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Wasser ziehen". Also hübsch ordentlich angezogen, ihr Buben und Mädel, sonst zwingt euch das böse Wetter in die Stube! — Nach dem Essen hat auf dem Tische Ordnung zu herrschen. „Wenn nachts Messer oder Gabel auf dem Tische liegen bleiben, so finden die Eltern keine Ruhe," und das wollen doch die Kinder gewiß nicht. Man sagt auch, daß die Kinder keinen Schlaf finden, wenn der Löffel im Topfe zurückbleibt, oder wenn man ihn nachts auf dem Teller liegen läßt. Nimmt man es nach dem Essen mit der Säuberung des Tisches nicht so genau und wischt den Tisch mit Papier ab, so entsteht Zank. Aber wenn ein Mädchen nach dem Essen den Tisch rasch abräumt, so heiratet es bald. — Wenn ein Mädchen zum Kaffee erst den Zucker und dann die Milch reicht, also nicht aufpaßt, wird es eine alte Jungfer. — Wenn es gar mit dem Kochlöffel ißt — brrr wie un appetitlich —. so bleibt es noch lange ledig. Oder wenn es gar so unhygienisch verfährt, den Kochlöffel abzulecken, da heiratet es in die Fremde. Wäre ein Mädchen ge neigt, beim Trinken ins Glas zu lachen, so würde es das schwer zu büßen haben, denn dann bekäme es einen dummen Mann. Daher sittsam getrunken und sich nicht verschlucken! — Überhaupt dient der Mann häufig im Aberglauben als Popanz, der die Mädchen zu wirtschaft licher Tugend führt. Wie ein Mädchen den Hans spinnt, einen solchen Mann bekommt es; spinnt es immer nur wenig, einen kleinen, spinnt es viel, einen großen, spinnt es dick, einen dicken, sagt man in Böhmen. — Wer den Strickstrumpf aus der Hand legt, ohne erst die Nadeln auszustricken, bekommt einen liederlichen Mann. Oder wer an einem Paket den Faden durchschneidet, bekommt gar keinen Mann. — Auch die hygienische Seite kommt bei Tische ausdrücklich in Betracht. Um das unappetit liche Nachtrinken zu unterbinden, sagt der Aberglaube: „Laß niemanden aus deinem Glase trinken, sonst errät er deine Gedanken." Und wer läßt sich denn gern in sein Verborgenes sehen! Bekommt man ein angebissenes Stück Brot, so muß man den Anbiß wegschneiden, sonst wird man einander gram. — Die Schöpfer solcher Aber glauben, die gesundheitlich erziehen wollten, werden viel» fach Arzte gewesen sein. Mit welchen Vorurteilen, mit welcher Denkträgheit mögen sie oft gekämpft haben. Schließlich blieb ihnen als guten Menschenkennern nichts weiter übrig, als durch die geheimnisvolle Drohung eines Aberglaubens Befolgung ihrer Anordnungen zu erreichen: „Reiche nichts über die Wiege hinweg, sonst hat das Kind keine Ruhe". Desgleichen darf man nichts auf die Wiege legen. Die Überlegung, daß durch Fallen lassen eines Gegenstandes beim Hinwegreichen über die Wiege oder durch den Druck und Stoß das Kind Schaden leiden könnte, fehlte meist. Da half der Aberglaube ab. Wie leicht geschieht einem sich selbst überlassenen kleinen Kinde etwas, deshalb darf ein ungetaustes Kind nicht allein in der Stube gelassen werden, dem Aberglauben zufolge aber würde es sonst gegen einen Wechselbalg ver tauscht. „Reiche ein Kind nicht zum Fenster hinaus, es wächst dann nicht mehr." „Steige oder springe nicht über ein Kind, es bleibt sonst so klein." Unfälle will man damit verhüten. „Laß dein Kind nicht unter einem Jahre lausen, es läuft sonst seinem Unglück entgegen", mahnt der Aberglaube und meint dabei die gesundheitlichen Nachteile, die ein zu frühes Laufen mit sich bringen kann. Der Kampf gegen