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dein, daß man meint, das Mittelalter sei zurückgekehrt. Steil fallen die verwitterten Granitufer zum Wasser ab. Wie oft zerschellten an ihnen die Stürme der Feinde! Bäume und Sträucher klammern sich mit knorrigem Griff in die Spal ten, hängen frei über dem Hang, breiten grüne Tücher über die Felsen und lassen in lustiger Höhe lichte Wimpel ins Land hinaus flattern, dem Wanderer zum Gruß, der unten im Tale seine Straße zieht. Zur Frühlingszeit muß man daherkommen, wenn Steinbrech und Hahnenfuß, Taubnessel und Gundermann bunte Teppiche über die granitenen Stufen breiten und Flieder und Goldregen in vollen Trauben aus den Büschen hängen; oder im Herbst, wenn das Kirschlaub glüht und die Birken gelbe Standarten aufgestellt haben — welch eine Pracht! Da kriechen auch Häuschen den Berg hinan. Ein gar beschwerlicher Weg; sie sind alt und grau darüber geworden, und manches ist unterwegs geblieben, weil es nicht weiter kam. Wären nicht die kleinen Gärtchen mit Zäunen und Lauben, mit Blumenbeeten und Kieswegen dazwischen, man würde ihr runzliges Gesicht noch deutlicher sehen. Da sind die schmalen Pfade flinker. Sie laufen behende zwischen Häusern und Gärten hindurch und sind — husch! husch! — auch schon oben. Eilig drängen sie sich durch dunkle Tore, hasten zur Stadt hinein und verschwinden hier im Gewirr der Straßen. Eselsberg heißt der eine, denn vordem klapperte bei dem Wehre hier die „Große Mühle". Ihr Räderwerk ist längst vermorscht. Fabriken stehen nun an ihrer Stelle; die schauen mit langhalsigen Schornsteinen aus dem Tale herauf, ob sie wohl etwas von der Stadt erspähen möchten. Hinter ihren Fenstern rattern Spindeln und Webstühle und wirken Wolle zu Tuch. Bautzener Tuche haben von altersher einen guten Klang, und der Bautzener Wollmarkt war bekannt im ganzen Lande, also, daß er daran war, fast dem Görlitzer den Rang abzulaufen. Und das wollte etwas heißen. Aber die Bautzener Wollenweber verstanden sich aufs Handwerk, und wenn es sein mußte, stellten sie auch sonst ihren Mann, wie sie anno 1405 bewiesen, wo sie die Stadtoäter vertrie ben und das Regiment in ihre Hände nahmen, bis endlich König Wenzel von Böhmen dem Handwerkertrotz ein blu tiges Ende bereitete. Vorher aber, als noch friedlichere Zei ten in der Stadt waren und die Mühle ihr Klipp-Klapp zur Melodie der Wasser sang, da trieb der Mühlknecht sein Grautier den Berg hinan und trällerte sein Liedel dazu. Wenn er aber vor's Mühltor kam, knallte er lustig in die Peitsche, sodaß der Wächter, der eben ein wenig eingenickt war auf der Bank, erschreckt auffuhr. Dahinten liegt die gute, alte Zeit mit ihrer Beschaulichkeit, das Mühltor aber ist als stummer Zeuge längstvergangener Tage geblieben. Damals spannte sich noch nicht die hohe Brücke von Ufer zu Ufer. Da mußten Mann und Wagen, wenn sie zur Stadt kamen, über die Heilige Geist-Brücke, die unten verträumt zwischen Wiesen und Buschwerk ihr Dasein fristet. Mancherlei will sie erzählen aus alten Zeiten, vom Friedhof „zum heiligen Geist", der einst bei ihr lag, und dem kleinen Kirchlein inmitten. Manch müder Schläfer ging dort zur ewigen Ruhe. Friedrich der Große, als er von Hochkirch her nach Bautzen kam, begrub seine Gefallenen auf jenem Fried- Hofe. Weil aber die Spree ost übermütig wurde und dreist zum Friedhofslor, wohl auch zur Kirchentür hineinlief, hat man später Grabhügel und Gotteshaus niedergelegt. Damals lief auch noch die Stadtmauer um Bautzen. Der dicke Turm bet