Volltext Seite (XML)
Eine Sommerfahrt in die niederlausitzer Braunkohlenheide Von Otto Flösse!, Bautzen ^D^ie Entfernung von Bautzen nordwärts bis zur preußischen WUZ Grenze ist eigentlich gering, und wenn man mit deck Zuge die Strecke zurücklegt, ist man gar bald an der Stelle, wo Sachsen und Niederschlesien einander begegnen. Und doch, welch verschiedenartige Landschaftsbilder bieten sich dem Auge auf so engem Raume dar! Da sind zuerst die Höhen des Lausitzer Gebirges (Czorneboh, Mönchswalder Berg, Drohmberg, Baltenberg), die mit ihren grünen Wäldern in die vieltürmige Stadt herein grüßen. Gleich hinter Bautzen aber wird das Land eben. Der Fluß, der eben noch, in engem Felsenbette eingekeilt, über mächtige Steine schäumend ins Tal stürzte, zieht hier in breiter, wiesenumsäumter Bahn behäbig seinen Weg. In die Ebene teilen sich Wiesen und Felder, kaum daß hier und da noch ein Busch zu sehen ist. An Stelle der geschäftigen Industriedörfer des Oberlandes schauen hier stille, wohlhabende Bauerndörfer aus Korn und Klee ins Land hinein, und die stattlichen Schlösser der Gutsherren reden eine deutliche Sprache von der Fruchtbar keit der Scholle. Nicht lange, so ändert sich abermals das Bild. Kreuz und quer wird die Ebene durchzogen von schmalen grünen Streifen aus Eichen, Erlen, Birken und Haselsträuchern. Da hinter blitzen ab und zu blanke Wasserflächen auf. Wir sind im Lausitzer Seengebiet. Wohin wir uns auch wenden, im Norden, im Westen und im Osten: überall blinken uns die Hellen, blauen Augen freundlich an. Bald liegen sie spiegelblank im Sonnen schein, bald sind sie vollständig zugewachsen in Schilf und Schach telhalm, sodaß kaum etwas vom Wasser zu erkennen ist, bald sind sie gar entwässert und zeigen uns ihre graue, verschlammte und wieder eingetrocknete Sohle. Man läßt die Teiche hier reihum nach einer Reihe von Jahren eine Zeitlang trocken liegen, sei es, um das Schilf zu gewinnen, das eine willkommene Stallstreu liefert, in neuster Zeit allerdings auch zum Schnapsbrennen ver wendet wird — im Kriege füllte es die „Stroh"säcke unsrer Feld grauen und der Kriegsgefangenen—, sei es, daß man die Gräben vertiefen will, welche den Boden durchziehen, sei es endlich, daß man den Boden mit einer neuen Vegetation sich überziehen läßt, die dann eine willkommene Bereicherung der Fischnahrung dar stellt. Denn hier ist das Hauptgebiet der Lausitzer Fischzucht. Große und kleine, lange und runde Teiche wechseln miteinander ab. Zwischen ihnen liegen hohe, von Baum- und Strauchwerk umsäumte Dämme, so schmal, daß gerade der Fußweg auf ihnen Platz hat. Aus ihnen wandern wir hin, immer zwischen Seen. Wir können stundenlang gehen und kommen zwischen den Seen nicht heraus, nur daß zuweilen auf der einen Seite des Dammes statt des Teiches eine saftige, kraftstrotzende Wiese liegt, anderen Rande das Heidebächleln träge hinschleicht. Nichts als Wasser und Buschwerk und Buschwerk und Wasser, das ist eine eintönige Gegend, zumal die Büsche den Blick in engem Kreise halten, der sonst frei über die weite Ebene schweifen könnte. Man begegnet keinem Menschen, man sieht weder Haus noch Hof. Dafür quakt und quarrt, pseift und singt es in den Teichen. Wer Sinn für die Natur des Seengebietes hat, der vermag die Sprache zu deuten, die tausendstimmig und tausendgestaltig an unser Ohr dringt: dort streichen Wasservögel über den blanken Spiegel und kräuseln die blanke Fläche mit seinen Wellen und Wirbeln. Oben ziehen Wildenten durch die freien Lüfte. Da steht in hohem Schilf der Storch und schaut — unverwandt auf einem Beine ausharrend — verwundert uns Fremdlingen entgegen, die hier in sein Reich eindringen. Dann aber zeigt sich eine Landschaft, wie man sie gegensätzlicher sich kaum zu denken vermag. Wo dort sich Seen dehnten, streckt sich hier dürrer Dünensand. Nur die Einsamkeit ist geblieben, vielleicht, daß es noch einsamer geworden ist, denn die Stimmen aus dem Wasser schweigen. Wieder können wir stundenlang gehen: überall Sand, Saud, Sand. Er ist glühend heiß. Die Sommersonne hat ihn verbrannt. Eine dürftige Schicht Pflanzen, halb Moos, halb Flechte, überzieht ihn da und dort. Sie prasselt unter unseren