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Herzogin-Mutter im Tal zu Seifersdorf aussttllen ließ, wo sie noch heute in einem tempelartigen Häuschen auf einer kleinen Erhebung am linken Röderufer oberhalb der Marien- mühle steht, freilich wenig ansprechend und obendrein durch Erneuerungsanstriche bedenklich entstellt. (16) 5. Das Ausdrucksmilieu der empfindsamen Welt An der Stelle des Weimarer Geistes sprach vielmehr auch in Seifersdorf noch immer der „Hofmeister Deutsch lands", der 1769 verstorbene Herr Prof. Gellert in Leipzig. Indessen nicht als Dichter, denn da hätte man merken müssen, daß des Herrn Professors Musenkinder — etwa gar die „Schwedische Gräfin" — doch sehr ausgelassene, ja stellen weise recht frivole Dinger sind, sondern als der vorbildliche Mensch: als ängstlich-frommer Musterchrist und hypochon drisch tugendsamer Mann, mit einem argen Stich ins Spieß bürgerliche. Nur ist der Gellertsche Einschlag in Seifersdorf aus dem bürgerlichen Rahmen herausgenommen und zur höchsten Verfeinerung gesteigert, wie wir ähnliches bei den freudigen Gestalten Wielands und Salomon Geßners, des Sängers des tugendhaften und unschuldsvollen Landlebens, finden: gefühlvolle Weichheit gepaart mit ländlicher Unschuld. Infolgedessen ist's kein Zufall, wenn für Gellert gleichfalls ein Denkmal geplant war und die „Idyllen" des Schweizers Geßner „in mancherlei Szenen" verwirklicht werden sollten. Der Name dieser beiden Poeten führt uns hin zum eigentlichen Typus der Empfindsamkeit, wie ihn auch dos Tal zeigt. Wieland, Klopstock und der Dichter des „Weither" sind nun keineswegs typisch empfindsam. Es verhält sich mit ihnen wie mit den Höhen in einer Landschaft. Dieselben geben ihr eine charakteristische Note, die unserm Auffassungs vermögen leicht und auf die Dauer eingeht. Aber haben wir damit den Gehalt der Landschaft voll erfaßt? Haben wir damit wirklich den Generalnenner gefunden, auf den sich alle Einzelheiten bringen lassen? So ist's auch mit dem Ver stehen einer geschichtlichen Epoche wie der besprochenen: Wieland, Klopstock und der junge Goethe sind deren Aus druckshöhepunkte innerhalb eines geistigen Raumes, der mit Bezug auf das „gefällige" Tal zwischen Gellert und Geßner liegt! Etwa seit den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts bereitete es sich in Deutschland vor, das neue geistige Leben, die Entdeckung des Ichs. Anregungen verwandten Inhalts aus England und Frankreich wirkten wie ins Feuer gegos senes Ol: sie entfachten nur umso stärker. Die Zeitgenossen empfanden dies zunächst notwendigerweise als etwas Un erhörtes, nie Erlebtes, dem sie ratlos gegenüberstanden, etwa so, wie in jüngster Vergangenheit das Werden einer neuen Dichtung, einer neuen Kunst als elementarer Ausbruch eines eigenartigen, ganz persönlichen und vergeistigten Gefühls ebenfalls starken Mißverständnissen unterworfen gewesen ist. Der das neue geistige Werden zuerst ahnte und instinktiv das Lebensberechtigte darin erkannte, war kein anderer, als der große Anreger in Weimar: Johann Gottfried Herder. Er sprach aus, was alle fühlten: daß dem Menschen in der alltäglichen eine neue Welt aufgegangen sei! Auch er wurde mit den Brühls bekannt und befreundet, und seine Sand steinbüste auf einer kleinen Erhöhung am Röderknie nahe dem unteren Talausgang ist jetzt noch Zeugin der verehren den Freundschaft, die das gräfliche Paar demOberkonststo- rialrat