Volltext Seite (XML)
Wo aber mögen heute noch Menschenstimmen und Posaunen ergreifend und ergriffen in den Wintermorgen rufen: „Su des Lebens Freuden schuf uns die Natur; Aber Gram und Leiden machen wir uns nur; Kümmern uns und haben unsre große Not, Nnd doch gibt den Naben täglich Gott ihr Brot." Nmsänger und Dorfmusikanten gehörten zusammen. Der Herr Kantor führte sie an; und weil das Dorf noch eine herzliche Gemeinschaft war, dünkten sie sich auch nicht zu groß, ihren Dorfgenosjen zum Tanz aufzuspielen. Diese Musikanten hatten auch ein ganzes Bündel eige ner Dorftänze, wobei die Noten meist nicht auf Papier, dafür aber umso tiefer in Herz, Kopf und Hand ein geschrieben waren, weil sie schon von den Vätern her als ererbter Besitz kamen. Das Nmsingen ist — bis auf wenig stille gute Win kel kernigen Volkstums — verklungen. Nnd vielleicht werden auch die Dorfmusikanten bald ganz ausgespielt haben. Vielfach sind sie ja schon abgelöst durch die Ma schine, durch das Grchestrion oder das Grammophon. Die Nadiomusik wird ein Weiteres tun. Nnd selbst wo noch angebliche Dorfmusikanten spielen, sind es nicht mehr die echten volkshergebrachten Musikanten, welche wochentags noch ihrem ehrbaren Handwerk nachgehen, sind nicht mehr die mit der herzlich-gemütvollen Dors musik, die auch ein Stück Volksgut darstellte. Aber die Seit erschlägt erbarmungslos einen volkstümlichen Wert um den andern. Den modernen und modernsten Schlagern kann man doch in ihrer raschen Folge, in ihrer Flüchtigkeit und in ihrem künstlerischen Nnwert vom volks-gewillten Stand punkt keine Hand reichen, viel weniger sein Herz schen ken. Vielleicht wäre das noch möglich bei der Volks musik, die aus Wien kommt, weil darin doch etwas wie gute Herzlichkeit und guter Humor steckt. Aber das tut man schnell ab mit dem Nrteil: Sentimental l Nun, viel lieber eine solche Sentimentalität als dis frivole Seichtheit des Berliner Schlagers, und tausend mal lieber alte Dorfmusik auf dem Dorf; denn die Tanz weisen der alten Seit hatten noch eine Seels, ihre Rhyth men waren nicht verzerrt, dafür waren sie voll froher Innigkeit, die Tänze, in die unsere Eltern gelacht, und zu denen der Großvater einst noch einen lustigen Hopser getan. Da spielte die Musik .... und alles schwärmte dazu: ,.Maria saß weinend im Garten, Zm Grase lag schlummernd ihr Kind, In ihren hellblonden Locken, Da spielte säuselnd der Wind." „Ach ja, damals!" sagen nun die Alten unter uns. Damals forderte man sein Mädchen auch noch so zum Tanz auf: „Mädel kämm dich, putz dich, wasch dich schön, Mädel komm, wir woll'n zum Tanze gehn! Kämm dir deine blonden Haare, Braune, schwarze, wunderbare. Kurze Löckchen, lange Söpfchen Auf dem kleinen Trotzeköpfchen, Mädel kämm dich .. Das ist jener Tanz mit dem in seiner Art klassischen Vers: „Waschen soll der Mensch sich immer, Doch vor allem 's Frauenzimmer, Darauf soll man Gbacht geben: Reinlichkeit ist's halbe Leben" ... ist jener Rheinländer, der seine Lockungen in lustigen Achteln und klangvollen Sexten hinwirft, daß — die tanzende Gemeinschaft (die durch die modernen Tänze ja auch aufgelöst ist!) dabei zu wirklicher Freude kom men mußte. Heute ist der Tanz vergessen. Er paßt nicht mehr in die Seit, dazu ist ec viel zu harmlos und melodiös. Die Seit — so sagte einer jüngst ganz gelehrt — ist voll von Dissonanzen, also müsse auch der Tanz „dissonant" sein. Soll die fugend heute einmal Äheinländer tanzen, müssen die Alten erst antreten und es vormachen. Selbst auf dem Dorfe, und bittet man den Herrn „Dorfmusik direktor" um alte Tänze, so hat er sie nicht mit, kann sie nicht aus dem Kopf, oder aber — und das ist das Schlimmere — er ist selbst zu „vornehm" und „modern" geworden und spielt sie aus „Künstlerstolz" nicht mehr. And nun erklingt die Tanzaufforderung im neuen Seit- geist, charakteristisch mit chromatischen Schritten, denen dann fast ein blödsinniges Einerlei folgt: „C> du mein Lieschen, Lieschen, Lieschen, komm ein bißchen, bißchen, bißchen auf die Diele!" Dahin ist dec feine alteNeiz der Bewegungen. Die ursprüngliche Lustigkeit, Derbheit und Frische der Musik zersprungen wie eine seltene silberne Saite. Was dis Stadt tanzt, müßte dem Land gleich sein. Stadtmenschen sind körperlich und seelisch anders in ihrer Stadtluft als Dorfmenschen in dec reinen ecdtreuen Landluft. Die schnelle Stadt jagt betäubenden Vergnü gungen nach. Das stille Dorf schenkt Freude. Nnd Tanz soll der ungetrübte Ausdruck wahrer Freuds sein, nicht Sucht und Gier. Der moderne Tanz ist in seinen Ver irrungen und Verrenkungen (und verirrt und verrenkt kommt er auf's Land) ein Taumel über Abgründen des Nnglücks. Kinderliederfox und Volksliederjazz führen aus keiner Not heraus. Von jeher hat das Land sein Volk stark und gesund gemacht. In diesem Sinne könnte es sich stark und gesund erhalten und ein heilkräftiger Jungbrunnen deutscher Freude werden. Darum sollten sich die Dorfmusikanten heilig ver pflichtet fühlen, ihrem Stande alle Ehre zu machen; denn es geht eben auch mit der Dorfmusik um deutschen Volksgeist, um ein Stück deutsche Seele. Sohnrey, Söhle, Schaumberger haben das dem denkenden Deutschen gemeinsam gezeigt. Es fragt sich nur, ob die guten Deut schen noch so viel Herz haben, den Klängen aus alter Seit zu lauschen, ob sie sich jene Kindlichkeit bewahrten, die Langbehn in seinem Nembrandt als Erzieher bei rechter Männlichkeit wissen will. Solche Dorfmusikanten wimmern nicht wehe Weisen mit dem Saxophon. Dis blasen fest in Tubas und Po saunen. Nnd das Schlagzeug spielt eine tüchtige Nolle dabei. Dorfmusik haut auch einmal daneben; aber sie schafft jene reine herbe Freude, der Gesundheit und Kraft aus den Augen blitzen. Darum, ehrenwerte Dorfmusikanten, lockt auf euerm Dorf nicht so zum Tanze: „E> du mein Lieschen, Lies chen, Lieschen", sondern tausendmal lieber: „Mädel kämm dich, putz dich, wasch dich schön, Mädel komm, wir woll'n zum Tanze gehn l" ...