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III. Deutsche Wissenschaft und Dichtung. 737 Bürgern und Handwerkern seiner Hcimath zugesührt ward, kam Böhme durch eifriges Forschen in der Heil. Schrift und durch sinnige Beobachtung der Natur, des Menschen lebens und des eigenen Gemüthes zu Ideen und Anschauungen, die wenn auch oft un klar und verworren aufgefaßt und vorgetragen, doch durch ihre Tiefe und Eigenthüm- lichkeit überraschen und fesseln. Freilich stehen seine Schriften, unter denen „Aurora oder die Morgcnröthe im Ausgang"; „von der Geburt und Bezeichnung aller Wesen", gewöhnlich LiAnntura rorum genannt, am bekanntesten find, in Beziehung auf Sprache und Darstellung weit zurück hinter den klassischen Werken der Jansenisten von Port royal; aber die Gedanken und philosophischen Gebilde, die sich aus den zählenden Sprachclemcnten und dem Unvermögen und der Unbehülflichkcit, den Conceptionen Form und Gestalt zu geben, mühsam zum Ausdruck und zur Klarheit emporringen, haben die Bewunderung vieler hervorragenden Geister der späteren Zeit erregt. Wie durch ein Wunder wurden die Schriften des trotz seines stillen christlichen Lebens von der Geist lichkeit vielfach bedrängten frommen Mannes in den Stürmen des Krieges nach Amster dam gerettet, wo ein Anhänger seiner Ansichten sie veröffentlichte. Zn Holland und England fand die speculative Mystik des „deutschen Philosophen", wie er genannt wurde, bald die größte Verbreitung. Unbewußt die Wege der alten Gnostiker wandelnd, aber unabhängig von ihren Schriften, die er nicht kannte, suchte Böhme das Heraustrctcn der creatürlichen Welt aus der Einheit des göttlichen Wesens, der dreieinigcn Gottheit zu erfassen und durch mystische Erleuchtung, die ihn periodenweise erfüllte, die großen Räthselfragen des christlichen Dogmatismus, den Ursprung des Uebels, den Sündenfall, die Menschwerdung des Sohnes u. A. zu lösen, nicht durch Operationen des Verstandes mit Hülse mathematischer oder physikalischer Beweisführungen sondern durch unmittel bares Eindringen in den „Ungrund", in das „ewige Eine", das „stille Nichts", aus dem durch Negation, durch „Widerwärtigkeit" die Endlichkeit, das Creatürliche hervorgeht. „Alle Dinge bestehen in Za und Nein, es sei göttlich, teuflisch, irdisch oder was sonst genannt werden mag. Das Eine, als das Za, ist eitel Kraft und Leben und ist die Wahrheit Gottes oder Gott selber. Dieser wäre in sich selbst unerkenntlich und wäre darin keine Freude und Erheblichkeit noch Empfindlichkeit ohne das Nein. Das Nein ist der Gegenwurs des Ja oder der Wahrheit". Soll das ewig Eine sich selbst offenbar werden, soll es einen Willen, eine Weisheit, ein Gemüth haben, so muh ein Gegensatz in ihm sein, denn „kein Ding mag ohne Widerwärtigkeit ihm selber offenbar werden". Das Nichts hat also eine Sehnsucht nach dem Etwas und diese Sehnsucht bewirkt, daß das ewig Eine sich diffcrenzirt, „sich in die Schiedlichkeit einführt". Zunächst geschieht dies durch Unterscheidung von Vater, Sohn und Geist in der Gottheit, alsdann durch Entwickelung der creatürlichen Welt vermittelst der göttlichen „Qualitäten". Mit Bezug auf mehrere Stellen der Offenbarung Johannis nimmt Böhme sieben Geister an, die er als Quellgeister oder Qualitäten bezeichnet, in denen „die ewige Natur in ihrem ersten Trunde steht", die schöpferischen Urtricbe, welche in der Tiefe der Natur quellen und treiben einestheils von der Gottheit unterschieden, andertheils das göttliche Wesen selbst »ach seinen verschiedenen Wirkungskreisen darstellend. „Sie alle fassen sich aber in der göttlichen Natur zusammen, welche die sechs andern Qualitäten aus sich gebären und öon welcher dieselben umschlossen werden". Die heilige Dreifaltigkeit und diese sieben trister, die in unruhigem Schaffenstrieb sich in zahllose Abtheilungen „qualiren", bil den das große Mysterium oder die ewige Natur, eine Welt des Lichts ohne Schatten, örr Harmonien ohne Mihklang, „das himmlische Freudenreich". Diese „geistliche Welt", ur der nur das in unerschöpflich reicher Entfaltung in sich selbst wirkende, arbeitende ^"d schaffende Leben der Gottheit angeschaut wird, konnte nicht genügen. „Was durch die Bewegung der Geister Gottes in der Natur entstand", heißt es bei Zeller, W-b-r, W-ltgcschich,k. XII. 47