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zwingt, das sind Stadtbilder, wie sie in solcher Geschlossenheit in Sachsen, ja selbst in Deutschland nicht allzu häufig sein dürften. Ist cs ein Wunder, daß sich solch eine Stadt seit Jahr hunderten in ihrem Ruhme sonnt? Und ist es verwunderlich, daß sie — trotz Kampf und Sturm allzeit Gewerbefleiß und Bürgertugend redlich übend — in soviel hundert Jahren zum Markt- und Kulturzentrum ihrer Landschaft geworden ist? Bon der ursprünglichen Bnrg, als dem Kern, wuchs die Stadt iu Iahrhundertringen über sich hinaus. Die alten Tore — das Nikolaitor, das Schülcrtor, das Reichentor mit der schief aufgesetzten Bischofsmütze — umschließen noch heute die alte Stadt. Ein Kranz von wohlgepflegten Anlagen — gern fahren hier die Mütter ihre Kinder in die liebende Sonne — bezeichnet, hier und da noch mit Mauer und Wall, den zweiten Ring. Bor dem aber wächst die neue Stadt mit Fabriken, Werken, Mietbezirken, Kasernen und Villenstraßen lebhaft hinein in eine neue Zeit und greift mit jungen Siedlungen hoffnungsfroh und verheißungsvoll in das grüne Land. Ja, diese Landnähe, diese Natnrverbundenheit, diese ewige Lockung aus Berg und Heide gibt den Leuten dieser Stadt etwas Urgesundes. Noch hat der große Strom der Fremden seinen Weg hier her nicht gefttiiden. Das Land, wo heute noch um Ostern bunt- bebänderie wendische Reiter auf geschmückten Ackerpferden sin gend und betend um Flur und Gemarkung reiten, wo wendische Hankas in grell leuchtenden, blauen, roten, grünen Röcken und mit wehenden schwarzseidenen Schleifen Arm in Arm zur Kirche wallen, dieses Land eines Lessing, Fichte, Zinzendorf, Wilhelm von Polenz, dieses Land der Leineweber und Acker bauer bedeutet für viele noch etwas wie eine ferne, unaufgehellte Türkei. Wer aber einmal einen leuchtenden Frühlingstag in den Wundern dieser Stadt erlebte, wer die blühende Farbensymphonie über den steinernen und zerfallenden Zeugen versunkener Jahr hunderte sah, wer zu ihr kam, wenn sie in sommerliches Grün gebettet, oder wer in winterlicher Mondscheinnacht ihre Schön heiten ausschlug wie ein Kind das weihnachtliche Märchenbuch, wird das Antlitz dieser Stadt nimmer vergessen und etwas vom Zauber jener Wunderblume in sich tragen, die hier und in den Bergen der Lausitz blühen soll. Wem aber die Stadt mit Stein und Stolz ans Herz gewachsen, wer ihr Wesen gesucht und sie behorcht in tief ge heimen Stunden, empfindet ihre ursprünglichste Musik eben doch als einen heroischen Marsch. Zwar könnten Turmchoral, Nachtwächterspruch, Weudentanz mit Huslja-Geige und Dudel sack nur ganz vorsichtig i» die Nebenmelodie verwoben werden, den Grundton aber schaffen, aus der Geschichte herausgehoben, herzhafte Einzelmotioe, die, mit dem Bild der Stadt zusammen gebunden, das Heroische ergeben. Aus der Zeit des Ungarnkönigs Matthias Corvinus klingt Ianitscharenmusik über böhmische Klarinetten. Franzö sische Clairons und preußische Trompeten ertönen über dumpfen Trommeln. Hifthörner rufen ihre fröhlichen Signale in könig liche Jagden. Und die unvergessenen Parademärsche der Infanteristen, Artilleristen und Husaren lohen und preisen heute wie einst den guten, starken Geist der Stadt und ihrer Land schaft mit Fanfaren, Tuben und Posaunen. Die Jugend aber marschiert hinter diesen Klängen her, glühend vor Begeisterung und mit jauchzendem Herz. Wendische Hochzeit Von Otto Flösset, Bautzen. „Lieblich in der Bräute Locken spielt der jungfräuliche Kranz." das Glück hat, als Nicht-Wende einer Wenden- «sl Hochzeit beiwohnen zu dürfen, der tut gut, seine Vorstellung von Lieblichkeit vorher zu revidieren. Die Wenden sind ein derber Schlag. Dos Grobe kommt schon äußerlich in der derben Gestalt, der Massigkeit der Glieder und dem starkknochigen, kantigen Gesicht zum Ausdruck. Auch die wendische Braut macht hiervon keine Ausnahme. Zierliche Mädchen (nach unseren Begriffen) findet man unter Wendinnen kaum. Das bringt nun einmal ihre Beschäftigung mit sich. Die Wenden sind ein Bauernvolk. Bei den Bauern heißt es zugreifen, gleichviel ob Mädchen oder Mann. Und bei schwerer Arbeit werden die Hände hart und die Glieder massiv. Schwer auch ist die Art, wie sich der Wende gibt, also auch seine Sitten, Gebräuche und Volks feste. Und die wendische Hochzeit ist schließlich auch ein Volksfest. Denn während sie bei uns in mehr oder weniger engem Fami- lienkreise vollzogen wird, nimmt dort die ganze Sippe und das ganze Dorf daran teil. Man hat wendische Hochzeiten mit 600 Gästen. Ein Beispiel: Brautcoup^! Bilder von eleganten Gala kutschen auf Gummirädern mit Brokatausschlag und livrierten Dienern schweben einem vor. Nicht doch. Man stelle sich vor einen regelrechten Kasten-Lastwagen, ohne eine Spur von Federung, zur Feier des Tages säuberlich ausgewaschen und seitlich mit grünen Girlanden geschmückt, an Stelle von Polstern rohe Bretter quer gelegt, davor zwei Arbeitshengste schwersten Schlags, und auf dem Bock ein derbknochiger Bauernbursche: da hat man den wendischen Brautwagen. Da ein solcher Wagen von Natur aus für zierliche Damenfüßchen zum Auf steigen nicht sonderlich eingerichtet ist, muß die Braut, die eben vom Altar kommt, mit großem Schritt auf den Bock und über diesen hinweg ins Wageninnere klettern, ein Weg, den auch sämtliche Brautjungfern nehmen müssen. Wahrlich, angesichts derartiger Handfestigkeit schwindet auch die letzte Illusion von Lieblichkeit. Auch so das Sich-Finden. Liebe und Zuneigung sind nicht allein bestimmend. In erster Reihe ist man darauf bedacht, daß die „Höfe zusammenkommen" und die Wirt schaften versorgt werden. Nüchterne, praktische Erwägungen sind ausschlaggebend. Man macht untereinander auch durch aus kein Hehl daraus. Ein alter Chronist (Kreisphysikus Dr. Schuster) schreibt in seiner „Geschichte der Stadt Hoyers- werda": „Hat sich ein junger wendischer Mann entschlossen, ein Mädchen zu heiraten, so ist zuvörderst notwendig zu wissen, welche Mitgift er zu erwarten habe. Dieses wird nun in Form eines gewöhnlichen Handels ermittelt. Es begibt sich nämlich der Brautwerber mit dem Bräutigam und dessen Vater in die Wohnung der Braut. . . Nun fragt der Brautwerber den Vater der Braut nach der Größe der Mitgift und bringt dein Vater des Bräutigams die Antwort, dem in der Regel das Gebot zu gering scheint und daher Zulage verlangt. . . Auf diese Weise wird der Handel so lange fortgesetzt, bis er durch Einschläge» der Hände beider Väter, die der Brautwerber durchschlägt, geschlossen ist." Mag sich im Laufe der Zeit auch hierin manches gewandelt haben, und mögen die Einzelheiten der Feier in den verschiedenen Gegenden auch verschieden sein: Der Grundgedanke des Praktischen ist geblieben und wird überall auch obwalten gelassen. Wenden halten Hochzeiten nur zu Zeiten zunehmenden Mondes. Das ist eine uralte Sitte, der wohl das Sinnbild der Fruchtbarkeit zugrunde liegt. Eine große Rolle bei den Festlichkeiten spielt der Hochzeisbitter oder Braschka wie er auf Wendisch heißt. Er darf bei keiner rechten Hochzeit fehlen. Freilich ist das Hochzeitsbitteramt recht selten geworden. Tenn auch unter den Wenden schwindet bei der jungen Generation der Sinn für die Sitten der Väter mehr und mehr. Die wenigen in wendischen Gegenden noch tätigen Hochzeitsbitter sind darum stark begehrte Männer und werden oft viele Stunden weit hin zu Hochzeiten gerufen. Einer der Hochzeitsbitter, R. Hayna, wohnt in Pielitz bei Bautzen. Trotzdem er erst an die 30 Jahre alt ist, hat er schon über 130 Hochzeiten „besorgt". Sein Name ist bekannt in den Dörfern um den Lzorneboh wie drunten in der preußischen Heide und in der Klosterpflege wie in der Görlitzer Gegend. Und er ist stolz darauf. Schmuck sieht solch ein Hochzeitsbitter aus, wo er im bunten Feststaat