hielt (25). Wichtiger aber ist für uns die Inschrift am Sockel. Dort steht ein Vers, den Herder 1784 der Gräfin in ein ihr gewidmetes Lxempiar seines großen Hauptwerkes, der „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit", schrieb, i) Er drückte darin das früher unbewußt Geahnte mit befreiender Klarheit aus: „Des Menschen Leben beschränkt ein enger Raum, Ein engerer beschränket seinen Sinn, Sein Herz der engste. Um sich her zu sehen, Zu ordnen, was man kann, unschuldig zu Genießen, was uns die Vorsicht gönnt, Und dankbar froh hinweg zu gehen: Dos ist des Menschen Lebensgeschichte, Nicht Idee, es ist Gefühl." Und doch ist die Entdeckung des Ichs nichts Zufälliges, nichts durch Äußerlichkeiten Veranlaßtes! Wir haben bereits gesehen, daß der englische Gartenstil den starren, natur ver hunzenden französischen Lustgarten ablöste, daß mit ihm alles Regelmäßige und Kunstvolle vor dem Natürlichen weichen mußte. Das war der bildhafte Ausdruck des folge notwendig eintretenden Kampfes zwischen dem Gefühl, das sein Recht forderte, und dem bislang absolut dominierenden Verstände. Der Mensch gewinnt mit einem Male ein Ver hältnis zur Natur und will in der neu eroberten aufgehen; dabei erregt sie sein Gefühl aufs tiefste und führt ihn fast triebmäßiß zu einer spinozistischen Schwärmerei. Nur aus solcher Perspektive heraus werden die folgenden Sätze Beckers verständlich: „Im Seisersdorfer Tale wird der empfindsame Wanderer von einem engen Tale um schlossen, das für jede Stimmung seiner Seele des Anziehenden soviel enthält. Er wirft sich hin in seinen Schoß, aber nur um neue Kräfte zu sammeln, die reizenden Krüm mungen desselben zu verfolgen. Hier lehnt sich ein Felsen neben ihm empor, dessen Nacktheit hier und da nur leichte Brombeersträucher bedecken, dort schmiegt sich ein spiegeln der Bach um eine blumige Wiese, die schlanke, durchsichtige Erlen umkränzen. Hier steigt ein buschigtes Wäldchen den sanften Hügel hinauf, dort strömen die blühenden Saaten in hüpfenden Wellen. Schweigend sitzt der Hirt mit der töd lichen Angel am Bach, indessen die bunte Herde, unter dem Schutze des wachsamen Hundes, zerstreut am gegenüberlie genden Hügel weidet..." — Sieh' da, ist das nicht typisch empfindsamer Überschwang, empfindsame Zeit, wie sie schaute, fühlte und genoß?DerHirt mit der „tödlichen" Angel— die weidende Herde — die zahllosen schmückenden Beiwörter — die prunkenden Sprachbilder? Doch hören wir auch andere Zeugen dieser jugendfrischen Empfindung! Unterhalb der Marienmühle, wo sich das Tal wieder weitet und die Röder, an den rechten Talhang gerückt, Raum läßt für einen großen, von hochstämmigen Bäumen besäumten Rasenplatz, den ehemaligen „Festsaal" wie der vasengekröntc Denkstein mitteilt (20), steht ganz in der Nähe unter alten Linden in runder Begrenzung auf einem Stein hügel ein rundes Postament, ein „den Sängern des Tales" errichteter Altar (21). Das waren der Kapellmeister Gottlieb Naumann, der damals die Dresdner Oper leitete, und der Oberkricgskommissär Neumann. Den ersteren hatte Tinas Musikliebe ins Seisersdorfer Schloß geführt; dort musizierte er mit der Gräfin und war immer bereit, wenn man es wünschte, die Gelegenheitsgedichte zu vertonen, die dem jovialen „Herrn Kriegsrat" leicht zuwuchsen. Auf das Tal dichtete der letztere u. a. die charakteristische „empfind same" Stanze: ') Sämtliche Werke (Suphan) XXIX, S. 0S5.