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780 O. Das achtzehnte Jahrh. in den vier ersten Jahrzehnten. sammten spanischen Monarchie mit den eigenen Reichen getrachtet hätten: Die Wiederherstellung einer Weltherrschaft Karls V. stand zu sehr im Widerspruch mit dem politischen Zeitgeist. Beide Potentaten hatten es nur auf die Gründung einer Secundogcnitur abgesehen: Der Kaiser verlangte die spanischen Besitzungen für seinen zweiten Sohn, den Erzherzog Karl. Ludwig für seinen zweiten Enkel, der Herzog von Anjou; in einem wie in dem andern Falle sollte die spanische Monarchie in ihrem dermaligen Bestand und in ihrer Unabhängigkeit als ein« heitlicher Staatskörper fortdauern. Aber im Stillen suchte doch zugleich jede der beiden Großmächte Vortheile für das eigene Reich zu erwerben: Der Kaiser wollie Mailand gewinnen, Ludwig eine Art Schutzherrschaft über den Enkel und die spanischen Länder aufrichten. Harrnch und Das Hauptanliegen war nun, den hinsicchcnden König zu bewegen, daß er vor ' seinem Tode eine lctztwillige entscheidende Verfügung treffe. Dahin sollten die beiden Gesandten, Graf Harrach und der Marguis von Harcourt wirken. Aber wie verschieden waren diese beiden Diplomaten und wie ungleich ihre Gaben für ihre hochwichtige Mission! Ferdinand Bonaventura von Harrach war ein alter bequemer Herr, dein sein Sohn Graf Alohs, ein Mann von geringen Gaben und wenig ehrbarem Lebens wandel, als Gchülse zur Seite stand. Er hatte schon früher den Gesandtschaftspostcn in Madrid inne gehabt, hatte die Vermählung dcS Kaisers vermittelt und sich die Gunst und das Vertrauen seines Monarchen in hohem Grade erworben. Leopold hatte den Edelmann von stillem einnehmenden Wesen, der ihm nie mit Bitten und Vorstellungen weder für sich noch andere lästig siel, gerne um sich. Aus den kaiserlichen Jagden, bei denen Harrach sein steter Begleiter war, besprach er oft in vertraulicher Weise mit dem selben die öffentlichen Angelegenheiten. Es fehlte dem Grafen nicht an Verstand wohl aber an Energie und Selbstvertrauen. Wie sein Herr und Meister erwartete er dos Beste von der Zeit und von Gott, „der in Allem übernatürlich für das Haus Oester reich operiret." Wie ganz anders verstand der außerordentliche Gesandte Ludwigs XlV. der Marquis Henry von Harcourt seine Aufgabe. Die erst kürzlich erfolgte Ver öffentlichung der Briefe und Gesandtschastspapiere aus dem Familienarchiv durch M- peaux läßt uns deutlicher als früher die ganze Wirksamkeit des Marquis erkennen. Ei» ritterlicher Mann von altem Adel, durch militärischen Ruhm ausgezeichnet und »üi glänzenden gesellschaftlichen Eigenschaften und gewandten Manieren begabt, wußte er bald in den höchsten Kreisen sich Freunde und Gönner zu erwerben, zumal da ihn die Freigebigkeit seines Monarchen in die Lage setzte, die verführerische Macht des Goldes an der rechten Stelle anzuwenden. „Harcourt war ein wahres Muster der französische» Aristocratie in den Tagen ihres höchsten Glanzes", urtheilt Macaulay in einer Abhand lung über Lord Mahon's Geschichte des spanischen Erbfolgckrieges, „ein feingcbildcter Edelmann, ein tapferer Krieger und ein geschickter Diplomat. Seine höfischen und einschmeichelnden Manieren, seine Pariser Lebhaftigkeit, die er durch castilianischc» Ernst zu mäßigen verstand, machten ihn zum Liebling des ganzen Hofes. Er wurt» der Vertraute der Granden, schmeichelte der Geistlichkeit und blendete die Menge n>>l seiner prächtigen Lebensweise. Die Borurtheile, die in Madrid gegen den französische Charakter herrschten, und die Rachegcfühle, die sich in Jahrhunderten nationaler Eifer sucht erzeugt hatten, schwanden vor seinen Künsten nach und nach dahin, während dtt österreichische Gesandte, ein mürrischer, gespreizter, geiziger Deutscher, sich selbst u» sein Vaterland jeden Tag unbeliebter machte."