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Nr. 1Ü GverlausitzerHeimatzeitung mit dem Herzoge, sagen ihm auch hin und wieder den Gehorsam ab. Bei Krankheit des Herzogs steht das Land unter Leitung von „Grafen" (Böhmen). Bolksversammlungen fanden ganz allgemein am Sonntage statt. In mehreren Fällen ist bezeugt, daß diese in den Burgwällen zusammentraten, nachdem sie durch Boten oder durch von Hand zu Hand und Dorf zu Dorf weiter gegebene Botenstäbe einberufen waren. Überhaupt scheint die Volksversammlung in der Frühzeit während der Tätigkeit der Landesältesten bis weit hinein ins Zeitalter der Herzöge eine große Rolle bei den Nordslaven gespielt zu haben. Überall finden wir ihre Spuren. Die Neuwahl eines Heerkönigs findet trotz der Unruhe einer Niederlage noch auf dem Schlachtfelde statt, da der ersterwählte gefallen war (Kolodizier 839). Dem Volks entscheid fügten sich selbst deutsche Kaiser, 826 werden z.B. die Obotriten befragt, ob sie den Herzog Leadrag noch weiter zu haben wünschen. Selbst eine Absetzung des Herzogs konnte die Volksversammlung aussprechen, 823 wird Milegast von seinen Welataben wegen schlechter Führung der Regierungsgeschäfte abgesetzt, sein Bruder Cealadrag erhält dafür die Herrschermacht. Es ist an ein erbliches Herrschertum unter Bolkskontrolle zu denken. Noch 1127 fand auf dem Marktplatz von Stettin eine Volksversammlung statt, zu welcher alle Pommeranen bewaffnet kamen, die Zustimmung erfolgte durch Erheben der Lanzen. In Böhmen galt um 800 das Zusammcnschlagen der Waffen als Zustimmung. Auch die Überweisung der kranken und alten Leute zur Pflege durch ihre Erben fand durch Beschluß der Volksver sammlung statt (Ranen). Leider ist von diesen Verfassungsalter- tümern der Nordslaven wenig Einzelnes berichtet. Das aber, was wir haben, ergibt das Bild einer formelhaft geregelten Anteil nahme des Einzelnen an der Leitung des Landesgeschicks, wobei solenne Formen beachtet und gewahrt werden mußten. Dasselbe zeigt sich in der germanischen Rechtsgeschichte, aber auch andere Völker entwickeln in einem Stadium ihres Daseins solche Gebräuche. 4. Die Kriegführung der Nordslaven zeigt keine Entwicke lung zu einem geregelten Kriegswesen. Um 550 wird betont, daß die meisten Sclavenen zu Fuß kämpften, als sie in die Mittel meerreiche aus den Tiefebenen Ungarns, Rumäniens und Süd rußlands einbrachen. Um 955 tritt bei Nordslaven bereits Reiterei auf. Besonders die Sachsen haben im Hamburgischen und Han növerschen schwer unter ihren Einfällen zu leiden gehabt, doch beruhte dies auf Gegenseitigkeit. Bei den westlichen Stämmen ist der Krieg ein regelloser Volksaufstand gegen Bedrücker oder ein Rachezug von wilder Wut ins Sachsenländ. Um 1000 wird auch allenthalben Reiterei erwähnt. Bei den Pommeranen, die bis 1100 fast garnicht unter deutschen, lediglich unter den Ein fällen der Liutizen und Polen zu leiden hatten, ist das Kriegs wesen geregelter. Jeder waffenfähige Mann muß ins Feld ziehen; mehr als ein Pferd hat kein Krieger, nur die Fürsten und An führer haben einen oder zwei Diener bezw. Schildträger im Kampfe mit. Um 1120 aber verordnet der Polensllrst an die Stettiner Pommeranen, daß im Kriegsfälle neun Familienväter einen zehn ten mit Waffen und Geld auszurüsten hätten, der dann für sie seine Haut zu Markte trägt. Das Heer der Böhmen erscheint in zehn legiones eingeteilt. Ob wir aber darunter Regimenter zu verstehen haben, ist zweifelhaft, wahrscheinlich waren es Lands mannschaften. In Polen gab es dagegen um 973 bereits ein stehendes Heer von 3000 Mann, das vom Herzog besoldet wurde. — Die Volksheere der westlichen Stämme werden im Kriegs fälle aufgeboten durch Boten (Welataben), oder es wird ein Symbol durchs Land geschickt; dieses besteht in einem Schwert oder einem Baststrick, welch letzterer die freundliche Mahnung darstellen soll, daß der, der nicht mitzieht, aufgeknüpft wird. Meist unternehmen die Weststämme ihre Züge im Frühjahre, während prompt im August der Sachse kommt und die Getreidefelder ab brennt. — Auch bei den Slaven halten die Heerführer vor der Schlacht langatmige Reden an ihre Getreuen, in denen sie den Gegner verächtlich machen, leichten Sieg und reiche Beute ver sprechen. — 2a, die Beute! Von den frühesten Zeiten an bis ins zwölfte Jahrhundert sind die Kriege mit