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vt»nboten Sonntag, 24. ^iuli (Heuert) W21 I, 2. Jahrgang Nr. 15 Unbenechnyten Grschp»n< allen Lage K>eiV<rgs' Druci^ u.Verlag .Älwin Marz- (Inh. Otto Marx-) Südlaufttzev Nachrichten,Reichenau, Sa. Schristleitung und Geschäftsstelle in Reichenau, Sa. Fernsprecher Nr. 21A Gesck)ics)te, nst^itenatuv' Bl<Mer für^ L^eimatkunöe In Sachsens Ostmark Eine Heimatwanderung, ausgesiihrt vom 2.-6. Juni 1914 *) Bon Heinrich Berndt nter den Flüssen unsres Vaterlandes gibt es zwar eine ganze Menge, die ihre Quelle nicht im König reich Sachsen haben, sondern ihren Ursprung dem böhmischen Nachbarlande verdanken — geht es uns ja sogar mit unsrer lieben Elbe so; aber alle großen und kleinen Gewässer sind sich wenigstens darin einig, daß sie ihre Wassersülle früher oder später unserm Haupt flusse zuführen, bis auf einen, der außer der Reihe tanzt und dem östlichen Nachbargebiete der Oder dienstbar wird. Es ist die Lausitzer Neiße, die vom böhmischen Südhange des Isergebirges herkommt, dessen westliche Ausläufer um- fließt und an den beiden schönen Städten Zittau und Görlitz vorübergeht, von denen sie auch hin und wieder die Be nennung „Zittauer" oder „Görlitzer Neiße" erhalten hat. Nur wenige Stunden rauschen ihre Wellen über sächsischen Boden dahin, den sie bald wieder verläßt, um dann in Schlesiens Tieflandsfluren stracks nach Norden zu eilen. I. Den östlichsten Teil Sachsens samt seinen schlesischen und böhmischen Nachbargebieten kennen zu lernen, hatte unsre Großenhainer Wanderschar sich für die diesmaligen Pfingst- ferien vorgenommen. Am dritten Feiertag brachte uns eine in Bautzen zu kurzer Stadtbesichtigung unterbrochene Bahn fahrt während der Vormittagsstunden bis nach Görlitz, wo wir gerade mittags 12 Uhr anlangten. Der ziemlich große Görlitzer Bahnhof war im Umbau begriffen, und es dauerte eine ganze Weile, bis wir uns auf den schmalen und durch allerlei Baugerät beengten ober- und unterirdischen Gängen hindurchgewartet und vorwärtsgezwängt hatten. Der Bahnhof ist so angelegt, daß man beim Verlassen des selben in die breite Ausmündung der Hauptverkehrsader der Stadt, in die Berliner Straße, hineinblickt. Wir folgten ihrem Häuserzuge im gemütlichen Schlenderschritt, während „Elektrische" uns begegneten und überholten, er *) Kurz vor dem Ausbruch des Weltkrieges unternahmen zwei Dutzend wandergciibte Jungen und Mädels aus Großenhain unter Führung einiger Lehrer und einer Lehrerin eine fünftägige Wanderung, die von Görlitz dis nach Reichenberg an der Lausitzer Neiße ent lang führte. Der Reisebericht, dessen Tatsachen auch heute noch ihre Geltung besitzen, wurde unsrer Heimatzettung zum Abdruck überlassen. freuten uns an den großstädtischen Auslagen der zahlreichen Geschäftshäuser und rasteten dann auf dem Postplatz, der in seiner Mitte einen Zierbrunnen von ganz hervorragender Schönheit trägt. Lange Zeit fesselten uns seine hohen Marmor- bilder, seine glitzernden Wasserstrahlen und sein von klarer Flut erfülltes Becken, umgeben von prächtigen gärtnerischen Anlagen. Dann ging es hinüber zum Marienplatz mit seinem „dicken Turme", dem letzten Reste eines schon vor reichlich 4 Jahrhunderten niedergelegten Herzogsschlosses, das die allezeit freiheitlich gesinnten und wehrhaften Görlitzer Bürger nicht als Zwingburg in ihren Mauern duldeten. Da wir gern unser Reisegepäck los sein wollten, so strebten wir möglichst rasch nach unsrem Quartier zu kommen, das unten am Ufer der Neiße im Hirschwinkel in der städtischen Schülerherberge bestellt war. Der Görlitzer Stadtrat hatte dort eine feste Baracke aus der Fabrik von Christoph L Unmack in Niesky ausstellen lassen und 23 Betten darin ausgestellt, die aus 3 Räume verteilt waren. Das reichte gerade für unsre Wanderschar aus, da nur der Hauptführer mit dort zu schlafen beabsichtigte. Schnell waren die Lagerstätten ver teilt und die Rucksäcke abgelegt. Auf der vor der Baracke sich ausbreitenden Wiese entrollte sich nun ein buntes Bild echter Wandersröhlichkeit. Aus den Böden zweier umgestürzt daliegender Neißekähne wurden die Kocher aufgestellt und die Mittagssuppe bereitet. Nach einem Stündchen mar alles wieder zum Abmarsch fertig; der Schlüssel wurde bei der Herbergsverwalterin abgegeben und die Stunde der abend lichen Rückkehr festgesetzt. Nun konnten wir frei und ledig uns die alte schöne Sechsstadt nach Herzenslust besehen. Am Nikolaiturm vorüber ging es wieder nach dem Unter- markt zu, den wir vorhin nur flüchtig berührt hatten. Am wuchtigen Bau des neuen Rathauses, dessen Fenster reihen sich über einem pfeilerreichen Laubengang erheben, betrachteten wir die Wappen der Sechsstädte Görlitz, Lauban, Zittau, Löbau, Bautzen und Kamenz, die dereinst die Not des Raubritterunwesens zu einem festgefügten Bunde zu- sammenschloß. Dieser Bund hat alle Wandlungen der seit- dem oorübergerauschten Jahrhunderte überdauert, selbst die Trennung der Oberlausitz in einen preußischen und sächsischen Teil, wenn er auch jetzt natürlich nicht mehr die politische Bedeutung vergangener Zeiten, sondern nur noch historische Berechtigung besitzt. Gerade in Görlitz wird man noch auf mannigfache Weise an ihn erinnert. Die Rathauslauben durch schreitend, standen wir gleich darauf vor dem alten Rathaus