel, Ziegenbalg, Kühn. Die Reihe der Söhne der Stadt ist um einen Namen länger geworden: Harlan. Er ist gewiß nicht ein Sohn der Stadt im ureigenen Sinne. Seine Wiege hat an der Elbe und nicht an der Pulsnitz gestanden, und sein Vater war weder Pfefferküchler noch Bandweber. Möglich, daß er mitunter von Dresden nach Pulsnitz herübergekommen ist. Möglich auch, daß er hier Bekannte hat. Aber das macht es nicht, daß Pulsnitz seiner gedenkt. Sondern wegen seines Lustspieles „Jahrmarkt in Pulsnitz", seines „dionysischen Lustspieles", wie man zu sagen pflegt. Es trägt den Namen des Pulsnitzstädtchens und hat ihn hinausgetragen über die Mauern der Stadt. Hat ihn ebenso hinausgetragen wie es die Pfefferkuchen tun, die hier gebacken werden. Oder wie die Gurte und Bänder, die von hier aus ihre Reise in die weite Welt an treten. Gerade in diesen Tagen ist der „Jahrmarkt in Pulsnitz" wieder in aller Munde, weil man Harlan, den Sechzigjährigen, nicht besser ehren zu können glaubt, als daß man dieses sein Pulsnitz-Lustspiel über die Bühnen gehen läßt. Auch die heimatlichen Bühnen haben sich diese Ehrung nicht entgehen lassen. Nun ist zwar von Pulsnitz herzlich wenig auf dem „Jahrmarkt" zu sehen, denn das Haus des Rentiers Aß- mann könnte, ohne daß sich an dem Stücke etwas änderte, ebenso in Unterstützengrün oder Patschkau stehen. Auch vom Pulsnitzer Jahrmarkt ist nichts eigenes da. Der Rentner Abmann erzählt wohl von Ringelspiel und Schau buden, aber dergleichen gibt es auf jedem anderen Jahr märkte auch zu sehen. Daß zur Jahrmarktszeit ganz Puls nitz nach Pfefferkuchen duftet, das wird gesagt. Aber das ist so ziemlich das einzige Pulsnitzer Kolorit. Anders die Pulsnitzer. Sie sind reichlicher vertreten. Atzmann ist wohl- besoldeter Staütrat in Pulsnitz. Diese Ehre macht ihm allerdings sein Freund und einstiger Kompagnon Nöthner, Hutfabrikant Nöthner in Fa. Nöthner <L Aßmann, streitig, wenn er in gemütlicher Kleinstädter-Art sächselt, daß „die Boliöigg in Bulsnitz ooch ä andrer machen" könne. Aber Aßmann ist dionysisch. „Dionys in Athen und Jahrmarkt in Pulsnitz sind dasselbe". Alle Pulsnitzer haben ihren Jahrmarkt. Die böhmische Köchin Katinka, die nachts aus dem Fenster steigt, um auf dem Jahrmarkts den Erwähl ten ihres Herzens zu finden. Direktor Lemansky, der die Leute vor seine Bude und das Geld in seine Tasche lockt. So will auch Aßmann seinen Jahrmarkt haben. Er fährt nach Berlin und ersteht für teures Geld die Mumie Ram ses des Zweiten, die „angebliche" Mumie. „Was macht ein Stadtrat in Pulsnitz mit einem getrockneten König?", fragt ihn sein Freund. Das ist wahr. Was macht ein Stadtrat in Pulsnitz mit einem getrockneten König? „Er könnte den Fremdenverkehr in Pulsnitz heben," ratschlagen die, die eS ernst mit der Politik in Pulsnitz meinen. Aßmann ist das „schnuppe". Überhaupt: „Die Pulsnitzer sind mir schnuppe," sagt er mit dionysischer Brust. Ihretwegen hat er Ramses den Zweiten nicht nach Pulsnitz gebracht. Wenigstens nicht ihres Heiles wegen. Sein oberstes Ziel ist nach seinem eigenen Ausspruch, „sich in den Augen der Pulsnitzer lächerlich zu machen". Das ist ihm ebenso Lebenszweck wie das andeke: seine erbschleichenden Ver wandten zu ärgern. Denn er ist reich, maßlos reich. Was soll mit seinem Gelde werden? Kinder hat er nicht. Wieder melden sich die, die das Gemeinwohl von Pulsnitz im Auge haben: „Unser gutes Pulsnitz könnte Erbe werden." Aber unser gutes Pulsnitz wird nicht Erbe. Da ist nämlich wer, der hat noch nie Jahrmarkt in seinem Leben gehabt: das