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den war, hat er endlich als Königshainer Pfarrsohn ein Asyl im Gemeindehause seiner Heimat gefunden und von der Ortsherrschaft notdürftig unterstützt sein Leben gefristet und sich zum Zeitvertreib den Besuchern der interessanten und historisch merkwürdigen Königshainer Berge als ein kundiger Cicerone aufgedrängt. Man findet ihn daher sogar in einer Journal-Novelle als wunderbaren Kauz eingeführt. Endlich hat er sich ganz dem Trünke ergeben und ist im Jahre.... bei Gelegenheit der französischen Invasion von französischen Soldaten in dem Görlitzer Ratskeller mit Rum, aber ohne Ruhm, unter den Tisch getrunken worden, wo man ihn dann tot gefunden und mit andern Toten aus dem französischen Lazarett auf der Görlitzer Viehweide (wo jetzt die schönen Anlagen sind) in eine große Grube mit verscharrt hat. Seine Münchhausenschen Dikta habe ich früher sowohl in der Familie als bei andern Zeitgenossen aus Zittau, Görlitz und Bautzen gesammelt und unter 99 Nummern zusammengestellt unter dem Titel „Cammerhofiana". Kammerhofs, zu meiner Jonsdorfer Zeit noch unver heiratete, Schwester, namens Malchen (nachmals oerehel. Chirurg Kynaß zu Görlitz) war auch einmal bei uns in Jonsdorf zum Besuch und ich besinne mich nur noch so viel, daß sie mir nicht eben gefiel. Sie war auch bei der Familie nicht beliebt, weil sie ungelehrig und träge war und ihr Außeres vernachlässigte. Ihr Schicksal war eben so traurig, wie das ihres Bru ders, denn nachdem ihr Ehemann, wenn ich mich noch recht erinnere, daoongelaufen war, lebte sie in größter Dürftig keit, ja selbst moralisch in tiefster Versunkenheit und ist endlich, ungefähr 1830!, in einem Görlitzer Armenhause elend gestorben. Die Mama mußte sich über diese Geschwister Kammer hof und deren Nichtsnutzigkeit immer sehr ärgern und rühmte es wiederholt, wie unermüdet tätig immer deren Mutter, die Königshainer Pfarrfrau, gewesen war, die aber, wenn sie bei ihrem Arbeiten am Tische gesessen, fleißig Tabak geraucht und dabei die lange Tonpfeife immer so gehandhabt habe, daß der Kopf davon auf einem hölzernen Teller geruht habe, um sich ihre Nähterei nicht zu verunreinigen. Man sieht also, daß es schon in den achtziger Jahren des vorletzten Jahrhunderts Damen gegeben hat, die zur Frauen-Emanzipation hinneigten. Nicht ohne Interesse war es für uns Kinder, daß wohl ziemlich in jedem Jahre der sogenannte „Reichenbacher Schneider" zu uns kam und allemal wenigstens eine Woche bei uns blieb, während welcher Zeit er alles zusammen schneiderte und -flickte, was eben not tat. Es war dies ein ungefähr 5OIahre alter Mann,namens Neubauer, Schneider meister zu Reichenbach bei Görlitz. Er war gewissermaßen noch ein Inoentarienstück aus dem Kunnersdorfer Pfarr hause und hatte dort gleiche Dienste geleistet. Er machte seinen jährlichen Besuch teils aus alter Anhänglichkeit an die Familie der Mama, teils um sich etwas zu verdienen und einmal eine Veränderung zu haben, wenn er das Ober land besuchte. Er war ein dürrer Mann mit einem Haar zopfe und knöchernen Gesichte, der von der, den alten Schneidern verliehenen, göttlichen Wohltat, große buschige Augenbrauen zu besitzen, um in deren Schatten ohne Sonnen- oder Lichtblendung bequemer arbeiten zu können, fast über die Maßen Gebrauch machte, und trug bei seiner Arbeit ein grünes (oder gelbes) zeugnes Hausmützchen mit einem breiten