der Brücke, dem im Laufe der Jahr hunderte ein struppiger Bart von Efeu übers steinerne Ant litz gewachsen ist, ist einer von den alten Basteitürmen, die als Wächter um die Stadt gestellt waren. Sie reichten ein ander die Hände, die Mauer verband sie miteinander mit steinernem Gürtel. Bon ihr ist manch Stück noch erhalten, und Schießscharten und Ausluglöcher gewahrt man darin. Freilich macht kein Wächter mehr die Runde. Zerbröckelt sind die Steine, Gras und Moos wuchert zwischen ihnen, und in den alten Brustwehren spielen Kinder Versteck. Im Volke heißt die Mauer hier „Hussitcnmauer", weil dereinst die Mordbrenner an dieser Stelle die Stadt bestürmt haben. Das war im Oktober des Jahres 1429. Die Hussiten hatten schlimm gewütet im Lande. Dörfer und Städte waren in Flammen aufgegangen, und die Greuel, die den Weg der wilden Horden bezeichneten, schrien zum Himmel. Nun standen sie vor Bautzen. Unten am Spree wehr hielten ihre Scharen. Pechkränze warfen sie in die Stadt, die Häuser in Brand zu stecken. Leitern legten sie an die Felsen, die Mauer zu erklimmen. Doch vergeblich. Oben auf den Mauern hielten Bautzens Bürger tapfere Abwehr. Schwer dröhnend fielen Felsblöcke hinab, die Untenstehen den zermalmend. Zischend rann siedendes Pech, floß kochen des Wasser auf Nacken und Arme der Feinde. Die Frauen brachten unablässig Pfannen davon aus den Häusern, aber der Ansturm der Feinde wollte und wollte nicht wanken; mit jedem neuen Tage stürmten sie mit neuer Wut heran. Ver zweifelt wehrten sich die Bürger. Da, in höchster Not — so erzählt die Sage die Geschichte zu Ende —, erscheint über dem Wasserturm die Gestalt des Erzengels Michael mit wehendem Banner. Entsetzt weichen die Feinde zurück. Die Stadt ist gerettet. Die tapferen Bürger aber sinken in die Knie und geloben in dankbarem Gebete, Gott dem Erretter an jenem Orte ein Kirchlein zu bauen. Sie haben es gebaut. Dem Erzengel zu Ehren haben sie es Michaeliskirche genannt. Dort steht sie. Mit spitzem Turme schaut sie über die Mauer ins Tal hinab, so, als wollte sie Acht haben, daß niemals wieder der Feind der Stadt ein Leid zufüge. Sie ist die Kirche der Wenden. Wer am Sonntag vormittag hier vorüber kommt, der sieht ein buntes Bild. Da kommen Wendinnen in ihrem Sonntags staat, und aus der offenen Kirchenlür klingen Lieder in selt samen Lauten. Denn Bautzen ist noch immer Mittelpunkt des Lausitzer Wendentums. Da gibt es eine wendische Bank, ein wen disches Museum, viele wendische Zeitungen, einen wen dischen Graben, eine wendische Straße, ein wendisches Haus und einen wendischen Friedhof. Der ist bei der Michaelis kirche gelegen. Es ist kein Friedhof, wenngleich sein Name es sagt, und ist wohl auch niemals einer gewesen. Ein Hof um die wendische Kirche: das und nichts anderes will er sein. Gräber sind zu keiner Zeit auf ihm gegraben worden. Der dicke Turm da unten an der Spree? Ja, das ist freilich ein trotziger Gesell. Mit breiter Brust schiebt er sich vor, seine Nachbarn grob zur Seite stoßend. Keck tritt er dem Flusse in den Weg: „Platz da!" Wirklich müssen die Wasser auf dem Wehr ihm weichen. Wer auch wollte es mit ihm aufnehmen, wer ihm widerstehen! Wie ein grobklotziger Landsknecht, so steht er da. Meterdick sind seine Mauern, auf Granit sind sie gegründet, richtig aus dem Felsen wächst er heraus. Wahrlich, ein derber Kämpe. „Alte Wasserkunst" heißt er, und sein Name kün det eher von Werken des Friedens als von blutigem Streite, und das mit Recht. Denn vordem gebrach es in Bautzen