Ausnahme der von Polen und Böhmen geführten ausgesprochene Beute-oder Rache züge. Dänen, Sachsen, Thüringer oder Ostfranken werden heim gesucht, zur Abwechselung wieder einmal auch stammverwandte Nachbarn. Am gewandtesten zeigt sich der Slave in der Anlage von Schanzwerken und Waldverhauen. Am gefährlichsten waren die Hinterhalte, die sie legten. In ihnen verbargen sich die Bogen schützen. Aber auch Fallgruben werden bereits 650 erwähnt. Die Kriegssitten waren zu allen Zeiten sehr grausam, Weiber und Kinder wurden fortgeschleppt, die Männer niedcrgemetzelt und das Land verheert. Kein Wunder, daß dann gegen die „wilden" Slaven sogar einmal ein Kreuzzug stattfand, der aber ergebnislos verlief, weil man sich vor Beginn der Schlacht nicht einig werden konnte, wie die Beute zu verteilen sei!! Wissenswert wäre noch, daß die Slaven gefürchtete Seeräuber waren, besonders die Ranen auf Rügen waren die Normannen der Ostsee. Als Kriegstrophäe galt der Kopf des Feindes, der auf Spieße gesteckt wurde und dem Gotte als Opfer dargebracht wurde (Redarier in Rethra). Die Landesverteidigung bestand vornehmlich im Bau von Burgen. Zogen es die Nordslaven nicht vor, sich mit Kind und Kegel beim Einbruch eines deuischen Heeres rückwärts in die unzugänglichen Wälder zu konzentrieren, so haben sie es ost verstanden, ihnen vor oder in ihren Erdwerken zu widerstehen. Eine Erinnerung daran hat in der Oberlausitz die Sage von der Wendenschlacht an der Schanze von Drebnitz bei Bischofswerda aufbewahrt. Von Pommeranen und Böhmen wird mehrfach berichtet, daß sie in „Städte" flüchteten. Daß solche bei den Slaven bestanden haben, ist ganz sicher, auch müssen sie umwallt und bewohnt gewesen sein. 1127 fliehen die Pommeranen z.B. in ihre Stadt Stettin. Diese Tatsache wird vielleicht beim sachkundigen Leser Widerspruch Hervorrufen, aber es ist so! Sogar innerhalb deren Bereich besaß der Pommeranenherzog ein Gehöft mit Blockhaus, stupa oder pirale genannt. — Schließlich könnte ich noch die Feldzeichen erwähnen, die vor dem Heere von Priestern getragen wurden. Es waren entweder Standbilder von Göttern oder deren Bild war auf ein Fahnentuch gemalt. 5. Noch ein kurzes Wort über die Rechtspflege und die Rechtsanschauungen der Slaven! Bei den Obotriten wird das Land, soweit es bebauungssähiger Grund und Boden und als solcher in Einzelbesitz ist, eingeteilt in Pflüge, das ist soviel, wie ein Pferd oder zwei Ochsen an einem Tage pflügen können. — Bei den Pommern gab es Schuldknechtschaft, in schweren Fällen wurde ein Geisel (Sohn, Bruder usw.) ins Gefängnis geworfen (eine halb unterirdische Hütte), bis die Schuld vom Schuldner beglichen war. Die Feststellung des Tatbestandes wird erreicht durch Eidesleistung. Jedoch wurde es mit dem Eide sehr genau genommen, da der falsch Schwörende den Zorn der Götter aus sich herabschwor. Schmurgeste ist Ausstrecken der Hände gen Himmel (christlich?). Dann aber wurde geschworen beim Schwerte (Böh men 800) oder bei Bäumen, Quellen und Steinen (Obotriten 1150). — Gottesurteile durch Zweikämpfe kommen auch vor (deutsch christlicher Einfluß?). — Blutrache scheint weniger aus familiären als aus Machtgründen in den Fürstengeschlechttrn üblich gewesen zu sein. Jedenfalls zog ganz allgemein um 1000 ein politischer Mord ein fürchterliches Wüten der Geschlechter untereinander nach sich, sodaß ganze Familien ausstarben wie mit der Ermor dung des Obotritenfürsten Zuentibold und seines Sohnes Zoinike im Jahre 1128. — Als Ort des Strafvollzugs ist in den slavischen Städten mehrfach der Markt bezeugt, auf ihm muß zu diesem und zu Kundmachungszwecken ein Holzgerüst erbaut gewesen sein, das „Brücke" genannt wurde. — Das Gastrecht ist bei den Slaven so stark ausgeprägt, daß es zu einer legislativ geregelten Angelegenheit wurde: Wer einem Fremden die Aufnahme ver weigert, dessen Haus und Hof werden niedergebrannt (Obotriten 1100), auch wurde das Ansehen des Wirtes dadurch gemindert. Diebstahl und Raub wurden mit dem Streben nach Gastlichkeit entschuldigt, da der Wirt das gestohlene Gut noch vor dem nächsten Morgen unter seine Gäste verteilen muß. — Eine merkwürdige Strafe, die aber ihre Entstehung vielleicht dem deutschen Westen verdankt, ist das Hundetragen. Noch um 1200 wurde sie in Magdeburg vollzogen, für Böhmen ist sie um 1100 bezeugt.