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Krähenheere halten auf den Feldern ihr Mahl. Der Spätschnee hatte ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun sind sie um so eifriger dabei, von Feld und Wiese Regenwürmer, Insekten, Mäuse und alles, was ihnen nur ansteht, in ihrem gierigen Schnabel ver- schwinden zu lassen. Und was stünde dem schwarzberockten Gewimmel nicht an? Aus der Erde wachsen die schwarzen Nadeln der schlanken Eisenmasten, die die Hochfrequenz des elektrischen Stromes durch das Tal tragen. Bon nahem wirken sie dann wie Pagodendachgerippe mit ihren Glockenarmen, die dreifach übereinander hängend, sich nach oben ver jüngen. In den Drähten singt der Wind der rastlosen Menschenarbeit, deren Motto ein ewiges Vorwärts ist. Die alten Sorbengötter sind davor geflohen. Lerchenjubel schraubt sich trillernd in die Luft empor. In die Talsohle gebettet schmiegt sich das langgestreckte Cunewalde. Rechts drüben ragt ein kleiner, grüner Turm schlank empor. Die Dächer, die sich um ihn scharen, lassen ein Rittergut vermuten. An unserm Wege hackt ein Bauern knabe auf einem Acker. „Du, Kleiner, ist das dort drüben das Rittergut?" „Nee, doas ös 's Schlooß. Mer sprech» ock ömmer „dr äbere Hof." „Wohnen da die Polenze drin?" „Ja." Der dort seine an die Egge geschirrten Pferde vor sich hertreibt, ist allerdings kein Büttnerbauer. Sein wohlgenährtes Bäuchlein schwabbelt hin und her, wenn er eine rasche Drehung macht. Sein Gesicht ist weniger von frischer Luft als von Neukircher Korn so schön gefärbt. Cunewalde ist eins der alten, typischen Oberiausitzer Weberdörfer, in dem sogar heute noch hier und da aus einer niedrigen Stube das Geklapper des Webstuhles tönt. Auch die Bauart der Häuser zeigt noch viel von Lausitzer Eigenart. Die Fenster des Erdgeschosses schauen unter dem hölzernen Rundbogen hervor, der sich wie Augen brauen über sie spannt und auf Holzpfeilern ruht, die mit der Rückseite an die Hauswand stoßen. Das Fachwerk des ersten Stockes zeigt dunkelfarbiges, meist schwarzes Balkenwerk, das sich zuweilen in der Form des liegenden Kreuzes, des Andreaskreuzes, schneidet. Hier und da ist es auch mit Schieserplättchen bekleidet: blauer Grund mit weißer Ornamentik gibt gute Mosaikwirkung. Da zwischen sonnen sich neugebaute Landhäuser im Heimat stil. Leider verzerren wie überall die schmucklosen Kästen der Steinbauten auch hier das Dorsbild nicht selten. Ferienjubel der Kinder vermischt sich mit Gänsegeschnatter. Wir durchqueren den Ort, um hinter ihm wieder den allmählichen Aufstieg zu beginnen, der aber, sobald erst der Wald erreicht ist, sich in steiles Aufwärtsklimmen wandelt. Der junge Fichtenwald steht in grünem, mit goldenem Schimmer überworfenen Frühlingskleide vor uns. Uber ihn aber schauen grämlich die rötlichen Wipfel der alten Bäume am Abhange. Hat auch hier die Nonne ihre vernichtende Arbeit getan? Darüber wölbt sich lachender Himmel in strahlendem Grünblau. Der Bergpfad windet sich in scharfen Serpentinen bogen gipfelwärts. Gelbe Falter gaukeln durch das Dunkel. Der Boden ist mit Granitblöcken besät. So dicht liegen sie. zum Teil auch übereinander, als hätte hier ein Kampf zwischen Riesen getobt, in dem die Stein- brocken, von nervigem Arm geschleudert, durch die Luft geflogen wären. Endlich schimmert die frische, lebhafte Farbe des Berg- gasthauses durch die Bäume. Der steinerne Aussichtsturm steht vor uns. Aber die Fernsicht verschleiert der Sonnenqlast noch immer. Wie grauer Schleier liegt er auf der Landschaft, besonders im Süden. Born wellt wohl dunkles Hügel- gelände, aber immer blasser und blasser wird es, jemehr es in den Hintergrund rückt, bis es mit den fahlen Wolken in eins verschmilzt. Undeutlich, fast nur vermutungsweise ahnt das Auge im Westen die schemenhaften Umrisse des Großen Winterberqes in der Sächsischen Schweiz. Im Norden sticht die Nadel des Petriturmes aus dem Dächer gewühl von Bautzen. Die Kreckwitzer Höhen sind von dunklem Wald gekennzeichnet. Dort hat einst der alte Blücher zähneknirschend vor dem Generalsturme Napoleons weichen müssen. Ium Teil versperren hochqeschobene Fichtenwipfel schon hier den Fernblick. Im Nordosten läßt der graue Schleier nur blaß die schlesische Heide ahnen, wäbrend der Osten völlig vom Walle der hohen Baumwipfel ab geschlossen ist. Der Turm ist zu niedrig, denn er hat das Kunst stück nicht fertig gebracht, sich gleich den lichthungrigen Bäumen in die Höhe zu schieben. Und darum wird der Stadt Bautzen nichts weiter übrig bleiben, als seiner Länge einige Ellen zuzusetzen. Der Blick schweift sinnend zum Bieleboh hinüber. Man nennt sie heute Heiden, die alten Sorben, die einst auf diesen Gipfeln ihren Göttern geopfert haben. Ob auch wir in Jahrtausenden einmal als Heiden gelten werden? Wer kann es wissen? Alles fließt, auch Religions formen. Schon die alten Sorben hatten das Walten des Erdgeistes erkannt, begriffen sein Janusgesicht, das schaffende und das zerstörende Prinzip, und ihre Priester brachten diesen Dualismus dem Bolkshirne nahe, indem sie die beiden Götter, den schwarzen und den weißen, schufen. Heute ist der unheimliche Zauber geschwunden, der lange auf dem Lzorneboh qeruht hat. Man muß höchstens in sturmdurchheulten Herbstnächten in seinem Walde stehen, um etwas davon zu empfinden. Gar das alte Opferbecken mit seinem Sagengeraune hat viel verloren. Mitten in jungem Baumwuchs liegt es jetzt, nicht mehr im Dunkel des hohen Waldes. Vollends an einem sonnenhellen Lenztage, wo Baldurs Strahlenauqe auf den Berg blickt, da hat die Seele nur für eins Gefühl, für die goldene Lichtflut des siegenden Frühlings. Der Abstieg malt uns noch manch liebliches Bild vor die Augen. Ein unregelmäßiges Schachbrett, auf dem eine schrullen- hafte Laune die Flächen wirr durcheinandergeworfen hat, liegt vor uns, gebildet von braunen Ackern und grünen Saaten. Auf weißen Hauswänden ruhen rote Ziegel- und blaue Schieferdächer. Überall unterbricht das Violett ferner Birkenbllsche die Flächen. Der Nadelwald macht Hellen, glatten Buchenstämmen Platz. Dürres Raschellaub überzieht den Boden. Nur das Gewirr der Granitblöcke schaut heraus. Wie gierende Finger greifen die Buchenäste über die Straße. Und auch die Fichten, die bald wieder die Herrschaft bekommen,