Volltext Seite (XML)
Sie folgte ihm auf einem Heereszuge gen Italien bis ins Tal von Brian^on, einem Nebental der Rhone. Dort hielt ihn „ihre törichte Zärtlichkeit" zwei Tage zu lange fest, währenddessen sein Korps siegreich mar—ohne den Führer. Entehrt kehrte der Graf zu Ädelaide zurück und — erschoß sich in ihren Armen. Adelaide, die schöne, begrub ihn und gelobte, unerkannt im Tale als Hirtin zu bleiben und am Grabe des toten Geliebten ihre Tränenströme rinnen zu lassen, bis der Tod sie mit d'Orestan vereine ... Das Opfer der Liebe, welches d'Orestan brachte, fand in unserm Tal seinen Ausdruck durch eine — jetzt verschwun dene — Base, welche aus einem mit Pappeln umpflanzten Rasenhügel stand (28 b). Und in der Nähe davon — heute nur noch an dem spärlichen Mauerwerk kenntlich — erhob sich la oabane clo la Lergere c>68 H1po8: die „Hütte der Hirtinder Alpen" (28), deren Möbel so primitiv waren, daß sie „von den eigenen Händen der Hirtin verfertigt zu sein schienen". Da träumte man sich in das Los dieser unbekann ten Schönen hinein, die die Herde der guten inere Lobie hütete und dabei ihre klagenden Lieder sang. So berichtet Gräfin Pepi v. Brühl am 26. Juni 1784 aus Seifersdorf an ihre in Muskau zur Kur weilende Schwägerin Tina: „Ich reise morgen ab, nachdem wir uns den ganzen Tag in der Hütte der Alpenhirtin aufgehalten haben. Möchtest Du noch im hohen Alter der mere Lobie darin, im Arme des besten Mannes, das Glück Eurer Bereinigung finden!" 9. Empfindsame Liebe Daß der Gefühlsüberschwang im einzelnen leicht zur Schwächung der Willenssunktionen führen mußte, bedarf keiner besonderen Hervorhebung. Nirgends aber war diese Schattenseite mehr sichtbar als in dem umgestalteten Ver hältnis der Geschlechter zueinander. Neben die bloße erotische Sinnlichkeit trat damals bewußt die ebensogroße oder noch größere ideale Liebe. In dem Bestreben, dieselbe recht zu erfassen, gelangte die Zeit zum Verständnis einer Epoche, für die der voraufgegangene Rationalismus gar kein Organ hatte haben können, da er keine wesensverwandten Züge in sich schloß: Das war das Renaissance-Menschentum des ausgehenden Mittelalters. Und zwar galt jetzt, wie in keiner anderen Geistesepoche zuvor, die unendliche Liebe zwischen Petrarca, dem italienischen Dichter aus dem 14. Jahr hundert, und seiner Laura als Hoheslied tiefwurzelnder, reiner Empfindung. Laura bedeutete schlechthin das „Ideal weiblichen Reizes und himmlischer Schönheit", und ihre Beziehungen zu Petrarca erschienen den sentimentalen Menschen als der erhabenste Schwung der Leidenschaft, als die einzige Leiden schaft einer trunkenen Seele, die von allerlautester Empfin dung umflossen ist. Becker sagt von beiden: „Liebe hat sie verewigt, aber nicht als sinnlicher Rausch und tobende Leiden schaft, gleich dem brausenden Waldstrome alles mit sich fort reißend. Diese Liebe war ein Hinschweben in eine geistige Seligkeit! Eine solche Liebe konnte wohl sanfte Schwermut über sein (Petrarcas) Leben verbreiten, aber es nie mit Reue verbittern, sie veredelte die Gefühle, gab seinem Geiste die ätherische Heiterkeit, die wir in seinen Gedichten bewundern." Solch reine, von jeder Erdenschwere losgelöste, freie seelische Empfindung mußte, wie gesagt, zu einer Zeit, da man Ge fühle höher bewertete als den Willen und die Willenstat, den denkbar nachhaltigsten Eindruck hinterlassen! In unserm „Zaubergrunde" dienten der Erinnerung an beide „Lauras Denkmal" und die „Hütte des Petrarca mit der