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/ - Heimgang Eine Dorfgeschichte von Theodor Schütze, Hainitz Mitten im Dorfe, wo drei Wege auseinaiiderstreben nach Westen, Süden und Osten, befindet sich ein 1 winziger Teich, mehr ein Tümpel zu nennen, eben gc- i nügend zu einem Badeplatz für die Gänse und Enten I des Ortes. Vor wenig Jahren noch war er umstanden von fünf schönen steilen Pappeln: doch die haben eines Tages hinweggemutzt, sind in Werkstätten und Ofen ver schwunden, und nur armselige, kümmerlich begrünte Stümpfe sind übrig geblieben. Da tollen nun oft die Dorfkinder, werfen vergnügt kleine Steine in den Teich, den blanken, stillen Wasserspiegel zu zerschlagen, yaschen sich an den begrasten Ufern und haben auf jenen Pappelstümpfen ihren sicheren Pax. Am Freitag vor Kirmes herrschte hier ein besonders lustiges Leben. Die Nachmittagssonne leuchtete so hell und brachte noch so viel sommerliche Wärme hervor, wie sie es Ende Sep tember noch vermag. Aus den Gärten und Höfen tönten ab und zu die lauten, kriegerischen Schreie der Gänse, die dem Schicksal, ein Festbraten zu sein, glücklich entronnen waren. Ein paar Städter, die eben oorbeigingen, um den nahen aus sichtsreichen Berg zu besteigen, hoben schnüffelnd die feinen Nasen und stellten neidvoll fest, es rieche nach frischem Kirmes kuchen. Das alles aber hörte, sah und roch die kleine Schar von Kindern nicht, die jetzt die Teichränder zu ihrem Tummel platz erkoren hatte. Die Ferien hatten heute angefangen; man sah eine ganze Reihe sorgloser Tage vor sich und vor allem zuerst die Kirms, das Fest, das den Dorfkindern das liebste ist außer Weihnachten. Ein Weilchen hatten die Kinder am Teiche still gesessen und wohl etwas von der Schule oder von der Kirms zu er zählen gehabt. Jetzt aber sprangen sie eins nach dem anderen auf und wurden bald einig, Hascher zu spielen. Die Böhmer- Liesel zählte aus: „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, meine Mutter schneid'» die Rüben, meine Mutter schneid't den Speck, schneid't se sich den Finger weg. Kommt der Doktor Hampelmann, klebt den Finger mit Spucke an; Spucke, die is ungesund, Hampelmann, du Lumpenhund!" Am Ende stoben sie alle auseinander, und es war solch ein Hallo und solch ein Gejauchze und Gequieke um den Teich herum, daß die Hunde in der Nachbarschaft auch noch zu bellen anfingen. Da öffnete sich in dem Bauernhaus, das jenseits der Straße von hohem Abhang herab auf den Teich schaute, ein Kammerfenster, und eine ärgerliche Männerstimme wurde laut: „Wollt er wohl nich wieder so än firchterlichen Krach machen, ihr Bande alberne! Macht eich furt un treibt eich anerschwo rum, sunst Kumme ich glei mit'm Stocke runter!" Schnell erstarb die laute Fröhlichkeit draußen; die Kinder trabten von dannen, um einen anderen Spielplatz zu suchen; denn sie wußten alle, der alte Bauer Kunath da oben am Fenster war ein Böser, der drohte nicht bloß, der kam auch manchmal wirklich herunter, und man mußte sich vor ihm eiligst aus dem Staube machen. Sie hätten aber doch beruhigt sein können: der alte Bauer dachte heute nicht daran, als Kinderschreck auf die Straße zu gehen. Er hatte keine Lust dazu. Er hatte heute zu nichts Lust und wunderte sich selbst recht darüber und wurde ärger lich über sich selbst. In den 69 Jahren seines Lebens war immer Arbeit die Hülle und Fülle dagewesen, und er hatte sie gern verrichtet wie einer, der keinen anderen Lebensinhalt kennt als unentwegte Arbeit ; seit einigen Tagen aber war er von einer Müdigkeit und Lustlosigkeit überfallen, die er zuvor nie gekannt hatte. Nun saß er schon seit bald zwei Stunden am Kammer- fenster neben dem breiten Bauernbett. Er blickte aus die Straße, ohne etwas Rechtes ins Auge zu fassen. Er grübelte, ohne zu Klarheiten zu kommen. Wenn es manchmal aus Augenblicke wieder ganz licht in ihm