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Holze etwas schnitzte, oder mir kleine Stückchen Weidenholz durch wiederholtes Daraufklopfen so zurichtete, daß die Schale zum Schieben ging und durch Anbringung von Luft löchern ein Pfeifchen daraus wurde, oder mir auch aus Röhrchen von Gänseknochen Pfeifchen fabrizierte und mir sogar endlich ein aus Blei gegossenes sogenanntes Meisen- Pfeifchen verehrte. Interessant war es mir allemal zu sehen, daß sich die Dorfjungen bunte Sterne oder eine Art Rosetten von Pflaumen- oder Marunken-Schalen an die innern Fenster scheiben geklebt hatten, daß sie auswendig glänzend zu sehen waren und das Fenster zierten; oder wenn sie im Winter große Kupferkreuzer in das Fenster-Eis drückten, daß blanke, silbirne Medaillen darin zu glänzen schienen. Pachters Friedel hatte sich sogar die Stundenzahlen in den Fensterrahmen eingekerbt, die nach dem Stande der Sonne von dem Schatten des mittlen Fensterstocks bestrichen wurden, wodurch er eine natürliche oder wenigstens ungekünstelte und kostenfreie Sonnenuhr erlangt hatte. Wenn eben nichts besonderes im Hause vorging, oder durch einen Besuch eine Veränderung im gewöhnlichen Familienleben herbeigeführt wurde, war es uns schon eine Unterhaltung, wenn an Sonn- und Feiertagen die Kirch leute in ihrem mannigfachen ländlichen Putze, in dem sie ganz anders aussahen als in ihrem Alltags-Negligee, am Pfarrhause vorbei in die Kirche gingen oder herauskamen; die Weiber mit ihren vielen dicken Röcken von allen Farben und die Männer mit ihren dreieckigen Hütchen oder mit ihren Pudelmützen mit bunten Schleifchen, und mit beson derer Verwunderung sahen wir einige alte Jungfern kleine Häubchen mit grad aufstrebenden faltenreichen getutelten Streifen, die einem Heiligenscheine auf katholischen Bildern nicht unähnlich waren, tragen, oder wie manche ganz alte Männer unter ihrem Oberrocke einen sogenannten Kaftan anhatten, nämlich einen engen kurzen, bis an die Knie reichenden und ganz zugeknöpften Rock. Im Frühjahre trugen die Männer oft eine gelbe Narzisse, einen sogenannten Märzenbecher im Munde und die Frauen oder Mädchen zur Frühjahrs- und Sommerszeit ein schönes buntes Blumensträuchel, z. B. ein Schaubensträuchel steif gebunden mit einem breiten zurückgebogenen Schaubenblatte, und es kam auch oft vor, daß sie uns Kindern, wenn wir ihnen in den Weg kamen, beim Herausgehen aus der Kirche, ein Sträußlein schenkten. Ein wichtiges Ereignis war es uns, wenn wir eben vor der Haustüre waren und ein Kind mit schöner bunter Decke behangen in die Taufe getragen wurde und wenn sich dabei die einherschreitenden Gevatterinnen in ihren dicken vielen und ziemlich kurzen Röcken mit einem gewissen Anstande links und rechts schwenkten, oder wenn ein Brautzug an kam und die Braut in einem faltenreich geschößelten schwar zen Tuchkleide oder faltigen Tuchrocke, der sich glockenartig um sie schwenkte, mit aufgewichsten steiffrisierten und be puderten Haaren, in denen ein glänzender Flitterkranz flinkerte und zitterte, einher stieg, wo dann meistens das sonnenverbrannte, braune Gesicht mit der glänzenden Stirne von dem bepuderten oder bemehlten Haarputze gewaltig abstach. Der Bräutigam, welcher der Braut zur Rechten ging, womöglich in schwarzen kurzen Manchesterhosen, trug einen dreieckigen Hut auf dem Kopfe und hatte am Aufschläge des linken Aermels einen Rosmarinzweig stecken. Dicht vor den Füßen des Brautpaares, sodaß sie