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Sonntag, 4. März (Lenzing) 1923 Nr. 5 MW jj 4. Jahrgang Blätter für L?eimetkunöe -N- IsITIIll WWIMIÜ Schriftleitung und Geschäftsstelle iri Reichenau, Sa. Fernsprecher Nr. 21S Gefct)icl)te, ^Kunft, Litepatup' Druchu.Verlag.ÄIwlnMarx (Inst. Otto Süülausi'tzer Oiachrtchten, NeiölienQu/Sa. Unbereclitiyter NachA^urS verboten Zittau vor seiner Gründung Bon Alexander Haase, Oybin das heißt „Getreide", so wurde und wird wohl noch heute der Ursprung des Namens Zittau in der Schule erklärt. Diese Namendeutung ist Gemeingut geworden und nur dann und wann beschäftigt sich ein geschichtserfahrener Kritikus mitderFrage, warum eine offensichtlich deutsche Stadtgründung einen tschechischen Namen erhalten hat. Heute, wo der Kampf um Sein oder Nichtsein deutscher Art bis an die Grenzen der Lausitz getragen wurde, ist für jeden Deutschen, der mit der Heimalscholle verwachsen ist, auch die Zeit gekommen, Stein um Stein herbeizutragen, um — wie in uralter Zeit — einen Schutzwall auszurichten gegen die wieder anschwel lende Slawenflut. So groß auch die Verdienste von Männern, wie Johann von Guben, Balbin, Dresser, Großer, Carpzow, Peschek, Haupt, Morawek, Moschkau und anderen um die Heimaterforschung für die Zeit nach 1350 gewesen sind, für die Jahrhunderte vor dieser Zeit haben sie meist unvollständige, vor allem aber verwirrende Beiträge geleistet. Der Grund hierfür ist einesteils darin zu suchen, daß sie sich nur recht mangelhafter Unterlagen bedienen konnten, daß sie zum andern Teil gaufremd und falsch berichtet waren oder daß sie als slawische Abkömmlinge eine unbewußte innere geistige Hinnei gung zu unseren wendischen und tschechischen Nachbarn besaßen, die ihren sonst so klaren Blick trübte. Heute ist es wohl besser geworden dank dem Fortschreiten der Wissenschaft und der hingebenden Arbeit noch lebender Heimat forscher, eins ist aber immer noch geblieben, die Mär von der slawischen Herkunft des Namens Zittau. — Dafür, daß Zittau von „Zito" abstammen soll, haben die ver schiedenen Heimatforscher folgende Beweise angeführt: 1. der älteste Chronist Zittaus, der Stadtschreiber Johannes aus Guben (1365—1381), der in seinen Auslassungen über die sogenannte Stadtgründung (eigentlich Mauerbau) durch den Böhmenkönig Ottokar (l255) sagt: „ und prüfete und merkte die fruchtbare Gelegenheit dieser Stadt und satzt aus diese Stadt ", 2. das älteste Wappen Zittaus, das eine Korngarbe darstellen soll, 3. der bedeutende Getreideumschlag, den Zittau nachweisbar im Mittelalter von Böhmen nach Schlesien und Branden burg vermittelte, weshalb es den Namen „Zito --- Getreide" erhalten habe, 4. der Umstand, daß man in Zittau noch im 18. Jahrhundert unter großer Beteiligung Gottesdienstin böhmischer Sprache durch einen Tschechen (Dolansky) abhielt, ein Beweis dafür, daß Zittau ursprünglich slawisch bevölkert gewesen und nur durch den überhandnehmenden deutschen Zuzug nach und nach germanisiert worden sei. Sehen wir uns diese Beweise einmal näher an. Als Johann von Guben als erster das Amt eines Stadtschrei, bers (1363) antrat, da wurde ihm in seiner Anstellungsurkunde zur Pflicht gemacht, „ daß er aus mündlichen Berichten der Attesten und aus den Stadtbüchern alle vorkommenden Begeben- heilen in ein besonderes Buch Zusammentragen solle, daraus die Nachkommen erkennen und mit Lust lesen möchten, mit was für großer Mühe und Arbeit die Stadt zu einem Aufnehmen gedie hen sei " Er war also bei dieser Aufgabe auf mündliche Berichte und auf die erst 1350 angelegtem anscheinend höchst mangelhaft geführten Stadtbücher angewiesen. Wenn man das, was uns Johann aus Grund dieser Unterlagen hinterlassen hat, kritisch betrachtet, so fühlt man förmlich heraus, daß diese Berichte der Altesten, die noch dazu nur reichlich hundert Jahre zurückgehen, in der Hauptsache Erzeugnisse einer recht un zulänglich entwickelten Phantasie sind. Sie werden von der zweimaligen Anwesenheit König Ottokars anläßlich der Erhebung Zittaus zur königlichen Stadt derart überwuchert, daß all da» andere, viel wichtigere — frühere Bewohner, Namengebung, frühere rechtliche Verhältnisse, Landverteilung, Bauplan, Ein richtung der Behörden usw. — gänzlich vergessen wird. Was sind auch mündliche Überlieferungen? Mindestens 90 vom Hundert sämtlicher Menschen würden in die peinlichste Verlegenheit geraten, wenn sie eine wahrheitsgetreue Schilderung der wichtigsten Ereignisse im Leben ihrer Urgroßeltern abgeben sollten. — Daß das damals nicht anders war, erkennt man am besten aus dem Vorworte, das der Rat dem erstepZittauer Stadtbuche 1350, also nur 13 Jahre vor Gubens Amtsantritt, mit auf den Lebens weg gab. Das lautet: „Wenn des Menschen Gedächtnüß zurgenglich ist von Nature, wenn was her weiß, das wirtvergessen, aber von Angesicht der Schlifft, und vom Gezeugniß frommer Leute wird es wieder zum Gedächtniß bracht. Darum so haben wir Schöppen mit Radte der witzigisten diß kegenwärlige Buch ge- zeuget zu Nutz und zu Ehren der Stadt, darnach Uns und allen Unseren Nachkömelingen, reichen, und armen zu vormeiden Zank und Zweyung, die wachsen möchten von Sachen, die vorgessen werden, und wollen das fürbaß mehr zu Rechte haben, daß alle Sache, die mit Radte und Wissen der Schöppen, d>e nun sind, oder zu Zeiten zukünfflig werden in dies kegenwärtige Buch geschrieben und geleget wird " Man vergaß also damals genau so wie heute und das, was man dem neuen Sladlschreiber erzählte, konnte von ihm als