wurde, erschrak er und dachte so lebhaft, daß er es zwischen den Zähnen vor sich hin murmelte: „Karl, geh ok arbeiten nu, wirscht doch nich fau lenzen uff de alten Tage! Meechst mal in den Stall gucken gehn bei de Pferde un meechst dich mal bissel um den Back- öfen kümmern, 's wird gebacken heite!" Aber ehe er seine Beine rühren und sich zum Gehen anschicken konnte, da war er schon wieder in ein dumpfes, zielloses Brüten versunken. Es tauchten Bilder in ihm auf, deren er sich ganz selten oder noch nie erinnert hatte. Einmal sah er sich plötzlich als ganz kleinen Jungen von drei oder vier Zähren. Er stand mitten im Hofe; die Sonne strahlte hell und grell, und die großen Fliegen summten an seinen Ohren vorüber, so laut, daß er sie jetzt eben wieder hörte und sich ganz verdutzt umsah. Aber nein, hier war er ja in der Kühlen Kammer und nichts rührte sich. Und wieder war er der kleine Bauernjunge in seinen ersten Höschen an jenem Sonnlagnachmittag in einem längst entschwundenen Sommer und neben ihm stand der Vater, gab ihm die Peitsche in die Hand und sagte: „Nanu knalle mal los, Karlchen!" Er sagte es wendisch, denn so hatten sie damals alle gesprochen. Da hob der Kleine die lange Peitsche mit beiden Händchen nnd ließ sie durch die Luft sausen; aber es wurde kein ordentlicher Peitschenknall hörbar und der Vater lachte laut und nahm ihm die Peitsche aus der Hand. Lachte er noch? Es war dem alten Bauer, als hätte der tote Vater jetzt eben da hinter dem altmodischen Kleiderschrank hervorgeguckt und so herzlich gelacht wie damals. Sollte man nicht einmal nachsehen, was da wäre? Doch ehe der alte Kunath-Karl sich erhoben hatte, blitzte schon wieder ein anderes Bild vor ihm auf. Da war er ein junger Bauer, stand hemdsärmelig und schwitzend auf dem Felde und ließ die flimmernde Sense wieder und wieder in die goldenen Kornbreiten niederschwirren. Ganz deutlich ver nahm er jetzt das scharfe zischende Rauschen, mit dem seine Sense die vielen trockenen Halme durchschnitt. Ab und zu warf er einen fröhlichen Blick zur Seite, wo er sein junges, hübsches Weib wußte. Da stand sie, mit einem weißen Kopf tuch angetan, tief gebückt, die geschnittenen Schwaden in Garben zusammenraffend. Und nahbei auf dem Feldweg, war da nicht der große, breite Kinderwagen mit dem schwarzlackierten Korb- gepflecht und der braunen Ledertuchplane und der kräftigen eisernen Deichsel? Jetzt erhob sich krähendes Ktndergeschrei, so anhaltend, daß die junge Bäuerin besorgt zu dem Wagen eilte. Der alte Bauer sah das jetzt alles ganz deutlich vor sich und starrte das Bild verständnisvoll mit geöffnetem Munde an. Als er sich bewegte und mit dem Arm an die Bettlade stieß, war aber alles wie weggewischt, und Kunath-Karl er kannte, daß er als alter, müder Großvater lustlos an einem Kammerfenster saß. Es fiel ihm wieder ein, daß er die Marja, sein braves Weib, schon vor zwei Jahren auf den Kirchhof hatte schaffen müssen, wo sie nun ihrem gekrümmten, zer- arbeiteten Rücken endlich Ruhe gönnen konnte. Da wartete sie wohl auf ihn. Wann würde er kommen? Vielleichtsehr, sehr bald. Ach, er hatte das alles hier doch aus einmal so satt! Die jungen Leute waren doch klüger als er; dem Rat des alten Mannes schenkte selten einer Gehör; sie wollten alles, alles besser wissen. Auf dem Felde, in der Scheune arbeiteten sie mit Maschinen, ja, da war es sreilich kein Kunst stück, ein Bauer zu sein, da war man schnell fertig, konnte oft in die Stadt fahren oder in der Zeitung lesen, wo soviel gedruckte Lügen standen. Ans Kirchegehen dachten sie dabei nicht so sehr; die alte, ehrliche Frömmigkeit war im Schwinden. In den Stuben und im Stalle hatten sie elektrisches Licht, auch in seine Auszüglerkammer war es trotz seines Wider strebens gelegt worden. Und er wußte es doch noch, als ob es gestern gewesen wäre, wie sein Vater damals die erste