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fünfzehn Male Gevatter gestanden zu haben, die aber sonst im Dorfe allgemein „dieBaßsängerin" hieß, aber nicht, weil sie geeignet war, Baß zu singen, sondern weil ihr Ehemann der Bassist unter den Chorsängern war. Dieser Sänger war auch ein Naturdichter und machte dann und wann geistliche und weltliche Lieder, von denen die „Baßsängerin" manch mal etwas im trillernden Diskant für sich absang. Das eine davon war ein Schornsteinfegerlied und fing an: „Morgens, wenn ich früh aufsteh Und den Schornstein fegen geh, Klopf' ich leise an die Tür: Schwarzbraun's Mädel, komm' herfür!" Der schwarze Feuerrüpel hatte also wohl eine echte Brünette zum Schatze. Unter den sonst aus Iahrmarktstischen ver kauften Bogen mit sechs schönen neuen Liedern sollen manch mal Texte aus des Baßsängers Fabrik gewesen sein. Unsere Holzschläger waren ein Paar Zwillingsbrllder, mit Namen Hofmann, ein Paar baumlange Kerls, die beide Soldaten gewesen waren. Bon diesen hörte ich damals erzählen, daß sie als kleine Kinder beide zugleich laufen gelernt hätten. Sie hatten nämlich beide nebeneinander auf dem sogen. Gezehe- (Wirkstuhl) Bänkchen gesessen, sich ein Herz gefaßt, einander bei der Hand genommen und waren so auf einmal aufgestanden und miteinander über die Stube spaziert. Sie waren beim Eßtische weit eifriger als im Holz hause und aßen, wenn sie, wie dies zur Vesper gewöhnlich der Fall war, eine Schüssel kalte Milch mit eingebrocktem Brot erhielten, vor allen Dingen das Brot heraus. Sobald dies herausgefischt war, rief sofort einer von ihnen: „Moid, brock' ei!" Und nun ging's weiter mit dem Essen. War die Mama, um deren Arbeit zu fördern, beim Legen der gespal tenen Holzscheitchen mit behülflich, so mochte ihnen damit nicht gedient sein, denn sie wußten sie bald durch natürliche Kanonaden zu entfernen. Auch kamen manchmal in unser Haus: „Gottlobs- Dore", eine derbe, runde Dorffrau; eine andere gewöhnlich nur die „Wingeschneidern" genannte Person, eine schmächtige, magere Frau, und das „Pieter- oder Peter- Do rel", die ein kurzes, plumpes Ding war. Die beiden ersten waren, soviel ich mich entsinne, gute Ratgeberinnen bei bösen Fingern und bei Biehkrankhciten; die Meriten der letzteren weiß ich nicht mehr. Eine dieser Ratgeberinnen wurde namentlich zugezogen, als unsere Ziege die Epilepsie bekam und ich erinnere mich noch, daß diese kleine Patientin, weil es draußen im Stalle nicht warm genug war, in der kleinen Gesindestube auf Stroh am Ofen lag und wenn die Krämpfe kamen, allemal furchtbar mit den harten Beinen trommelte. Dann und wann kam auch ein alter Chirurgus, Schma lenberger aus Bertsdorf, ein vormaliger sog. Feldscherer, zu uns und besorgte bei der Mama das damals alljährlich übliche Aderlässen. Er war ein großer, dicker, großmäuliger Mann in einem breiten, rot und gelb gemusterten Frack, den wir Kinder, seines Musters halber, „gewittert" nannten, indem uns dies wie lauter Donner und Blitz aussah. Dabei trug er einen großen Dreimaster oder dreieckigen Hut, unter dem hinten ein langer, dünner Zopf bis auf den Podex niederhing. In der Hand führte er ein großes spanisches Rohr mit einem mächtigen Knopfe, das er auch oft unter den linken Arm klemmte. Übrigens hatte er die Gewohnheit, viel