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-Nr. 10 GberlarMsr Hsimatzeltung 125 mit seinem langen Stecken ausschreitend die breiten Stufen von der Haustllre auf die Straße hinaus eilte. Besser kam ein anderer Bettler weg, der allerdings ein verborgenes Kunstgenie sein mochte. Sein guter Stern führte ihn um die Mittagszeit in unser Haus, als eben Gäste bei uns waren und in der obern Stube getafelt wurde. Wir speisten eben schöne Potage, als wir Kinder vom Essen weg herunter gerufen wurden, wo wir was rares sehen sollten. Und wir fanden unten einen, wenn ich nicht irre, ziemlich jungen Mann, welcher zu unserm nicht geringen Ergötzen aus Papier mit einer Schere die zierlichsten Hirsche und andere Tiere ausschnitt und diesen Tierchen dann behutsam die Füßchen auseinander bog, daß sie selbständig stehen und wenn man auf den Tisch trommelte, sacht hin und her marschieren konnten. Dieser industriöse Bettler wurde allerdings zu seiner nicht geringen Freude mit einem Teller schöner Potage regaliert und wir freuten uns noch lange seiner niedlichen Kunst leistungen, und bei ihm ging das Sprüchlein in Erfüllung, das in einem unserer Kinderbücher, „Vater Roderich" be titelt, aufgeführt war: Wer etwas lernt, den hält man wert, Den Ungeschickten Niemand begehrt. Sehr wichtig für uns Kinder war es auch einmal, eine Zigeunerfamilie zu beobachten, die ihre Schmiedekünste oder wenigstens ihre Kesselflickerei ausbot und meinen Eltern nicht eher Ruhe ließ, bis sie ihnen einige eiserne Gerätschaften auszubessern überließen. Sie schlugen ihre kleine Feldschmiede vor der Scheune auf und kläpperten und pinkten nach dem Takte. Wir Kinder wichen natürlich nicht vom Platze, um zuzuschauen, und ich sehe es noch heute vor Augen, wie ein alter Kerl eine zu reparierende Kohl pfanne (die man im Sommer zur Warmhaltung des Kaffees benutzte) an den Arm des Scheunentores steckte und tapfer darauf loshämmerte und sie, damit sie sich nicht drehte, von seinem Buben festhalten ließ, wobei er ihm immer zuries: „hielt, Sessel, hielt!" (d. h. halte), und es wurden diese Worte auf lange Zeit unser Stich, und Sprichwort. Einen ungestörten Spielplatz hatten wir im Sommer auch auf dem kleinen Sälchen vor der Gaststube, wo ich manchmal meine kleinen hölzernen Tiere, von denen mir besonders noch ein kleiner blauer Elefant vor den Gedanken steht, auf einem dortstehenden großen Kasten aufmarschieren ließ, und ich erinnere mich noch ganz deutlich, daß ich vom Spielen plötzlich einmal abgerufen wurde, weil auf dem Gromsteine (Hieronymus-Felsen) Störche zu sehen seien. Ich liefstracks hinunter hinters Haus und sah dort oben aller dings große langbeinige schlanke Vögel herumspazieren Zu meiner Unterhaltung in der Stube, besonders bei schlechter Jahreszeit, gehörte namentlich auch das Bunt ausmalen von Bildern, was mir immer eine sehr liebe Be schäftigung war; aber ich mußte gewöhnlich einen doppelten Mangel empfinden. Zuerst fehlte es an den notwendigen Requisiten dazu, nämlich an Farbe und Pinsel. Nun wurde zwar das Mög liche durch die häusliche Industrie der Mama geleistet. Safran aus dem Gewllrzkästchen gab uns eine schöne gelbe und beinahe goldene Farbe und Berlinerblau und Bläue vom Waschwesen gab zweierlei blau, und Tinte, schwarze und rote, gab wieder zwei Farben, und wenn einmal eine Karpfe ihr Leben lassen mußte, so bekamen wir ihre Galle verehrt, um damit grün zu malen; außerdem mußte blau