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Der Schützenkönig Eine Oberlausitzer Geschichte von Richard Blasius-Schandau „Berumbumbum, dö Schötzn komm, dr Voater triäjt de Scheibe." sangen die Kinder auf der Dorfstratze von Tanngriin. Groß war das Dörflein nicht, aber eine Schützengilde halte es. Zwar hielt es oft schwer, die Mannschaft dazu aufzubringen, weil jeder „etwas sein" wollte, aber na, so ein paar Vierergruppen zählte der Zug doch, der heute am Kirmisfeiertag seinen Umzug hielt. Oh, wie das schmetterte, paukte, trommelte. Das ganze Dorf war auf den Beinen. „Dö Schötzn komm, dö Schötzn komm," brüllte Groß und Klein und rannte auf die Straße, den Glanz und die Herrlichkeit zu sehen, die wehenden Tschackos, die schmucken grünen Joppen mit blitzenden Messingknöpfen, die so schön „guld'g" aussahen, und, o Gipfel aller irdischen Seligkeit, das Gewehr. Was, Gipfel? Die Frinker-Rahele wird es dir gleich erzählen, was der Gipfel ist. Nicht das Gewehr, sondern der Säbel. Ihr Mann trägt einen riesigen Schlepper an der Seite, denn, »Wonne, derFrinker-August ist Hauptmann über die vier undzwanzig Mann. Doch da schnattert schon die Bergmann-Guste dazwischen. Und wie! Donnerwetter, hat die einen Zungenschlag! Von wegen Gipfel der Seligkeit und Schleppsäbel? Nu nee, nischt zu machen. Was der Bergmann-Bauer ist, der heißt Herr Major von dem Schützenvölkchen und reitet auf einem Pferde. Unbestritten, die Guste hat recht. Das ist der Gipfel. Freilich, andere können sich auch sehen lasten. Nu, nich etwa. Schon die Musik, die sich sogar auch noch hören läßt, und wie! Das Hauptinstrument ist die große Trommel. Die hängt dem großen, langen Trenklerschuster vor dein Leibe. Und weil der Schuster das Tempo etwas schnell zu nehmen gewöhnt ist, näm lich vom Besohlen her, haute er drauf los, was das Zeug hält. Das Zeug aber hält manchmal überhaupt nicht, denn ein Fell hat er schon durchgepaukt, im Vorjahre, als der Königsschuß fiel. Damals haben sie ihn als Paukenschläger absetzen wollen, aber er hat flehentlich gebeten, ihm doch das nicht anzutun, er müsse ja sonst den Strick nehmen, denn sehen lassen könne er sich vor nie manden mehr. Als er nun die Neubespannung auf sich genommen hatte, ist er in Gnaden wieder ausgenommen worden. Hinterher hat ihn der Herr Major gefragt: „Nu soi ock amo, Trenkler-Emil, wär dr denn doas wörklch su nohnd gang, doß dch ufghang häst?" „War hottn vo ufghang gredt?" meent Trenkler snd grünst. „Nu, du host doch gsoit, mißter n Strick nahm." „Nu freich, doas hättch oh gmacht." „Woas wollstn do mitn Strick machn, wenn dch nö ufhäng »vollst?" „Mit dann Strick hättch diär s Lader vergarbt, denn du hostsn eigahn, doß ch nömie paukn soll." Daraufhin hat die Trenkler-Mine vierzehn Tage lang keine Milch mehr dein» Bergmann-Bauer gekriegt, dann war alles wieder in Butter. Das also war der Trenklerschuster. Den Kindern war er der Wichtigste, und er war es auch ost für die andern Musikanten, denn auswendig konnten sie schlecht spielen, und wenn sie da einer nach dem andern einmal aufhörten und nicht mehr weiter wußten, dann reitete stets der Trenkler-Emil die Situation, indem er solange auf seiner Pauke rumorte, bis die Musikanten sich geeinigt hatten und etwas anderes begannen. Dieses Andere wär stets: „Ich hat einen Kameraden." Das konnten sie, sogar aus dem Ess, Ess. Hei, wie der Zink- Schmied das Gloria, Viktoria hinausschmetterte und der Krämer Haufe auf seiner Querpfeife das Singen der „Vöglein im Walde" mit Virtuosenhasten Trillern zu Ohren brachte. Ja, die Musik hatte doch was los in Tanngrün. Eine Person, die sich sehen lasten konnte, und auch infolge ihres Leibesumfanges garnicht zu übersehen war, das war der Schenk wirt, der Gottfried Liebscher, der Schützenleutnant. War das ein Leutnant! Einen Schmerbauch hatte er, daß er nicht sehen konnte, ob seine Stiefel