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Sonntag, den 5. März (Lenzing) 1922 Nr. 5 3. Jahrgang MW Grsch?>'n< allen 14 Taqe A^nei'/aqs' Blatter fün L?eimatkunöe^ Scttristicftung und Geschäftsstelle in Reichenau,Sa. I*ennspnecsterNi-.2iS Gescl)ict)te,< ^Ku nst.Literatu^ Druck* u.Verlog:AlwinMarz- (Inh. Otto Mai^) Sudlauftl!zer Rachrichien,Reichenau^Sa. Unber-echiiqtier' Nacti-eueS verboten Die Einführung der Reformation in Zittau Bon ?. Th- Bechler-Hcrrnhut Dir Wiege der Reformation im Herzen Deutschlands und der schmucke Lausitzer Grenzort nach dem noch heute vielfach katholischen Böhmen hin — Wittenberg und Zittau ätte ich im Jahre 1892, als ich in Wittenberg der Einweihung der restaurierten Schloßkirche bei wohnte, die nahen Beziehungen schon gekannt, die zwischen beiden Städten in der Glanzzeit Wittenbergs bestanden haben, ich hätte schon da mals in den Unioersitätsakten die diesbezüglichen Briese Luthers und Melanchthons eingesehen, um dem nachzu spüren, was sie von Nesen und Heidenreich, auch von denen von Dornspach zu sagen haben, denn diese sind es, die für die kulturelle, speziell kirchliche Entwicklung unserer schönen Lausitz von entscheidender Bedeutung waren; an diese Namen knüpft sich die Einführung der Reformation in Zittau. Versetzen wir uns nach Wittenberg und zwar ins Jahr 1524. Da treffen wir auf einem Gange durch Wiesen und Feld an der Elbe entlang Melanchthon mit Dr. Justus Ionas und einem früheren Mönch Mantel, der im Oybiner Kloster Luthers Schriften studiert hatte und nebenbei im Besitz eines kristallenen Bechers von Luther war. Zu ihnen stößt ein Dreißigjähriger, Wilhelm Nesen, ein Hesse, der durch Erasmus in die Stellung eines Professors der alten Sprachen, der Philosophie und Geographie in Löwen aufgerückt war, wegen Feindschaft der Katholiken 1520 nach Basel verzog, dann aber der berühmte Gründer des Gymnasiums in Frankfurt a. M. und ein eifriger Förderer der Reformation dort wurde, bis er, der Freund Melanchthons, 1523 eine Professur in Wittenberg erhielt. Wie ergeben er der neuen Lehre war, zeigt der Umstand, daß er mit seinem Bruder Konrad, der zur Zeit in Paris Jura studierte, einen Bund gemacht hatte, „fest und treu bis zum Tode zu Gott und Christo zu hatten auf Grund der von Luther erschlossenen neuen Lehre." Beide wollten, „jeder in seinem Berufe, Menschen angeln, aus daß das reine Evangelium Platz greife und die römische Finsternis mehr und mehr verdrängt werde." Und wie nahe sie dem Kreis der Reformatoren standen, wurde am folgenden Tage wieder einmal klar. Da trug man eine Bahre in Nesens Wohnung. Niemand anders als der Professor selbst lag darauf gebettet. Er hatte noch in später Stunde in der Elbe ein Bad genommen, war aber abgetrieben und ertrunken. Da fiel Melanchthon an seinem Lager nieder und schluchzte unaufhörlich. Luther aber faltete die Hände und rief mit bebenden Lippen: „O, daß ich Tote auferwecken könnte; dann solltest du, mein Nesen, wahrlich der erste sein!" Luther nahm die Schlüssel der Wohnung an sich, machte Anzeige vom Tode und hielt die Begräbnis rede. Infolge dieses Todesfalles siedelte im Januar 1525 der für uns bedeutsame Konrad Nesen von Paris nach Witten- berg über. Wie freundlich empfingen auch diesen Luther und Melanchthon! Sie ließen Wilhelms Zimmer für Kon- rad Heizen und reinigen; ja Luther überließ ihm gern jenen kunstvollen Pokal, den er einst Wilhelm dediziert hatte. — Konrads liebenswürdiger Charakter wies manche Züge vom Wesen Wilhelms auf, doch war Konrad bestimmter. Dabei hatte der seelenoolle Ausdruck seiner Augen etwas bezau berndes. Kein Wunder, daß er in seiner späteren öffentlichen Stellung einen großen Einfluß ausübte. In Wittenberg lag ihm zunächst daran, sich wissenschaftlich zu vervollkommnen. In den juristischen und philosophischen Hörsälen sammelte er noch, was ihm zur Ablegung des Doktoratsexamens und der Lizentiaten-Prüfung nötig schien. Und was bot ihm alles der geistige Verkehr mit den Reformatoren! Über rascht von den Schätzen des Wissens und dem hohen Geistes slug, den er hier in Wittenberg fand, erklärte er, daß er ähnliches noch nirgends getroffen. Und wie erweiterte seinen Gesichtskreis die Erkenntnis, daß er in Wittenberg im Mittelpunkt damaliger deutscher Geschichte stand! Jenes Jahr 1525 brachte ja große Ereignisse: 1. den Aufstand der Bauern in Süddeutschland, dessen Schuld die Päpstlichen Luthern in die Schuhe schoben; 2. im Mai den Tod des Kurfürsten Friedrich des Weisen, der in der Wittenberger Schloßkirche zur letzten Ruhe gebeitet ward; und 3. wenige Wochen darauf Luthers Verheiratung mit Käte von Bora, die sich kurz zuvor in einem Fasse aus dem Kloster Nimbschen bei Grimma hatte entführen lassen. An Luthers Hochzeit durste Konrad teilnehmen, ja Luthers Haus wurde ihm zum unvergeßlichen Heim, an das er Zeit seines Lebens als an eine Quelle christlicher Lebensweisheit dankbar zurückdachte, umso mehr, als ihm vergönnt war, des Reformators Tisch reden auszuzeichnen.