zu schwadronieren. Ich ging ihm immer gern aus dem Wege, weil er mich oftmals gern vexierte und mit Gewalt einen Soldaten aus mir machen wollte. Einmal versteckte ich mich vor ihm sogar hinter das Kirchhoftor und kam erst wieder zum Vorschein, als ich ihn abziehen sah. Auch zu dem in unserer Nachbarschaft, unten in der Nähe des Steges über dem Bach wohnenden Schmied ging ich eigentlich nicht gern, denn, wenn ich ihm auch gern bei seinem Hämmern und Pinken zusah und zuhörte, so verscheuchte auch dieser mich gewöhnlich bald dadurch, daß er mich fragte, ob ich nicht bald Soldat werden wolle. Wegen eines besonderen Umstandes ist auch ein Besuch des damaligen Domherrn v. Nostitz (späteren Kabinetts ministers Adolf v.Nostitz, auch als Dichter unter dem Namen Arthur o. Nordstern bekannt) noch in meinem Gedächtnisse geblieben. Dieser vornehme Besuch ward von meinen Eltern sogleich in die Gaststube komplimentiert. Auch ich erlaubte mir nachzugehen, da die Stubentüre noch offenstand, welche man im Eifer der Begrüßung des vornehmen Gastes zuzu machen vergessen hatte, und ich besinne mich noch, daß der Herr einen Frack anhatte. Wir Kinder aber, dir wir einmal das Sprichwort: „Hunde und Edelleute lassen die Türe offen" gehört hatten, freuten uns sehr, eine Bestätigung dieses Satzes mit eigenen Augen zu sehen. Ein anderer Besuch war minder vornehm; es sprachen nämlich eines Tages zwei italienische Bettelmönche bei uns vor. Sie wurden, weil der Mittag nahe war, zu Tische behalten und wir speisten damals, wie ich noch sehr gut weiß, geschmorte Linsen, was den Herren Paters eben recht war, da es just an einem Freitage traf, wo sie den Fasttag halten mußten. Auch kam in Jonsdorf ein- oder einigemal der Vetter Cammerhof aus Königshain bei Görlitz zu uns. Dieser, ein verwitterter Kandidat der Theologie, war ein Cousin der Mama. Er ging ziemlich handwerksburschenartig in einem langen, um ihn schlotternden blauen Oberrocke, trug vorn die Haare bis an den Wirbel ganz kurz verschnitten (L la virZette) und hinten hatte er solche, anstatt daß andere Kandidaten, die keine Perücke trugen, sie in eine lockige Wulst unterwärts toupierten, ziemlich lang und ganz lose herumhängen; dennoch ging er etwas gepudert, und ich besinne mich noch, daß er sich statt einer Puder quaste von Schwanenmiezels nur eines Werkpföckchens zum Pudern seiner dunkeln Haare bediente. Er schwa dronierte gern viel und erzählte viel von sich, soll aber wie Münchhausen über die Maßen gelogen haben. Später wurde mir ein von ihm fabrizierter Vers be kannt, den er für sein Symbolum ausgegeben hat; dieser ist konfus genug, daß ich ihn nur hierher zu setzen brauche, um den Autor damit zu schildern. Dieser Vers, ein Akrostichon, hieß: Ledern gleich, an allen Orten, Hcher nicht verzagt; lVlittelmäßig nur in Worten, blutig wird's gewagt! Linern ist sein Los beschieden ktchttg auch manchmal; Heilig, heilig tönt hienieden Oft in vieler Zahl. Lürstenbrüder sind vereint, ^Vohl dem, der es redlich meint! Dieser Herr Vetter Cammerhof oder Kammerhof hat in seinen jüngeren Jahren viel gepredigt, aber oft improvi satorisch und extravagant, daß ihn kein ?Ä8tor loci end lich mehr auf die Kanzel ließ. Da er keinen Verdienst hatte und sein kleines väterliches Erbteil bald los gewor-