Volltext Seite (XML)
Was uns ein alter Flurname erzählt Eine orlegeschlchtliche Betrachtung von Obl R. Bauer - Jonsdorf er einmal non Station „Jonsdorf Bad" die Dorfstraße talaufwärts der Kirche zugewandert ist, dem ist wohl das alte hart am Wege ge legene Haus ausgefallen, das so tief steht, daß man bequem von oben herab in das Aller heiligste des Hauses, die Schlafkammern, sehen könnte, wenn es nicht durch Fenstervorhänge vor solcher Entweihung ge schützt wäre. Zwischen ihm und der hohen, die Stube ver finsternden Straßenmauer ist nur ein schmaler Gang, der auf der unteren Seite glatt zur Haustür binab, auf der oberen über Stufen wieder zur Straße hinauf führt. Dicht unter den letzteren plätschert munter ein friscker, in Röbren gefaßter Gebirgsquell aus einer „Gosse" zu Tal in das Altjonsdorfer Wasser, den Grundbach. Der Jonsdorfer Chronist von 1835 (iVl. Christian Adolf Pescheck, geb. 1787 in Fonsdorf als Sohn des damaligen Ortsgeistlichen IVl. Christian Adolf P., 1816—26 Pfarrer in Lückendorf mit Oybin, gest. 1859 als Archidiakonus in Zittau) schreibt von diesem: Ungefähr in der Mitte des Borderdorfes ist die sogenannte „Fidelgosse". Der Dolksmund machte daraus „Fidelqoasse" und übertrug den Namen zunächst auf die vorbeiführende Straße, dann aber auch — nach oberlausitzer Gewohnheit — auf den Be sitzer des anstehenden Hauses. Der vorletzte, der das Haus 1876 kaufte, wurde bald — und zwar ganz unschuldiger weise — Fidelgoassen- oder kurz Fidelbuttg genannt, welcher Zuname oft Anlaß zu Reibereien mit handgreiflichen Aus einandersetzungen zwischen den Sprößlingen dieser Familie und deren Gespielen gab. Wie ist nun das Haus zu seinem Zunamen und zu seiner unangenehmen, den cindringenden Blicken der Vorüberwandernden und der Besudelung durch Autos ausgesetzten Laqe gekommen? Zuerst zur Beant wortung der zweiten Frage. Die Beschaffenheit des Hauses, seine alten eckigen Kopfbänder oder Bügen an den Fenster lauben zeigen jedem, daß es bedeutend älter ist als die „hoch mütig" an ihm vorüberführende moderne Dorfstraße. Bor allem wird sich aber jeder, der es sieht, sagen, baß kein ver nünftiger Mensch sein Haus an eine solche Stelle baut, sondern daß dasfelbe erst durch irgendeinen unglücklichen Umstand in diese Lage gekommen ist. — Bis etwa 1838 hatte Jonsdorf nur breite Fahrwege, von denen der Alt jonsdorfer hier durch einen Grund unten an der Tür des Hauses und an der Quelle vorbeiführte. Zu jener Zeit waren die Mühlsteinbrüche durch Pacht an die Gebrüder Knobloch, die „Teichknoblche", übergegangen, unter deren Leitung sich die Mühlsteinfabrikation so hob, daß der alte Dorfweg mit seinen verschiedenen größeren und kleineren Steigungen und seinem schlechten Untergrund dem wachsen den Verkehr nicht mehr genügte. Die rührigen Geschäfts leute setzten darum bei der Gemeindebehörde den Bau einer neuen, der jetzigen Dorfstraße durch. Leider erfüllte sich die Hoffnung nicht, zu diesem Handel und Verkehr fördernden, sehr kostspieligen Straßenbau vom Staate eine Unterstützung zu erhalten. Der Grund, in dem die Fidelgossc ihre Wasser ausschüttete, wurde ausgefüllt; die Abfuhr der an Zahl und Größe wachsenden Mühlsteine war dadurch bedeutend er leichtert. Gar bald wurde die neue bequeme, sichere Straße über Jonsdorf auch von dem weiteren Verkehr zwischen Zittau und Böhmisch-Leipa benutzt, so daß sich an derselben die Anlage einer Zollstation im Hinterdorfe nahe der böhmischen Grenze notwendig machte. Die alte Leipaer