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Das Ganze ruht in einem, passenden Kästchen auf blaßrotem Samt unter seidenem Deckel. Es wurde dem Komponisten des „Weltgerichts" mit einem Schreiben'mäck Dessau übersandt, das ebenfalls erhalten ist. Da es trotz seiner Kürze auch ein blitzendes Licht aus die allgemeine Stimmung jener Zeit wirst, sei es hier Ip vollem Umfange mitgeteilt. Es lautet: Halberstädt, d. 15"" August 1845 Hochgeehrtester H§rr Doctor, Lange, schon recht lange war es mein Wunsch. Ihnen den heutigen Brief schreiben zu können, allein der Goldarbeiter, der beikommcndes kleines Andenken für Sie zu verfertigen hatte, hat uns so lange warten lassen. Nehmen Sie, hochgeachtetster Herr Hoskapellmeister, als König im Reiche der Töne von uns ein würdiges Szepter an und gebrauchen Sie es recht ost und noch vieleIahre zu unserer Ehre. Mögen sich stets alle Sänger Deutschlands, wo Sie sich sehen lassen, Ihrem Szepter willig unterwerfen, dann wird Einheit und Einigkeit im Reiche der Töne herrschen und der deutsche Männergesang wird in allen Marken und Gauen des deutschen.Vaterlandes kräftig und erhellend wirken. So wird und muß die Zeit Kimmen, wo ein Hallelujah alle Völker durchdringt und begeistert, wo Hein Fanatismus uns schrecken, kein Papst uns knechten kann. Sie haben "unlängst in Würz burg die Freude gehabt, nahe an 2000 Sänger geschart und gepaart zu sehen und wir hoffen, daß auch wir Sachsen im Preußenlande nicht nachstehen den Franken im Bayerlande. Vorwärts! dringt der Ruf in unser Ohr und wir folgen, wenn Sie rufen. Alle Gesangesbrüder senden Ihnen den deutschen Sänger- grüß und ich bitte um gütige Fortdauer Ihrer Gewogenheit. Mit aller Hochachtung Ihr bereitwilliger Diener T. Elis Ordnungsdirectot der Liedertafel. Taktstock und Begleitbrief- gelangten nach dem Tode des großen Musikers in den Besitz des Zittauer Gesangvereines „Orpheus'.dessenVorstand in liebenswürdigem Entgegenkommen die Ausstellung des Interessanten Stückes ermöglichte. Der böhmische Wenzel Von Otto Flösset, Bautzen as war an einem trüben Novembertage des Jahres 1815. DerAbend begann zudämmern. Draußen war einWetter, daß man — wie man so zu sagen pflegt — keinen Hund gern auft die Straße schickte. Es goß in Strömen. Schwere Regenwolken jagten vom Westen her gegen die Stadt. Unab lässig peitschte der Wind den Regen gegen die Häuser. Ängstlich klammerten sie sich gegen die Felsen, die schroff zur Spree abfielcn. Nur die Burg strebte frei aus steinigem Grunde zum Himmel an. Sie kannte keine Furcht. Mit ihren Türmen griff sie kühn in die schwarzen Wolken hinein und riß sie in Fetzen. Trotzig trat der Burgfried dem brauenden Wetter entgegen. Er hatte seinen Platz am weitesten vorn in der Front. Ganz auf den äußersten Felsen war er hinausgebaut. Kriegsstllrme hatten ihre Kräfte vergeblich- an ihm erprobt. Lanzen waren an seinem steinernen Panzer zer schellt. Schwerter halten in seinem Granit sich schattig geschlagen. Nun aber das Kriegsgeschrei um seine Mauern r^rstummt war, forderte er Wind und Wolken zum Kampfe heraus. Denn was ein rechter Recke ist, der will Händel haben. Finster zog er die .Brauen zusammen, wenn Regenschwaden ihm kräftig das wetter feste Antlitz peitschten. Nun war er Fronsesie im Lausitzer Land. Gesürchieics Volk schmachtete hinter seinen Mauern. Vor einigen Tagen war einer der schlimmsten Gesellen im Kreise hierher gekominen. Unter den Leuten hieß er der böhmische Wenzel. Er hauste in dunklen Wäldern und zerklüfteten Bergen und war gefürchtet bei groß und klein. Wo Kinder des Abends nicht zur Ruhe kommen wollten, da sagte die Magd: „Der böhmische Wenzel schleicht ums Haus!" Dann kracken sie unterdie Decke und waren still wie die Mäuschen. In einem Dorfe sind die Kinder einmal acht Tage lang nicht zur Schule gekommen. Dort war ein Knecht, der mit den Pferden hatte