Quelle von Vaucluse". Das erstere grüßt.uns heute noch auf dem linken Röderufer unweit der Musenwiese vor einem Fichtenhain junger Pflanzung als ein abgebrochener, nahezu zwei Meter hoher Säulenstumpf (13): jedoch von Petrarcas Hütte sind nur Mauerreste erhalten, die einen rechteckigen Raum abgrenzen (14). Und von der „lieblichen Quelle" er zählen nur kümmerliche Stücke eines Steinbeckens. Aber bei der Betrachtung der Darnstedtschen Radierung, die Beckers Führer beigegeben ist, muß man sagen, daß hier einst ein Idyll von so wundervoller Geschlossenheit waltete, daß dessen weltabgeschiedene Einsamkeit dem Vorbild an Stimmungs gehalt nicht viel nachgestanden haben kann. Borbild war das obere Tal der Sorgue, eines Nebenflusses der unteren Rhone, wo Petrarca nach dem frühen Tod der Geliebten seinen Schmerz in erhabenen Klagesonetten ausströmen ließ. Jedoch was einem Petrarca möglich war, bleibt den Durchschnittsmenschen versagt. So war's damals, so ist's heute. Sie waren nicht stark genug, die „empfindsamen" Menschen, für die dünne, reine Gipfelluft vergeistigter Lei denschaft und konnten den inneren Zwiespalt von Geist und Trieb nicht zugunsten des Geistes überwinden. Aus dieser Tatsache gingen darum auch jene Mischgefühle hervor, die als Ausdruck eines Unbefriedigtseins auf einer Seite zu Untätigkeit, auf der anderen wieder zu Selbstpeinigung führten. Wenn etwa unter der Büste Elisas v. d. Recke im Schloßpark geschrieben stand: „Heilige Freundschaft, wenn der Sturm menschlicher Schwachheiten und Leidenschaften auch hier zuweilen deine schönsten Blüten verdirbt, so wirst du dort desto herrlicher wieder aufblühen"; oder wenn über einer Rasenbank im Tal der Hexameter zu lesen war: „Sterb lich sind wir, und sterblich sind all unsere Wünsche", so ist das eben nur das Eingeständnis, daß wir allzumal Men schen sind. 10. Der Mahnruf der Toten zur Selbstbesinnung Am auffälligsten trat das Bittersüße im Gemütsleben der „empfindsamen" Menschen in die Erscheinung, sobald ein unerwartetes Opfer gebracht werden mußte. Becker spricht sich darüber an einer Stelle folgendermaßen aus: „Ein edles Herz nimmt alle Eindrücke der Tugend an und ergießt sich bei jeder Veranlassung, die sie ihm darbietet. Weich für die zarten Gefühle der Liebe und Freundschaft, mitleidig gegen Unglückliche, wohltätig gegen Dürftige — wie könnte ein solches Herz über große Taten edler Menschen ungerührt bleiben?" Wieder das bittersüße Gefühlselement! Man möchte sich zwar reiner Trauer hingeben über den Tod der Menschen, zumal wenn sie sich durch große Taten opfern, aber die gleichzeitige Feststellung, daß doch Menschen sich über das durchschnittliche Menschentum zu erheben ver mögen, erzeugt eine sozusagen befriedigte Genugtuung, die mit der Trauer keine organische Verbindung eingehen, son dern eben nur als süß neben dem Bitteren stehen kann. Derartigen Stimmungshintergrund können wir im Sei- fersdorfer Tal beim Denkmal für den Prinzen Leopold von Braunschweig am deutlichsten fassen. Der Prinz war der Bruder der im Tal, wie schon erwähnt, gleichfalls verewig ten Herzogin Anna Amalia von Weimar. Er fand am 27. April 1785 in der Oder nahe bei Frankfurt den Tod, als er einige durch Überschwemmung gefährdete „Brüder" retten wollte, „als ein Mensch wie sie". Auch Goethe pries die viel besungene Tat in einem Epigramm, welches später auf des Prinzen Denkmal im Tiefurter Park bei Weimar gesetzt wurdet): y Sämtl. Werke, Cottasche Jubiläumsausgabe I,§S. 248.