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800 O. Das achtzehnte Jahrh. in den vier ersten Jahrzehnten. Dingen der Das größte Vertrauen setzte der Hof von Versailles auf Spanien. Philipp pnr-nLischrn war von der Nation mit Jubel begrüßt worden; er galt als der Träger der nationalen Einhcitsidee. Portocarrero, der ehrgeizige herrschsnchtigc Priester, der den Vorsitz in dem engeren Staatsrath sDispacho) führte, arbeitete ganz im Interesse Frankreichs. Ludwig XIV. betrachtete seinen Enkel als Unterköiiijs, den er fortwährend durch seine Rathschlägc lenkte. War Philipp doch durch Tenn perament und Erziehung von so fügsamer unselbständiger Natur, daß «r freindtt Leitung gar nicht entbehren konnte, daß er Jedem, der ihm durch Entschiedenheit oder Intelligenz imponirte, zu Willen war und daß er insbesondere weiblichen Eiuflüfscn nicht zu widerstehen vermochte. Schon als Jüngling lebensmüde u»d melancholisch legte er gerne die Lasten der Negierung auf andere Schultern; die Staatsgcschäfte waren ihm widerwärtig. Bei solcher Anlage war es gast, erklärlich, daß eine Dame von altfranzösischem Adel, Maria Anna de la Tremoille, welche in zweiter Che in die römische Fürstenfamilie Orsini vermählt gewesen, und am päpstlichen Hofe eifrig für die Bourbonische Succcssion gewirkt hatte, z» einer Stellung am Madrider Hof sich emporzuschwingen vermochte, wie Lady Marlborough am englischen. Tue OrknN „Eine zugleich majestätische und anmuthige Frau, ebenso liebenswürdig wie groß artig mar die Fürstin Orsini gewohnt zu herrschen. Ehemals hatten die sinnlichen Reize des Weibes die Männer gefesselt, später herrschte sic durch die Kunst der Ueber- redung und durch die gebieterische Kraft eines festen Willens." Obwohl schon 65 Jahre zählend, hatte sie doch noch die Spuren ehemaliger Schönheit und Anmuth bewahrt, und weder die Gewandtheit ihrer Bewegungen noch die Frische ihres Geistes wiesen auf ihr Alter hin. Ais Oberhofmeisterin der kaum fünfzehnjährigen Königsbraut a»r Savoyen beigesellt, erlangte die Orsini in Kurzem eine gebieterische Machtstellung und grill mit überlegenem Geist und kühner Hand in das Getreide der großen europäischen Politik ein. Dem Lande ihrer Geburt und dem Interesse Ludwigs XIV. ergeben, suchte st dennoch der Madrider Regierung einen selbständigen nationalen Charakter zu verleihen. Portocarrero, der den engeren Rath zu einer französierenden Camarilla machte, mußte bald ihrem Einstuß weichen; sie herrschte im Palast, sie war die Seele der Regierung! der König gehorchte ihr aus Charakterschwäche, die junge lebhafte frühreife Königin aus persönlicher Neigung, der Minister Orrh handelte nach ihren Eingebungen, das spanische Volk war ihr nicht abhold. Bürgerliche Noch konnte Spanien der französischen Unterstützung nicht entbehren; nur mittest in Spanicm durchgreifender Reforinen vermochte das Reich sich aus dein wirthschaftlichen und admi nistrativen Verfall, der uns aus früheren Blättern bekannt genug ist, cmporzuarbeitem Dazu forderte Ludwig seinen Enkel auf und ließ es nicht an Instructionen fehle». Aber eine solche Rcformthätigkeit verlangte Zeit, Intelligenz und Kräfte; und bereits setzten die Feinde ihre Hebel ein, um die schwachgclötheten Fugen der spanischen Natio nalität aus einander zu treiben. Die ersten Ansätze waren schon erfolgt durch die Landung eines englisch-holländischen Geschwaders bei Cadix und durch die Wegnahme Herbst 1702. einer spanischen Handels- und Silberflotte in der Bucht von Vigo. Die Erfolge wäre» gering und wurden zum Thcil ausgewogen durch den Nachtheil, daß durch die Ver wüstung Andalusiens die Bevölkerung zum glühenden Haß gegen die „ketzerischen Räuber entflammt wurde, und durch die Verluste, welche die Zerstörung der reichbcladencn