aufs Feld fahren sollen, nicht mehr nach Hause zurückgekehrt. „Der böhmische Wenzel hat ihn ermordet", hieß es. Da waren die Kinder Nicht aus dem Hause zu bringen, gewesen Vorige Woche aber, amman denUnhold gesesseltmach Bautzen einbrachte, da wollten sie ihn alle sehen. Wie Bienen umschwärmten sie die alte Bauernkutsche, die ihn fuhr. In-Scharen liefen sie aus Häusern und Höfen, mitten im Spiele liefen sie weg, wie der Wagen die Lauenstraße hereinpolterte. Und wie sie der Wächter am Burgtor davonjagen wollte, da standen sie noch lange im Tor gewölbe und sahen mit langen Hälsen die Torfahrt hinunter dem Humpligen Gcfghrt nach. Es war nicht das erste Mal, daß der böhmische Wenzel hierher gebrach't wurde. Fast einhalbdutzendmal wohl mochte er schon hinter den Mauern der Fronseste gesessen haben. Immer aber hatte — Gitter und Ketten spottend — sich langer Kerkerhaft durch verwegene Flucht zu entziehen gewußt. Diesmal aber sollte es ihm nicht wieder glücken. Dafür hatte der Schloßfron gesorgt. Im Turme, tief unter der Erde, hatte er ihm ein Kerkerloct>aus ersehen. Weder Sonne noch Mond schienen dahinein. Quader- dicke Mauern umschlissen das kalte Gewölbe) Eichene Pfosten hielten eiserne Türen In stählernen Anqeln. Än Entwischen war nicht möglich. Und hätte der Herr Medikus nicht zuletzt noch davon abgeraten, den Räuber hierher zu bringen, er hätte sein Leben hier beschließen müssen. So aber mußte ihm schließlich oben Im Turme eine Zelle eingeräumt werden. Dort saß er nun auf hartem Stein, an Händen und Füßen ge- fesselt. Zu lange schon dauerte ihm die Kerkerhaft. Seinen Kum-' panen hatte er versprochen, In zwei Tagen wieder bei ihnen zu sein. Nun saß er schon deren zehn. Man hatte ihm das Fliehen wahr lich nicht leicht gemacht. Soviel Fluchipläne er auch bisher ge- schmiedet hatte, keiner versprach Aussicht aus Gelingen. Die Fesseln zwar bereiteten ihm keine Sorge. Er hatte schon die stärksten Bande gesprengt, sodaß man glauben mochte, er sei mit Teufel und Hexen im Bunde. Er versuchte die Handschellen. Sie ließen sich mit einigerAnstrengung über die Knöchel streifen. Es hatte also doch genützt, daß er wenig Nahrung in den Tagen zu sich genommen. Er magerte ab, kein Zweifel! Hätte er aber erst einmal die Hände frei bekommen, dann würde er sich der übrigen Fesseln ohne Mühe entledigen können. Die örtlichen Verhältnisse bereiteten ihm auch keine Schwierigkeiten. Wer schon so oft hier vorgesprochen hatte wie e:, der kannte jeden Winkel Im Turme und wußte, wo ein Loch zur Freiheit führte. Aber der Schloßfron! auf den war kein Verlaß. Er wohnte im Flügel neben dem Turme. Ihm entging kein Geräusch.' Der Gefangene brachte einen derben Fluch unter den Zähnen hervor. Er stützte den Kopf in die Hände und kraulte sich In den Haaren. Lange saß er so und sann und sann aus Befreiung. Er hatte nur einen Gedanken: Fliehen! Fort aus dem Kerker! Aus seinem Brüten weckten ihn Schritte draußen aus dem Flur. Türen wurden aufgeriegelt und wieder verschlossen. Ketten rasselten. Vereinzelte Stimmen ließen sich vernehmen. Der Fron machte seinen letzten Gang durch die Zellen. Es mochte zwei Stunden vor Mitternacht sein. Nun öffnete er Wenzels Kerker. De? fahle Schein der Laterne fiel schräg in den engen Raum. -Der Schloßfron trat herzu und prüfte die Ketten. . „Seid außer Sorge, Fron", sagte dabei der Gefangene, „für diesmal habt ihr mich zu sicher gesetzt, als daß ich entrinnen könnte. Was wär s auch nütze i Ihr holtet mich doch wieder ein. Man fügt sich halt und läßt es sein." Der Fron kannte derlei Reden. Darauf war nichts zu geben. „Zeit wär es wohl, daß ec feinen Nacken endlich beugt," ent- geguete er, indem er sich entfernte, „manch einem kostet es den Kragen!" „Drum eben, Fron, drum eben, mein ich, läßt man's sein," suchte der Gefangene zu beteuern, „nein, nein, seid gänzlich außer Sorge!"