Füßen, als ob wir über versengies Papier schritten. Selbst die Kiefer wird hier nur wenig über mannshoch, so arm ist der Boden. Schwindsüchtige Stümpfe sind es, die hier als Kiefern ein ärmliches Dasein fristen, nicht einmal Schatten gegen den glühenden Strahl der Mittagssonne vermögen sie zu spenden. Wir wandern stumpf und träge über den Flugsand hin. Nichts bietet die Natur dem Auge, das uns fesseln könnte. Die zahl reichen kleinen Trichter im Sande, welche die Anwesenheit des Ameisenlöwen verraten, sind das Einzige, was uns auf einige Zeit unterhält. Bald aber schenken wir auch ihnen nicht mehr Aufmerksamkeit, denn auch sie kommen tausendhäufig vor. Nun stapfen wir wieder stumpf und still durch den tiefen, glühenden Sand, gleich der Karawane in der Wüste. Plötzlich tut sich eine Schneise auf: In weiter Entfernung sehen wir im Dunst von Sand, Sonne, Dampf, Rauch und Kohlenstaub auf weitem öden Platze eins jener Industriewerke, wie sie die letzten zehn Jahre im Ziegelrohbau hier mitten in der Heide aufgeführt hat, eine Grube der großen, niederlausitzer Braunkohlengesellschaften „Ilse" und „Eintracht". Der Anblick belebt uns neu, und wir halten darauf zu wie der Seefahrer, der endlich Land sichtet. Bald treten wir aus den Kiefern heraus. Tausende von Stöcken im grauen Sande zeigen, daß das Werk hier Wald geschlagen hat, um aus seinem Boden Kohlen heraus zu wühlen. Vier stöckige Mauern, deren Ziegel ebenso verrußt sind wie ihre Fenster, ein mächtiger, rauchender Schornstein, eine hohe Halde mit weißen, in der Sonne blendenden Wänden: das ist das Bild, das wir flüchtig wahrnehmen. Es erinnert uns lebhaft an die Darstellungen von chilenischen Salpeterwerken, wie wir sie wohl schon einmal im Lichtbild gesehen haben. In der Tat hindert uns n'chts daran zu denken, daß wir uns mitten in Amerika befinden, im Gegenteil, die Einduicke, die sich uns auf Schritt und Tritt bieten, bestärken uns nur noch darin, und überhaupt: die ganze Industrialisierung des Heidegebiets in den letzten Jahren ist echter, rechter Amerikanismus. Da sind die zahllosen Holzbaracken, die auf den Sand hin gestellt sind, als wären sie aus der Spielzeugschachtel genommen. Es sind Schlafstätten für die Arbeiter des Werkes. Nüchtern wie von außen sind sie auch im Innern. Zwei, drei Pritschen, über und nebeneinander, ein Tisch, drei, vier Schemel daran, ein Ofen mit dem üblichen Haufen Briketts davor: damit haben wir die Einrichtung schon aufgezählt. Die Bretterwände sind nackt, und nur die Balken, die quer drüber hin lausen und mit Eisen klammern Dach und „Mauer" Zusammenhalten, gliedern ihre öden Flächen. Der Ösen wird geheizt, auch in der Hitze der Hundstage, nicht nur, weil man bier an der Quelle der Kohlen schöpft (jeder Arbeiter erhält jährlich 60 Zentner Briketts für seine Familie, die zumeist fern in einem Bergdorfe des Ober landes wohnt, und für seinen Bedarf, soviel er benötigt, beides umsonst), sondern auch ind vor allen Dingen, weil sich die Ar beiter hier ihren Kaffee brauen und ihr Mittagessen kochen oder wärmen. Die meisten freilich gehen in die Kantine. Sie ist in einer Baracke für sich untergebracht. Wir überzeugen uns, daß man hier für 4 50 Mk. eine gute Suppe, wenig Fleisch und viel Kartoffeln, für l Mark eine Flasche Bier und für dasselbe Geld eine Tasse guten Bohnenkaffee erhält und daß man obendrein mit einer Aufmerksamkeit und Bereitwilligkeit bedient wird, wie dies vom befrackten Ober im Großstadthotel nicht besser geschehen kann. Neben uns auf der Holzbank sitzen einige Grubenarbeiter überm Mittagsmahl. Einige vertreiben sich die Mittagspause mit Karamboulagen. Denn auch ein Billard hat Ausstellung ge funden. 1100 Arbeiter beschäftigt das Werk. Wir befinden uns in „Wenninghofs". Schließlich ist der Name ganz gleichgültig, ein Werk gleicht hier dem andern. In derNähe des Dorfes Schwarz kollm liegt die Grube „Erika", das jüngste Kind der „Ilse". Sie gibt 2000 Arbeitern ihr Brot, doch soll demnächst die Beleg schaft auf 3600 erhöht werden. Die Werke sind sämtlich Kriegs kinder, in den ersten Kriegsjahren erbaut und 1917/18 in Betrieb gesetzt. Ihre Einrichtungen entsprechen dem neuesten Stande der