die schmutzigen und unoerschnittenen Fingernägel wurde auch schon früher geführt. Um diesem eingesessenen Erbübel zu steuern, mußte schon eine gehörige Drohung oder Verheißung herhalten. „Wer alle Freitage seine Nägel verschneidet, bleibt von Zahnschmerzen ver schont." Um das Wachstum der Mädchenhaare zu fördern, genügte es nicht, wenn etwa gesagt wurde, „schneidet dem Mädchen gelegentlich die Haarspitzen ab", sondern da mußte der Aberglaube zitiert werden: „Schneidet bei jedem zunehmenden Mond das Haar, dann wächst es gut." „Kinder, welche Mitesser haben, werden nicht über zwölf Fahre alt." Also wurde sauber gewaschen; denn ihre Kinder wollten die Eltern doch behalten. Wenn eine Wöchnerin bei der ersten Suppe etwas übrig läßt, so bekommt sie noch so viele Kinder, wie Brocken auf dem Teller bleiben. Die Wöchnerin braucht Kraft, daher die ihr gewiß nicht gerade verlockend erscheinende Ankün digung. Gerade um Wochenbett und Schwangerschaft ranken sich tausenderlei Aberglauben, die teils wohl auf heidnische Opferbräuche zurückzusllhren sind, die andern- teils aber weiter nichts als versteckte, geschickt einge kleidete sanitäre Ratschläge sind. So dürfen schwangere Frauen kein totes Kind ansehen, sich nicht mit Leichen zu schaffen machen, sonst bekommt ihr Kind keine Farbe. Eine Schwangere darf nicht unter etwas hindurchkriechen, z. B. unter einer Wagendeichsel oder einer Wäscheleine, weil sie dann nicht gebären kann. Sie darf nicht unter dem Hals eines Pferdes hinweggehen, sonst verwickelt sich die Nabelschnur, nicht etwa, da sie dabei erschrecken könnte. Sie darf ihren Zustand nicht verleugnen, sonst lernt ihr Kind nicht sprechen. Sie darf keine Wäsche aufhängen, sonst wird das Kind verkehrt geboren. Wenn die Wöchnerin in den ersten neun Tagen in den Keller geht, so bricht ihr der Teufel das Genick; eine sehr dra stische Drohung, die aber bei den zahlreichen Erkältungs krankheiten der Wöchnerinnen notwendig gewesen sein mag. Wenn die Wöchnerin vor sechs Wochen ausgeht, so begegnet ihr ein Unglück, und wohin sie kommt, be wirkt sie Unfrieden; man sieht sie also nirgends gern. 2n der Kirche stört sie die Andacht. Also in der Scho nungszeit zu Hause geblieben! Auch Richter mögen mit Hilfe des Aberglaubens erzieherisch auf das Volk eingewirkt haben. Mehr als die Gerichtsstrafe hat gewiß ost die Drohung des Aber glaubens abgeschreckt. „Die Hand, die zum Meineid er hoben wird, verdorrt." „Die Hand, die nach den Eltern schlägt, wächst zum Grabe heraus." Hierher gehört auch das klassische Beispiel von der aus dem Grabe wachsenden Hand, welche im Gebirge den Bannwald antastet, was aus das empfängliche Gemüt des Alpenbewohners mehr wirkte als eine Aufzählung all der Schrecken und Ge fahren, die dem Tale durch die Lawinen drohte, wenn jemand den Bannwald vernichtete. Schließlich tritt der Aberglaube nicht nur erziehend auf, indem er warnt und droht, sondern wie jeder rechte Erzieher kommt er auf den Trost. So rät er, kleine Widerwärtigkeiten nicht allzu ernst zu nehmen. Wird z. B. etwas in Scherben geschlagen, so soll man sich nicht darüber grämen; es bringt ja Glück. Oder zerreißt der Braut der kostbare Schleier, so ist das auch kein Grund zum Betrübtsein, im Gegenteil, freuen soll sie sich, denn das bringt ja auch Glück. Und regnet es einer Braut in den Kranz — gewiß keine Annehmlichkeit — so soll sich ja niemand dadurch die Stimmung rauben lassen,