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Oberlausitzer Hermatzeltung „O stille Freistatt weiser Freude, Für Sympathie geschaffnes Tal, Zwar trauerst du im Winterkleids, Dein Bach quillt Eis, dein Wald steht kahl: Doch wahrer Weisen Augen sehen Noch deiner inneren Schönheit Plan, Sehn hoch von deinen öden Höhen Verachtend Fürstensäle an." — 6. Nächst enliebeundFreundschaftalsSchlüssel z u „r e i n e r M e n s ch l i ch k e i t" Wer das Tal betrat, wo der Hauptzugang von Seifers dorf her gedacht war, kam zuerst an eine zur Grotte gewölbte Quelle. Der zugehörige Altar, mit einem nach antikem Ge schmack geformten Trinkgefäß ausgestattet, trug die Auf schrift: „Vergessenheit der Sorgen" (10). Die Lieb lichkeit dieses Platzes lassen heute nicht einmal mehr die vorhandenen kümmerlichen Trümmer ahnen. Auch dies ist ein echtes Dokument dessen, was die Empfindsamkeit von der Natur wollte: in ihren Armen alle Traurigkeit verfluch ten zu lassen, alle melancholische Erinnerung zu bannen — sich selbst zu vergessen! Als Beleg dazu sei ein Tagebuch eintrag zitiert. Leider rührt er nicht von der Persönlichkeit her, von der man ihn am liebsten ausgezeichnet sehen möchte: von der Freiin Elisa o. d. Recke. 2) Warum gerade von ihr? — Die Recke, eine Baltin, war als an sich schon zarte und schwärmerische Natur durch schwere Schicksalsschläge und die Verstrickung in die Banden des Abenteurers und „Narcissisten" Cagliostro vollends in einsiedlerisches und mystisches Grübeln mit dem Hange zum Übernatürlichen verfallen — dem Wahnsinn nahe. Bon dieser bedenklichen Wendung ihres Geisteszustandes fand die später um ihrer Schriften, namentlich ihres italienischen Tagebuchs, willen bekannt gewordene und von Schiller in den Horen eingehend gewürdigte Dame — die mit Tina gleichaltrig war und Tinas vertraute Freundin wurde — schließlich Erlösung in umfänglichen Reisen. Auf denselben kam sie Ende 1784 auch nach Dresden. Dort wurde sie mit Naumann bekannt und erlangte durch ihn Einführung in Seifersdorf; denn „das Gemälde vom Tal brachte ihren 6nttrou8iu8me auf einen Grad, dem kein Einhalt zu tun war." Da aber Aufzeichnungen über das Tal von ihrer Hand nicht existieren, sei die empfindsam-rührselige Aufzeichnung von Sophie Becker, ihrer Jugendfreundin und Reise gefährtin, mitgeteilt, die sich die Freiin sicherlich mit nur noch gesteigertem Gefühlsüberschwang zu eigen gemacht haben dürfte: „Überall stehen Monumente der liebenswür digsten Schwärmerei, einer reichen Phantasie und eines reinen Menschengesühls. Lange hat mein Herz sich nicht in dieser sittlich-wollüstigen Stimmung (!) befunden. Was meins Phantasie mir als in einer Feenwelt vorgemalt hatte, sand ich hier. Unvergeßliches Tal zu Seifersdorf, gern wollte ich in einer deiner Grotten wohnen und mich nächst der Bewun derung der schönen Natur an dem süßen Anblick reiner und edler Menschlichkeit laben.... Mit traurigem Herzen ver ließen wir Seifersdorf...." Diese Notiz offenbart zwei Grundelemente empfindsamer Wesensstruktur: einmal Vergessenwollen des eigenen Selbst, und dann — was dem stracks zuwider zu laufen scheint — ein gefühlsmäßig fundiertes Streben, Mensch zu sein, nur Menschzusetn.sich tragen zu lassen von der glutvollen Empfindung des eigenen Herzens. Also doch, trotz alles 2) Hierzu: Hellmui Schwabe: Bon Elisa v. d. Recke, der Menschenfreundin; Sachs. Heimat VII, 4 (Januar 