und gelb zusammengemischt uns das grün gewähren. Ein paar Pinsel aber wurden durch ein paar Hühnerfeder spulen hergestellt, wozu wir aber selbst Haare lassen mußten, damit die Pinsel vollständig wurden. Not ist ja bekanntlich immer erfinderisch. Erst der heilige Christ brachte uns einmal wirklicheFarben- kästchen; und es war eine große Wonne; das flache, dunkel farbene, aber lichtgrünpunktierte Holzkästchen aufzuschieben und darinnen wohl eine ganze Mandel Flußmuscheln zu finden, die jede mit einer bunten Saft- oder Erdfarbe glänzend bestrichen war. Ja in zwei ganz kleinen Muscheln gab es sogar ein Kleckschen Gold und ein dito Silber, die sich aber immer nicht wollten auflösen lassen. Waren nun auch die Malmittel zur Hand, so fehlte es wieder an Gegenständen zum Ausmalen, denn selbst welche zu entwerfen, waren wir noch zu ungeschickt und wenn uns auch der Papa manchmal ein sogenanntes Männel hin zeichnete, so geschah dies doch nur selten und war allzuschnell verarbeitet. Bilder zum Ausmalen für Kinder gab es da mals noch nicht, diese sind namentlich erst seit Erfindung des Steindruckes häufig und billig zu erlangen. Die damaligen Kinderbtlder bestanden meistens nur in erbärmlichen Holz schnitten, die schon so bunt geklext waren wie möglich und gab es irgend noch welche, die unkoloriert waren, so waren es Abdrücke von Holzschnitten, welche steife Soldateska darstellten. Diese nun malten wir in beliebigen phantasti schen Uniformen, so bunt wie möglich, aus. Zur Winterszeit waren wir gewöhnlich wie im Schnee vergraben, indem damals, wo die dortigen Gebirgshöhen noch alle mit hohem Holze bestanden waren, das Wehwstter einen besonderen Zug um den Ionsberg nahm, so daß nicht nur fast überall sehr hoher Schnee lag, sondern vorzüglich zwischen der Kirche und der Schule sich alle Winter hohe Windwehen massenhaft und namentlich für jedes Fuhr werk undurchdringlich auftürmten, welche zwar, um die Passage auf der Dorfstraße offen zu erhalten, mühsam durch gearbeitet und weggeschaufelt wurden, sich aber gleich der lernäischen Hyder sehr bald und oft in vermehrter Masse wieder erneuten. Unser Lustgarten war oft so hoch mit Schnee verweht, daß, zumal auf der einen Seite nur noch die Spitzen der Bäume herausragten und dann von den armen hungrigen Hasen benaget wurden und doch wollte dies später nie mand glauben, wenn im Frühjahre die Laumgipfel sich verunglimpft zeiten, daß die Hasen dies bewirkt hätten. Ja, es gab einen Winkel zwischen der nördlichen Kirch hofmauer und dem benachbarten Spritzenhause, wo noch lange nach Pfingsten und manchmal noch am Johannis tage eine durch den aufgewirbelten Staub dunkel gewor dene Schneemasse lag, und es ist vorgekommen, daß der Jonsdorfer sogenannte Biersührer auf seiner Schubkarre solchen Schnee in einer großen Schachtel mit in die Stadt genommen und ihn dort zum großen Gaudium der Gassen jungen auf der Webergasse ausgeschüttet hat. Fm Winter fuhren bei den gehäuften Schneemassen die Schlitten gewöhnlich sozusagen über unserem Horizonte, das heißt über unseren tief liegenden Wohnstubenfenstern vorbei und konnten eigentlich nur aus dem obern Stock werke des Pfarrhauses beobachtet werden. Auch wir hatten einen alten grünen Schlitten, aus dem hinten das v. Hartigscho Wappen mit seinen Adlern großartig an gemalt war; es konnte aber nur selten von diesem Schlitten Gebrauch gemocht w"rden, da es an Pferden am Orte fehlte. (Fortsetzung folgt.)