nicht selten von diesem Fersengeld bekamen, gingen ein vaar so genannte Züchtjunqfern, nämlich ein paar kleine Mädchen so bunt als möglich herausgeputzt und mit ebensolchen weißen Frisuren flitternd und flinkernd herausgewichst wie die Braut. In der Kirche fand der Bräutigam mit seiner Begleitung seinen Platz in einem Stande rechts beim Altar und die Braut mit ihrer Begleitung links vom Altar. Wenn der Trauaktus beginnen sollte^ gab der ebenfalls mit einem Rosmarinzweiqe auf dem Arme geschmückte Hochzeitskitter dem Bräutigam ein Zeichen und dieser kam nun aus seinem Stande heraus, ging an den Stand der Braut heran, machte der Braut einen unbeholfenen linkischen Knix oder Diener und führte sie zum Altäre. Wurde irgend ein Kind begraben, so erhielt dies gewöhn lich von den Paten eine wunderschöne Krone geschenkt, die, wenn ich mich noch recht erinnere, von grünem Papier oder mit grüner Seide überzogen und mit Silbertressen verziert war und an der Silberlitze und Silberflittern zitterten. Diese Kronen und Leichenzieraten wurden dann auf dem Grabe an einem schwarzen Holzkreuze auf die Dauer be festigt und hingen dort so lange, als sie Wind und Wetter nicht verdarb oder abriß. Unser Tummelplatz war überhaupt sehr oft auf dem Kirchhofe und in der Kirche selbst und wir ließen es uns sehr angelegen sein, wenn die Kirchtüre offen stand, entweder die grotesk gemalten biblischen Bilder an den Emporkirchen durchzumustern oder in den leeren Weiberständen nach ver loren gegangenen Stecknadeln zu suchen; die Mama meinte aber immer, wir brächten aus diesen Weiberständen mehr Flöhe als Stecknadeln mit nach Hause. Außerdem diente es zu unserer Belustigung, auf dem Kirchhofe von einem Grabe auf das andere zu springen und uns die mit goldnen Palm zweigen oder mit einer goldnen Sonne verzierten Leichen steine und Postamente anzusehen und sie zu mustern. Ein besonderes Gaudium war es, an den großen breiten hölzer nen oder in ziselierter Manier gearbeiteten, umfänglichen eisernen Grabkreuzen die Türchen des in der Mitte befind lichen Schränkchens von schwarzem Eisenblech, welches ge wöhnlich buchartig ein oder mehrere Blätter von Blech zum Aufklappen enthielt, die mit weißer oder mit Goldschrift versehen waren, aufzumachen und dieses Album oder viel mehr Nigrum aufzublättern, aus welchem dann gewöhnlich eine Anzahl von Ohrwürmern herauspurzelte. Es war zudem eine, dem Kirchhofe eigentümliche Musik, wenn die mit Blei durchzogenen alten Scheiben der hohen Kirchen fenster fast ununterbrochen im Winde bebten oder wenn der Luftzug sanft über die Gräber dahinglitt, sodaß die auf den Kindergräbern zur Erinnerung aufbewahrten silberverzierten Totenkronen mit ihren steifen Bändern oder geschnörkelten Vapierzieraten auf eine eigentümliche Weise fortwährend flatterten, knitterten und knatterten. Das größte und damals neueste steinerne Monument auf dem Kirchhofe war das an unsere Gartenwand angebaute Grabmal der Försterfamilie Hofmann, welches als Emblem ein goldnes Hirschlein zeigte, das in einem grünen Felde mit steifgespreizten Beinen dastand und eine kleine Strahlen sonne anblinzte. Es stand dieses Monument aber schon weit hinten auf dem Kirchhofe, wo ich mich nicht gern allein hin verlor, denn dahinten sauste der Wind gewöhnlich noch viel unheimlicher mit den hohen Bogenfenstern der Kirche und es war dort hinter der Kircke kein Ausgang vom Kirchhofe, sodaß man wie von aller Kommunikation mit den Leben-