1924), S. 85 f. Är. 14 Subjektiven, ein Zug zum Altruismus, zur Menschenliebe! So verkündet die Inschrift, die — wie bezeichnend! — ehe dem droben am Hange unweit der „Quelle der Vergessenheit der Sorgen" über einer Bank zu lesen war: „Wollt ihr diese herrliche Szene recht genießen, so muß euer Herz heiter sein, rein von Hasse, von Kummer leer, und ihr müßt an ihre Stelle Menschenliebe gepflanzt haben." Ja — Menschenliebe, reine, edle Menschlichkeit... Ihnen waren deshalb auch viele Denkmäler geweiht. Vor allem der „Tempel, dem Andenken guter Menschen gewid met" (2). Dieses in griechischem Tempelstil aufgeführte kleine Gebäude stand mitten auf lachender, erlenumsäumter Wiese. Rauchgefäße und Medaillons auf stahlgrünem Untergründe hingen an den in zartem Rosa gehaltenen Innenwänden, an himmelblauen Bändern befestigt. Es walteten also „empfind same" Farben vor! Die Medaillons zeigten neben dem Bild nis des Grafen Moritz allegorische Figuren der Eigenschaften guter Menschen: Frömmigkeit, Treue, Beständigkeit, Groß mut. Alles aber überstrahlte die Wahrheit, die als Sonne von der Decke herab ihre goldenen Strahlen über das Ganze breitete. Der Tempel wurde einstmals am Geburtstag des Grafen, dem 26. Juli, von Gutsherrschast und gutsuntertäniger Bauernschaft geweiht. Die dabei veranstalteten Festlichkeiten vervollständigen um ihrer symbolischen Formen willen aufs beste den Stimmungsgehalt der Stätte und seien darum hier kurz geschildert: Eine Anzahl Hirten und Hirtinnen unter der Führung des selbst als Hirt verkleideten jungen Grafen Karl bewegten sich in langem Zuge zum Tempel, nachdem sie über die Bestimmung desselben aufgeklärt und ihnen eröffnet worden war, weder Ansehen noch Reichtum sollten hier die Wahl bestimmen, sondern einzig und allein die Red lichkeit. O wie belohnend und wie rein, Ein guter Mensch zu sein Und so sein Herz vom Schlangenbiß Der Reue zu befrein!" Nach dem Absingen eines zwölf Strophen langen Lob hymnus auf die Redlichkeit — die eben angeführten Verse stammen daraus — erschien ein Priester, ein Druide, aus seiner Höhlenbehausung, um dem hier aufgeführten „Unfug" Einhalt zu gebieten. Mürrisch und unzufrieden mit der Welt, erklärt er's für Unsinn, dem Andenken guter Menschen einen Tempel zu bauen. An deren Existenz könne er nicht glauben. Unter heftigen Schmähungen, besonders aus die Großen dieser Erde, widerlegt er alle Einwände des jungen Grafen und beharrt auf seinem Standpunkt. Endlich, nach langem Parla- mentieren, läßt er sich doch zu dem Zugeständnis herbei, das Fest seinerseits nicht zu stören. Aber eine Bedingung knüpft er daran: Nur, wenn man ihm einen Mann zeigen könne, der „bei Ansehen und Größe, mitten in der großen Welt, noch die alte deutsche Redlichkeit und die Einfalt der Sitten beibehalten" hätte. Der junge Gras ist hochbeglückt darüber! Freudig nennt er seinen Vater und „sein Mund strömt über von den Tugenden desselben". Der Priester, darob zu Tränen gerührt, gibt nach und weist den Grafen Karl an den „Altar der Tugend" (1), damit er dort auf den Knien die Götter um Einwilligung zur Wahl eines Priesters für den Tempel anflehe. Währenddessen bewegt sich der Zug um den Altar und singt, Blumen streuend, eine Hymne an die Tugend, die mit dem Lobpreis des neuen Priesters — natürlich des Gra fen Moritz — schließt. Darauf vergnügt man sich bei Tanz und Trank... (Fortsetzung folgt.)