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wiederentdeckten Ichs, enthalten sind, der „Genie-Kultus" erwachsen: alles literarische Schaffen stand im Zeichen frucht barster Gärung. Hier aber, in Seifersdorf, bewegte man sich noch ganz und gar in der milderen Borform, der Empfind samkeit. — Alles Umstürzlerische der neuen Geister wurde abgelehnt. Nur das fand Zugang in die Abgelegenheit des adligen Schlosses, was mit dem Alten noch nicht gebrochen hatte. 4. GoetheundSeifersdorf. Denkt man in diesem Zusammenhänge an Goethe, so ist es klar, daß nur der Goethe des „Werther" sich in Seifers dors einen Ehrenplatz zu erobern vermochte. G.s „Weither" war 1774 erschienen und erfüllte mit dem lyrischen Pathos der Seelenzustandszeichnung und durch die pantheistische Art, in der der Titelheld in der Natur aufgeht, die schon aufs äußerste gespannten Erwartungen und Hoffnungen seiner Generation. Goethe wirkte damit so mächtig, wie es ihm kein zweites Mal gelungen, und wurde berühmt als der „Dichter des Werther". Als solcher — und nurals solcher! — verschaffte er sich Zutritt ins Seifersdorfer Schloß, wo „Werthers Leiden", wie überall, empfindsame, schnell zu Tränen gerührte Leser fanden: den Grafen Moritz mit der Weichheit und Nach giebigkeit eines Charakters, der nach Anlehnung verlangte, und die junge Gräfin Tina, die bei allem klaren Selbst bewußtsein doch auch der sentimentalen Mode gern ihren Tribut zahlte, nicht nur empfindsame Gefühle zubesitzen, sondern sie auch am passenden Ort zu zeigen. Goethe erhielt also gleichfalls ein Tempelchen geweiht wie vorher Wieland. Es macht nichts aus, daß dasselbe — wieder in Gestalt eines leichten Rindenhäuschens - sich im Schloßpark, nicht aber im Zaubergrunde.befand. In diesem Häuschen stand mitten in gemaltem Gebüsch von Rosen und Jasmin die Büste Goethes — und daneben an der Wand hing das Bild Werthers ... Das ist bezeichnend! Goethe tatsächlich nur der Dichter des Werther? — Mit aristokratischer Reserve lehnten die Seifersdorfer die vom „Götz" zur gleichen Zeit ausgehen den großen seelischen Erschütterungen ab, die diesen nur für milde Erregungen der Seele zugänglichen Gemütern allzu derb und röh oorkamen. Auch zu den ferneren Dichtungen Goethes, in denen allenthalben als hörbar mitklingender Unterton das Streben nach Überwindung des „Sturmes und Dranges" und das Ringen um eine reine, geläuterte Menschlichkeit herauszuhören ist, —zu all diesen Dichtungen bis 1786, wo in Goethe durch die italienische Reise der fesselsprengende Titan durchbrach, hat man im stillen Seifers dorfer Schloß kein inneres Verhältnis gefunden — wenig stens habe ich nichts finden können, was darauf hindeutete. Das ist entschieden umso merkwürdiger, als die Brühls in Weimar und dann 1786 während eines Kuraufenthalts in Karlsbad Goethe persönlich kennen und als Menschen hoch achten gelernt hatten. Dagegen beobachtet man mit großem Interesse, daß Goethe die Gräfin Brühl gewissermaßen mit den Augen der geliebten Charlotte v. Stein sah. Ihr, dem A und O seines Lebens, der Frau, der er sang: „Ach, du warst in abgelebten Zeiten meine Gattin oder meine Frau," gefiel die Gräfin nicht. Sie hatte mit frauenhaftem Instinkt sofort die Eigen schaften der Partnerin herausgefunden, mit denen dieselbe schon beim ersten Erscheinen in der Weimarer Hofgesellschaft bezauberte: und die Feststellung, daß ihr, Charlotte, diesel ben abgingen, steigerten ihren Stolz zu Empfindlichkeit und Erbitterung, die sich in gehässiger, zumindest ungerechter Kritik an der Gräfin Luft machte. Beide Frauen paßten nämlich ihrem innersten Wesen nach überhaupt nicht zusam men: hier die Kühle, gemessene, schwerblütige, auf ihr Frauen tum oftmals fast krankhaft stolze Charlotte o. Stein, dort die temperamentvolle, lebensfroh-unbefangene, aber nicht minder selbstbewußte Gräfin Tina. Und Goethe? Er rang noch um abgeklärtes Menschentum, stand noch, erdenschwer genug, im eifersüchtigen Banne der geliebten Freundin, sah mit ihren Augen und — stimmte ihr bei, wenn über andere Frauen absprechend geurteilt wurde. Wie hätte er ihr sonst am 31. März 1782 aus Gotha schreiben können: „Mit der Gräfin B.(rühl) nimmt's ein böses Ende. Gib acht, sie prostituiert sich am offenen Tage, daß kein Mensch einen Zweifel über ihre Hirnlosigkeit behält. Der Obermarschall (Moritz von Brühl) ist nicht besser." Das ist, soweit es ins allgemeine geht, nicht den Tatsachen entsprechend, ungerecht und vorschnell geurteilt — also Hof klatsch! — und darum auch später von Goethe selbst ganz wesentlich geändert worden. Fest steht indessen, daß es zu innerem Kontakt zwischen Goethe und den Brühls nicht kommen konnte. Einmal war ja, wie gesagt, Goethe, als ihn die Seifersdorfer kennenlernten, eben nicht mehr der Dichter des Werther. Und dann trat Frau v. Stein zusam men mit der Kühlen Herzogin Louise, der Gemahlin Karl Augusts, dazwischen. Beiden behagte die aus Wesensver- wandtschaft entstandene Harmonie zwischen Tina und der Herzogin-Mutter Anna Amalia von Weimar absolut nicht. Wie aufrichtig diese Harmonie zwischen den an Jah ren weit auseinanderstehenden Frauen war, beweisen eines teils Amalias Briefe an Tina mit ihrer angenehm berüh renden Note gern und rückhaltlos bezeugten Wohlwollens; beweist andernteils die Tatsache, daß man die Büste der