blank gewichst waren. Hm, er hatte eigentlich nicht Offizier werden sollen, aber man brauchte ihn doch, denn Durst ist ein Teil der menschlichen Erbsünde, und der Schenkwirt gab zuweilen ein Faß Freibier. Gottfried Liebscher trug schwer an seiner Leutnantwürde. Daran war, wie schon gesagt, die Leibesfülle schuld, und dann war er etwas kurzbeinig und hatte alle Mühe, an der Seite seiner Leute zu bleiben, im Gleichschritt ging das selten. Als ein Ge scheiter einmal in der Gaststube erzählte, der den Gleichschritt eingeführt habe, sei der alte Dessauer gewesen, brummte Gottfried wütend, den könne er vor Arger vergiften. Alles hat ein Ende, leider auch der Tanngrüner Schützenumzug. Auf dem Platze vor der Kirche kommandierte der Herr Major stolz: Weggelreten! Aber es traten nur noch acht Mann weg, nachdem sie eine Kehrtwendung gemacht hatten, die mehr einer Verbeugung nach dem p. t. Publikum ähnlich sah. Daß dabei vier nach rechts, die andern nach links schwenkten, war ja Neben sache. Die meisten wäre»» bereits weggelaufen, als das Kommando „Kompagnie halt!" ertönt war. Na was denn, Hunger entschul digt viel, und es war kurz vor Mittag: Auch Gottfried, der Wirt, tippelte der Schenke zu, wurde aber unterwegs voin Pfarrer aufgehaltcn, der ein Freund von ge legentlicher Unterhaltung war. Das machte sich einer der Schützen zunutze, ein junger, schmucker Bursche, der Sohn vom Riegerbauer aus dem Niederdorfe, der Franz. Pfeifend eilte er die Dorfstraße dahin, gab das Gewehr beim Haufe-Krämer hinein, um es nachmittags zum Schießen nicht erst wieder mit in das Oberdorf schleppen zu müssen. Dani» bog er nach der Schenke hinüber. Das war eigentlich verwunder lich, denn der Kretschamwirt und der Riegerbauer spannen keinen guten Faden zusammen, hatten in früheren Jahren einmal mit einander prozessiert, und der Wirt hatte verspielt. Das zieht Blasen, sowas, die selbst ein Jahrzehnt oft noch nicht heilen kann. Es war aber auch wieder nicht verwunderlich, daß der Rieger- Franz nach dem Kretscham hinüberging, denn das Wirtsmädel, die Käthe, hatte es vielen angetan, und wer weiß, was sich da noch entspann, denn dem Franz schauten auch viele Augen nach und die der Käthe nicht zuletzt. Er strich sich seinen kleinen Schnurrbart zurecht und verschwand in der Schenke. Käthe war eben damit beschäftigt, die Tische in der Gaststube zu decken, denn heute war Großbetrieb zu erwarten. Franz lugte vergnügt durch eine Spalte hinein. Ein Prachtmädel, die Käthe. Wie sie so da herumhantierte, voller Leben und Frische, und wie sie aussah, zum Anbeißen. Das blonde Haar, die roten Wangen, die voll Gesundheit strahlten, die bloßen Arme mit den weißen Puffärmeln. Und da fing sie auch noch an zu singen. Was konnte es heute anders sein, als ein Schützenlied. „Mit dem Pfeil, dem Bogen durch Gebirg und Tal, kommt der Schütz gezogen früh am Morgenstrahl?' Sie sang mit Heller, glockenreiner Stimme, allerdings mit etwas gezierter Aussprache, wie es einfache Kinder des Volkes immer tun, wenn sie ihre Sache besonders gut machen wollen. Aber das Letztere merkte Franz nicht. Er stimmte plötzlich ganz laut in das Lalalala mit ein, daß Käthe erschrocken zusammenfuhr. „Pst pst, brüll ock nö su, Franz!" „E woasn, der Voater stiehl den Pfoarrn. Do kömmt a nö glei lus. Wer weetz, woas darn zo derziähln Hot." Donnerwetter, so weit sind die schon mit einander? Fliegen sich da einfach in die Arme, und zweimal knallte es, als schlüge jemand mit der Fliegenklatsche auf den Tisch. Aber das Mord- Werkzeug hing ruhig an der Wand. Die Fliegen erfreuten sich ihres Daseins in der heißen Gaststube. „Der schiefe Max ös oh schonn dogwast", sagte Käthe verdrieß lich. Der schiefe Max, ja das war das vorgenkapitel der Beiden. Mußte es da dem Schicksal gerade einfallen, neben dem Kretscham dem Löfflerbauer einen Jungen zu schenken, der ungefähr gleichen