Straße an der Südseite des Ionsberges, die über ein halbes Jahrtausend den Verkehr zwischen dem Osten und Westen vermittelt hatte, vereinsamte nach und nach und diente meist nur noch Forst zwecken. In Fonsdorf aber ging nun auf starker, hoher Mauer die neue Straße stolz und anmaßend an dem alten Hause vorüber, über die Fidelgosse hinweg, und damit war es mit der beiden Herrlichkeit „im schönsten Wiesengrunde" vorbei. Sie waren ein Opfer der sich in der Neuzeit rasch entwickelnden, keine Sentimentalität kennenden Zivilisation geworden. — Nun zur Entstehung des Flurnamens. Der Name „Fidel- goasse" ist, wie schon oben gesagt, erst in neuer Zeit, in den siebziger Jahren vor. Ihrb., entstanden. Die alten Jons dorfer und der angeführte Chronist kennen nur die „Fidel- gösse". In seinem Flurnamenverzeichnis erwähnt er wohl die „Bärgasse" im Zusammenhang mit „Bärloch", aber keine Fidelgasse als Ableitung von Fidelgosse, was er jeden falls getan hätte, wenn ihm der Name schon bekannt ge- wesen wäre. Die Gründe für die neuzeitliche Umwandlung des alten Flurnamens liegen auf der Hand. Durch den neuen Straßenbau war die Fidelgosse den Blicken der Vor übergehenden entzogen. Die kleine Gasse zwischen Haus und Straße aber fiel allgemein auf. Solange die altein- aesessene Familie in dem Hause blieb, blieb auch der alte Name, zumal ein altes Holzhäuschen unterhalb der Gosse an sie erinnerte, das der letzte Besitzer aus dieser Familie errichtet hatte, um das frische Gebirgswasser zu Heilzwecken zu verwenden, nach dem Beispiele des Dr. med. Linke, der 1841/42 die Kaltwasserheilanstalt „Bad Jonsdorf" ge gründet hatte. Als das Haus aber an eine neue Familie überging und der neue Besitzer jenes Häuschen, das letzte Erinnerungszeichen an die Blütezeit der Fidelgosse, entfernte, verschwand auch der Name. Das aufwachsende neue Ge schlecht konnte sich den Namen „Fidelgosse" nicht mehr er klären, wohl aber sah es eine „Fidelaoasse" mit der Be- deutunq „kleine Gasse" (wie in „a Fidel Brut"). Für Quell. Haus und Besitzer ein Bedeutungswandel vom Guten zum Scklechten, wie uns die Entstehungsqeschichte beweist. Bor 1876 gehörte das Haus, vielleicht Jahrhunderte hin durch, der Familie Weber, deren letzte Glieder, der früher verstorbene Musikinstrumentenhändler G. Weber, in Firma Weber <L Roßberg, Zittau, und der jüngst verstorbene Hör- nitzer Oberförster i. R. Karl Weber manchem Bewohner von Zittau und Umgegend noch bekannt sein dürften. Sie war eine jener Familien, deren Glieder neben dem Schaffen und Ringen um des Leibes Nahrung und Notdurft noch Zeit fanden, sich geistig weiter zu entwickeln, aufwärts zu streben. Besonderer Pflege erfreuten sich in Jonsdorf von jeher Musik und Gesang. Die Chronik nennt eine ganze Reihe Jonsdorfer, die in Musik Außergewöhnliches geleistet. Genannt sei nur der Ortsrichter Johann Friedrich Feurich, der als tüchtiger Musiker, Glasharmonikaspieler und Kom ponist eines Oratoriums und mehrerer anderer Kirchen musiken weit und breit bekannt war. Eine solche Pflegstätte der Musik war auch das Webersche Haus an der Fidelgosse. Der Vater der beiden obengenannten Weber, bekannt unter dem Namen Waber-Helf, spielte Harfe. Gewöhnlich be gannen die jungen Sprößlinge ihre musikalischen Übungen auf der Geige. Da wurde tüchtig gefidelt. Wenn es einmal einem solchen zuviel werden wollte mit dem ewigen Üben und er sich heimlich drückte, um im Spiel mit munteren Kameraden Erholung zu suchen, gleich war die Mutter da-