steifen Bunde, sprach sehr viel und schnell und zwar in einem ziemlich schnurrenden Ton; er hatte ein großes Maul und ein derbes Gebiß darin, weshalb er sich auch beim Essen sehr tätig erwies; auch spaßte er sich gern mit uns Kindern und uns machte es, wenn er fort war, Spaß, unfern kleineren Bruder Gustav expreß dazu an- zuhalten, ein breites Maul zu machen wie der Reichenbacher Schneider, weshalb wir ihm die Daumen in die Mund winkel einsetzten und ihn dabei zum Sprechen anhielten: „Wie der Reichenbacher Schneidern!" .... Da es damals im Orte noch keine Turmuhr gab, war der Papa manchmal sehr in Verlegenheit, die richtige Zeit oder Stunde zu wissen und zu erfahren, ob unsre Wanduhr oder seine Taschenuhr, die etwas im Widerspruche mitein ander standen, Recht habe. Es kam dann wohl vor, daß er zur Mittagszeit schnell vom Tische fortlief und auf den Kirchhof hinübereilte, sodaß die Mama fast darüber er- schrak und glaubte, es sei ihm etwas schlimmes widerfahren; er hatte aber nur die Absicht gehabt, den Schatten der Turm kante, der auf die mittägige Kirchenwand in der Mittags stunde fiel, zu beobachten, weil sich aus dieser eine sogenannte Mittagslinie markiert befand, die der vorige Pfarrer, der Mathematiker Mirus, dort angebracht hatte, und hiernach wurden nun die Uhren rektifiziert. Da im Dorfe wenig oorging, so war es schon ein angenehmes Schauspiel für uns Kinder, wenn wir einmal bis in das Oberdorf zu dem sogenannten „Reuter-Israel", der nahe an Schanzendors wohnte, geführt wurden und seine Reuter aufmarschieren sehen konnten. Dieser Israel, der, wie ich gehört zu haben glaube, früher selbst einmal Dragoner oder sonst ein Reutersmann gewesen war, hatte sich nämlich etwa ein paar Dutzend hölzerne Garde-Reuter oder Dragoner von etwa einer halben Elle Höhe (wie man solche bei den Drechslern gewöhnlich auf Räderchen sieht», zugelegt, oder wohl gar selbst fabriziert, die, wie durch ein Wunder, zu dem einen Kammerfenster heraus und zu einem andern wieder hineinmarschierten und dabet kein Ende zu nehmen schienen; denn wenn der letzte Reuter sich um die Ecke des zweiten Fensters herumschwenkte, war der erste, nämlich der den Zug anführende Trompeter, und der ihm auf dem Fuße nachfolgende Escadron-Chef schon wieder im Anmarsche und die Avant-Garde mit der Arriere-Garde in steter Wechselwirkung. Da in den Jahren meines Jonsdorfer Lebens an Kunst- straßen und Chausseen in Deutschland noch garnicht zu denken war und nur ein fast mit Lebensgefahr, oder doch wenigstens nur mit der Gefahr des Umwerfens zu befah render Weg von Zittau nach Jonsdorf und von da weiter nach Böhmen ging, so war es denn etwas ganz seltenes, dort eine Chaise, oder wie es damals meistenteils hieß, eine Larrete oder Larosse im Dorfe zu erblicken. Es läßt sich daher leicht denken, daß wir Kinder einen vornehmen Marstallwagen, in denen Ratsbeamte heraus kamen, oder wohl gar einen Scheibenwagen wie ein Wunder tier austaunten. Ich kann mich noch sehr wohl besinnen, daß ich so einen Stadtwagen in ausgebogter und gebauchter Facon, mit Glasfenstern wie ein Stübchen, an allen Rändern aber mit großköpfigen gelben Zwecken beschlagen und hinten mit großen bunten Bummeln und unter den Eingangstüren mit kleinen Treppen versehen, in welchen, weil er leer in die Stadt zurückging, Tante Caroline, nach Möglichkeit hochsrisiert, einstteg, um sich zur Stadt rädern zu lassen,